In den vergangenen Monaten haben viele Studierende ihren Platz im Heim nicht benötigt oder konnten diesen nicht mehr finanzieren: Pflege von Angehörigen, krisenbedingte finanzielle Engpässe oder die besuchte Bildungseinrichtung setzt ohnehin auf Fernlehre. Die Heimbetreiber weigern sich mit Hinweis auf eigene Einnahmenausfälle beharrlich, die BewohnerInnen vorzeitig aus ihren Verträgen zu lassen. Das ist unzumutbar und mitunter auch existenzbedrohend. Die Rechte der Studierenden müssen gewahrt werden, nicht sie sollen die Kosten der Krise tragen. Negative bildungspolitische Auswirkungen vor allem für finanziell schlechter gestellte Studierende sind vorprogrammiert.
Es ist gesetzlich geregelt, dass Studierende ihre Benützungsverträge mit Heimbetreibern in bestimmten Ausnahmesituationen vorzeitig auflösen können. Öffentliche Förderungen für gemeinnützige Studentenheimbetreiber könnten helfen, wenn sichergestellt ist, dass sie sich auch tatsächlich kostendämpfend auf die Benützungsentgelte auswirken.
Außerordentliche Kündigung nach dem Studentenheimgesetz
Auf die Benützungsverträge zwischen HeimbewohnerInnen und Studentenheimbetreibern ist das MRG (= Mietrechtsgesetz) nicht anwendbar, sondern das Studentenheimgesetz (= StudHG).
Nach dem StudHG können Studierende ihren Benützungsvertrag vor Ablauf der Vertragsdauer mit einer einmonatigen Kündigungsfrist immer dann vorzeitig kündigen, wenn ein im Gesetz genannter sogenannter „außerordentlicher Kündigungsgrund“ gegeben ist.
Die Kündigung kann gerichtlich oder außergerichtlich erfolgen.
Im Zuge der COVID-19-Pandemie sind viele Studierende in Situationen gekommen, die einen der im Folgenden dargestellten außerordentlichen Kündigungsgründe erfüllen.
1. Pflege naher Angehöriger
Viele Studierende mussten in der COVID-19-Krise in ihre Heimatdörfer und -städte zurückkehren, um ihre Eltern oder Großeltern, die der „Risikogruppe“ angehören, zu pflegen.
Neben der Pflege mussten sie ihr Studium am Wohnort der Eltern oder Großeltern digital absolvieren.
Weder das Gesetz noch die Benützungsverträge bzw. Heimstatuten geben Auskunft darüber, was unter „Pflege“ genau zu verstehen ist. Ist es nur die Pflege einer Person, die schon erkrankt ist, oder ist es auch schon die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten?
Außerdem ist auch nicht geregelt, in welcher Form bzw. von wem die Notwendigkeit des Pflegebedarfes zu bestätigen ist, und das Gesetz gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass nachgewiesen werden muss, dass die Pflege zwingend erforderlich ist und von keiner anderen Person als der studierenden erbracht werden kann.
Viele Studentenheimbetreiber haben von den Studierenden einen Nachweis der Notwendigkeit des Pflegebedarfes gefordert. Die dafür gesetzten Maßstäbe waren allerdings so gestaltet, dass es faktisch unmöglich ist, diesen Nachweis zu erbringen. Das ist nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftspolitisch fragwürdig:
Die Allgemeinheit war und ist geradezu darauf angewiesen, dass junge Menschen, die nicht der Risikogruppe angehören, den „Risikogruppen“ helfen. Dazu werden sie auch öffentlich aufgefordert.
Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Studentenheimbetreiber führt dazu, dass die Beurteilung dessen, was „Pflege“ in diesem Zusammenhang heißt, wohl von Gerichten geklärt werden muss.
2. Die plötzlich auftretende soziale Notlage
Viele Studierende hatten das Problem, dass durch die Krise das Einkommen der Eltern weggefallen war oder gekürzt wurde und dass sie ihre Nebenjobs nicht mehr ausüben konnten. Die Benützungsentgelte für die Dauer der gesamten Kündigungsfrist waren nicht mehr leistbar.
Viele Studentenheimbetreiber argumentierten aber, dass der Verlust des Einkommens eine rein wirtschaftliche Notlage sei und deshalb nicht unter den Tatbestand der „plötzlich auftretenden sozialen Notlage“ subsumiert werden könne.
Diese Argumentation ist keinesfalls nachvollziehbar, und so kommt das Auseinanderdividieren dieser beiden Begriffe – angesichts der tatsächlichen Notlage, in der sich viele Studierende befunden haben und noch immer befinden – einer zynischen Wortklauberei nahe.
Zum außerordentlichen Kündigungsgrund der „sozialen Notlage“ ist in den erläuternden Bemerkungen zur Novelle des StudHG 1999 nachzulesen, dass darunter plötzlich auftretende unabwendbare oder unvorhergesehene Ereignisse zu verstehen sind, durch die ein Studierender gezwungen wird, den Heimplatz sofort aufzugeben.
Wenn sowohl die Eltern als auch die Studierenden ihre Jobs verlieren und somit in der ganzen Familie niemand mehr die Möglichkeit hat, die Kosten für das Heimzimmer zu bestreiten, dann ist das existenzbedrohend und stellt sehr wohl auch eine „soziale Notlage“ dar.
Außer Zweifel steht, dass die COVID-19-Pandemie ein „unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis“ ist. Dazu gibt es aber noch keine Rechtsprechung, auch hier müssen wohl die Entscheidungen der Gerichte abgewartet werden.
3. Studienabbruch bzw. Studienortwechsel
Dieser außerordentliche Kündigungsgrund wurde bei Austauschstudierenden von Studentenheimbetreibern dann anerkannt, wenn diese offiziell ihr Erasmus- oder Auslandsstudium abgebrochen bzw. zurück an die Heimatuniversität gewechselt haben.
Vorzeitige Auflösung: Was sagt das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch
Auf jene Teile des Benützungsvertrages zwischen HeimbewohnerInnen und Studentenheimbetreibern, die durch das StudHG nicht geregelt werden, ist das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (= ABGB) anwendbar.
Benützungsverträge sind idR einjährig befristete Dauerschuldverhältnisse.
Die Frage, ob die Tatsache, dass die Universitäten in Österreich im März 2020 ihren Unterricht von Präsenz- (Abhaltung von Lehrveranstaltungen mit persönlicher Anwesenheit der Studierenden) auf Fernlehre (Abhaltung der Lehrveranstaltungen in digitaler Form) umgestellt haben, einen „wichtigen Grund“ für die vorzeitige Auflösung eines Benützungsvertrages darstellt, wurde von der Rechtsprechung noch nicht geklärt.
Folgende Fragen müssen dabei geklärt werden:
- Wann kann nach dem ABGB ein Dauerschuldverhältnis von MieterInnen auch ohne Einhaltung von Termin und Frist vorzeitig aufgelöst werden?
Unter anderem dann, wenn die vermietete Wohnung durch einen „wichtigen Grund“ ohne Schuld des Mieters nachträglich in einen Zustand gerät, der es dem Mieter bzw. der Mieterin unmöglich macht, die Wohnung zu dem Zweck zu gebrauchen, den er bzw. sie mit dem Vermieter vereinbart hat.
Dies gilt auch dann, wenn vertraglich Unkündbarkeit vereinbart wurde.
Einen „wichtigen Grund“ können z. B. Umstände darstellen, die eine Berufung auf den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ zulassen bzw. die die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses billigerweise unzumutbar machen.
Dieser „wichtige Grund“ muss zu dem Zeitpunkt vorliegen, zu dem die Studierenden die Auflösung des Benützungsvertrages erklären. Sie sind es auch, die das Vorliegen des „wichtigen Grundes“ beweisen müssen.
- Ist die COVID-19-Pandemie ein solcher „wichtiger Grund“?
Die COVID-19-Pandemie ist ein sogenanntes „Elementarereignis“ bzw. eine „Seuche“, die vom Menschen nicht beherrschbar ist und einen größeren Personenkreis trifft. Sie stellt deshalb einen „wichtigen Grund“ dar, der zur vorzeitigen Auflösung des Benützungsvertrages berechtigt.
- Wird durch die Pandemie der „Zweck“ des Benützungsvertrages vereitelt?
Durch den Benützungsvertrag stellt der Studentenheimbetreiber den HeimbewohnerInnen Wohnraum für Zeiten zur Verfügung, in denen die Anwesenheit der Studierenden am Studienort im Rahmen von Präsenzlehrveranstaltungen erforderlich ist.
Dies ergibt sich aus dem StudHG selbst und seiner historischen Entwicklung und braucht nicht mehr extra im Benützungsvertrag erwähnt werden.
Durch die Schließung der hochschulischen Bildungseinrichtungen bzw. durch den Umstieg von Präsenz- auf Fernlehre wurde dieser „Vertragszweck“ vereitelt.
- In welchen Einflussbereich fällt die Schließung der Universitäten?
Die Schließung der Universitäten erfolgte durch eigenständige Entscheidung der jeweiligen Bildungseinrichtungen nach einer Empfehlung der österreichischen Bundesregierung.
Eine globale Pandemie ist auch keine Gefahr, die sich im Leben der Menschen üblicherweise verwirklicht, sodass man auch nicht von einem sogenannten „allgemeinen Lebensrisiko“ der Studierenden sprechen kann.
Dafür spricht auch, dass die Universität Wien letztmals vor fast 200 Jahren aufgrund der Cholera geschlossen wurde.
Die Gründe für die Vereitelung des „Vertragszweckes“ fallen nicht in den Einflussbereich der HeimbewohnerInnen, aber auch nicht in den Einflussbereich der Studentenheimbetreiber. Es ist daher nach den Regeln für die Gefahrtragung zu beurteilen, wen die nachteiligen Folgen treffen, wenn der Vertragszweck wegen dieses keinem der Vertragspartner zurechenbaren Zufalls nicht mehr erfüllt werden kann. Nach der Rechtsprechung trägt der Vermieter das Risiko für alle auf Zufall beruhenden Umstände, die den Ausfall oder eine wesentliche Einschränkung des Gebrauchsnutzens der Bestandsache zur Folge haben (1 Ob 306/02k).
In allen Fällen, in denen Studierende ihr Heimzimmer aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht mehr zum vereinbarten Vertragszweck nutzen können, weil ihre Bildungseinrichtung entschieden hat, dass der Unterricht ab sofort in Form von Fernlehre (also digitalem Unterricht) erfolgen soll, kann eine vorzeitige Auflösung des Benützungsvertrages ohne Einhaltung von Terminen und Fristen also berechtigt sein.
Negative Bildungspolitische Auswirkungen
Der Großteil der Studierenden verfügt nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um Verfahren gegen ihre Studentenheimbetreiber zu führen.
Viele haben sich an die „Ombudsstelle für Studierende“ gewandt. Diese konnte in einigen Fällen helfen. Sie hat aber nicht die Möglichkeit, rechtlich bindende Entscheidungen zu treffen oder Vergleiche auszuhandeln.
Die Bundesarbeitskammer und die Österreichische Hochschülerschaft haben einige Fälle zur Prozessführung übernommen.
Der Ausgang der Verfahren ist aber – wie bei Gerichtsverfahren üblich – nicht abzusehen, und es werden noch einige Monate ins Land ziehen, bis erste Entscheidungen da sind. Nicht alle Studierenden haben Eltern, die es sich leisten können, Ihnen den Heimplatz weiter zu bezahlen, obwohl sie ihn nicht nutzen können. Vor allem finanziell schlechter gestellte Familien haben oft auch nicht genügend Platz, um ihren studierenden Kindern vorübergehend kostenlos ein freies Zimmer anstelle des Heimplatzes zur Verfügung stellen zu können. Viele Studierende können sich die Lebenshaltungskosten während des Studiums nur durch Nebenjobs (z. B. im Gastgewerbe) leisten, die sie aber ebenfalls aufgrund der Pandemie nicht mehr ausüben können. Somit sind es vor allem finanziell schwache Studierende, die unter der Tatsache leiden, dass sie ihre Benützungsverträge nicht vorzeitig auflösen können.
Der Verweis auf den Klagsweg vonseiten der Studentenheimbetreiber ist auch bildungspolitisch ein Missstand.
Die negativen bildungspolitischen Auswirkungen dieser Vorgangsweise sind vorprogrammiert: schlechtere Ausbildungsqualität durch fehlende ruhige Räume, um dem digitalen Unterricht zu folgen, vorzeitiger Abbruch von Auslandssemestern usw.
Öffentliche Förderungen für gemeinnützige Studentenheimbetreiber
Es ist verständlich, dass gemeinnützige Studentenheimbetreiber Einnahmenausfälle befürchten.
Und: Es ist Aufgabe der Studentenheimbetreiber, sich hier zu organisieren und Unterstützung für etwaige Einnahmenausfälle vom Staat zu fordern.
Nach wie vor gibt es keine rechtliche Überprüfungsmöglichkeit, die es den Fördergebern ermöglicht, die kostendämpfende Wirkung auf die Benützungsentgelte zu kontrollieren.
Risiko dürfen nicht Studierende tragen
Das Risiko von Einnahmenausfällen darf aber nicht auf Studierende überwälzt werden, die ihre Eltern und Großeltern pflegen, sich in einer Notlage befinden oder die ihr Heimzimmer aufgrund von Fernlehre gar nicht nutzen können.
Gesetzliche Vorschriften zur vorzeitigen Auflösung von Benützungsverträgen in Studentenheimen in bestimmten Ausnahmesituationen müssen von den Studentenheimbetreibern eingehalten werden.