Ab 1945 waren die Rahmenbedingungen für das Entstehen eines sozialpartnerschaftlichen Konfliktregelungs- und Steuerungsinstrumentariums wesentlich günstiger als nach dem Ersten Weltkrieg. Der demokratische Sozialstaat und damit auch die Einbindung der Gewerkschaftsbewegung in die „große Politik“ galten als bestes Bollwerk gegen den Faschismus und dann als Erfolgsmodell des „Westens“ in der Systemkonkurrenz mit dem kommunistischen Block. In Österreich ermöglichten die Gründung eines überparteilichen Gewerkschaftsbunds und die Wiedererrichtung der Kammern auf demokratischer Basis zudem eine besondere Ausprägung der Sozialpartnerschaft. Mit Beginn der neoliberalen Wende in den 1980er Jahren wurde sie als Bremse der „Marktfreiheit“ zwar zunehmend infrage gestellt, behielt aber ihre Bedeutung für die Steuerung von Kollektivvertragsverhandlungen und als Krisenfeuerwehr.
Arbeitnehmer:innenvertretung als Big Player
Der Beginn der Sozialpartnerschaft in der zweiten österreichischen Republik wird oft mit der Gründung der „Paritätischen Kommission für Preis- und Lohnfragen“ 1957 angegeben, sie bildete sich aber schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg heraus. Eine entscheidende Voraussetzung dafür war die Gründung des überparteilichen Österreichischen Gewerkschaftsbunds, der die weit über 50 selbständigen Vereine ersetzte, die bis zum Verbot staatsunabhängiger Gewerkschaften 1934 bestanden hatten. Diese Vereine waren konkurrierende parteinahe Richtungsgewerkschaften gewesen, die nur in Ausnahmefällen an einem Strang zogen. Welche Bedeutung der Gewerkschaftsbewegung beigemessen wurde, lässt sich daraus erkennen, dass ÖGB-Präsident Johann Böhm auf Vorschlag der Sozialistischen Partei (wie die SPÖ damals hieß) das Sozialressort in der Gründungsregierung der Zweiten Republik übernahm. Die Wiedererrichtung der Arbeiterkammern mit Gesetz vom 20. Juli 1945 ist wesentlich seiner Initiative zu verdanken.
Die alliierten Sieger über Hitler-Deutschland bestimmten als Besatzungsmächte das politische Geschehen entscheidend. Bis zur Klärung der gemeinsamen Vorgangsweise des Alliierten Rats im Herbst 1945 erkannten die Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich die Beschlüsse der von den Sowjets genehmigten Wiener Regierung nicht an. Das galt auch für das AK-Gesetz, aber unter Berufung auf die Gesetzgebung der Ersten Republik konnten trotzdem schon im Sommer nicht nur in Wien wieder Arbeiterkammern errichtet werden. Die Alliierten drückten auch in anderen Fällen manchmal ein Auge zu, wenn in der rechtlichen Grauzone nach dem Ende der nationalsozialistischen Verwaltung informell nach Gesetzen gehandelt wurde, die während der Gültigkeit der demokratischen Verfassung bis 1933 in Kraft gewesen waren. Auch die Gründungsparteien der Zweiten Republik, die SPÖ, die Kommunistische Partei und selbst die ÖVP, die Österreichische Volkspartei mit ihrer antidemokratischen Vorgeschichte, hatten sich auf die Anerkennung des „Geistes der Verfassung von 1920“ geeinigt. Ein Vorgehen nach den alten Gesetzen in der Übergangsphase bis zum Inkrafttreten neuer Beschlüsse bot sich deshalb immer wieder als geeignete Lösung an.
Auf dieser Basis konnten die gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber:innen, die erst 1946 ihre neue Rechtsgrundlagen erhielten, bereits parallel zu ÖGB und AK ihre Tätigkeit beginnen. Im Fall der Handels- und Gewerbekammern war die besonders schwierige Zusammenführung der alten Vertretungsstrukturen eine der Ursachen des späteren Gesetzesbeschlusses, denn hier mussten rund 1.000 öffentlich-rechtliche Körperschaften einbezogen werden. Aber es gab noch einen zweiten Grund für die längere Vorlaufzeit: die Eingliederung der Arbeitgeber:innenvertretungen in die Apparate der faschistischen Ära hatte zunächst mancherorts, vor allem auch im Kreis der Alliierten, Zweifel an ihrer demokratischen Verlässlichkeit aufkommen lassen. Die vorläufige Schwächung ihrer Position trug nicht wenig zur Ausformung der österreichischen Sozialpartnerschaft mit Gewerkschaftsbeteiligung auf Augenhöhe bei.
Mitbestimmung beim Krisenmanagement
Ebenfalls unter Berufung auf die Gesetze der Ersten Republik bildeten sich sofort nach dem Ende der NS-Herrschaft wieder Betriebsräte und Personalvertretungen. Sie übernahmen zum Teil auch Managementaufgaben, als die deutschen Eigentümer oder Manager nicht mehr vorhanden waren und die von den Alliierten eingesetzten „öffentlichen Verwalter“ des „Deutschen Eigentums“ ihre Tätigkeit noch nicht begonnen hatten. Sie waren also über die Funktion als Interessenvertretung hinaus für die Stabilisierung der Wirtschaft und den beginnenden Wiederaufbau von unschätzbarer Bedeutung. Da in den ersten Monaten nach Kriegsende noch keine überbetrieblichen demokratischen Wahlen organisiert werden konnten, bildeten die Mitglieder dieser Betriebsräte auch die ersten Gewerkschaftsversammlungen und AK-Vollversammlungen. Ihre Absicherung war für die Arbeitnehmer:innenseite ein zentrales Anliegen. Die Arbeitgeber:innenseite hatte schon deshalb Interesse an einer geordneten Entwicklung, weil sie die Möglichkeit einer drohenden „sozialistischen Planwirtschaft“ fürchtete. So kam es im Sommer 1945 zu einer Absprache zwischen dem SPÖ-Vorsitzenden Adolf Schärf als führendem Mitglied der provisorischen Staatsregierung und Julius Raab, Gründer des ÖVP-Wirtschaftsbunds und „starker Mann“ der Wiener Handels- und Gewerbekammer, die die Anerkennung der Betriebsräte garantierte. Im September 1945 gründeten dann die Arbeiterkammer in Wien und die Wiener Handels- und Gewerbekammer ein gemeinsames Komitee „zur Beratung dringlicher sozialpolitischer Probleme“. Dies waren Anfangsschritte zur Entwicklung eines sozialpartnerschaftlichen Problemlösungsinstruments – wie in der Ersten Republik zunächst als Krisenfeuerwehr und Stabilisierungsfaktor nach einem Weltkrieg und politischem Umbruch.
Den ersten Stresstest musste die sich herausformende Sozialpartnerschaft während der sehr harten Verhandlungen über ein neues Betriebsräte- und ein neues Kollektivvertragsgesetz bewältigen. Am Ende standen Kompromisse, die aus Sicht des ÖGB zwar viele Wünsche offenließen, aber einen Fortschritt gegenüber den Gesetzen der Ersten Republik darstellten und gegenüber den Arbeitnehmer:innen vertreten werden konnten.
Der Sozialstaat als Voraussetzung
Trotz der Verbesserung gegenüber den Gesetzen von 1919/20 steht bis zu aktuellen historischen Rückblicken und Analysen der Vorwurf im Raum, bei Mobilisierung der Basis statt des Verhandelns der Regierungsvorlagen zwischen den Interessenvertretungen und den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP „hinter verschlossenen Türen“ wäre mehr zu erreichen gewesen. Vor allem ein größeres Maß an Mitbestimmung auch bei Managemententscheidungen in den Unternehmen sei auf dem Altar der Sozialpartnerschaft geopfert worden. Tatsächlich war das österreichische Betriebsrätegesetz von 1947 in dieser Hinsicht nicht so weitreichend wie das 1952 beschlossene Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland (BRD), das schon ab zehn Beschäftigten eine verpflichtende Betriebsratswahl vorsieht und eine Drittelvertretung der Belegschaften in den Aufsichtsräten festlegt. Aber das deutsche Gesetz behielt einen Schönheitsfehler, den schon seinen Vorgänger aus der Weimarer Republik der Zwischenkriegszeit kennzeichnete: Der Betriebsrat ist so etwas wie ein Hybrid, gleichzeitig Interessenvertretung der Beschäftigten und dem Unternehmenswohl verpflichtet, weit über die Friedenspflicht hinaus, und bei Tarifverhandlungen ist laut Gesetz von 1949 staatliche Schlichtung möglich. In Österreich wurden dagegen die Gegnerfreiheit auch auf Betriebsebene und die volle Autonomie der Interessenvertretungen bei Kollektivvertragsverhandlungen gesichert. Die Erklärung für den Unterschied liegt in den unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Positionen beim Wiederaufbau der Demokratie nach dem Ende der NS-Herrschaft.
In der BRD setzte die Wirtschaftspolitik 1945 zunächst überhaupt auf völligen Marktliberalismus ohne Preisbindung für wichtige Güter. Erst unter dem Druck der Besatzungsmächte USA und Großbritannien und eines vom Deutschen Gewerkschaftsbund organisierten Generalstreiks erfolgte der Schwenk zur „sozialen Marktwirtschaft“, die zum bestimmenden Leitbild wurde. Sie kann als wirtschaftsliberal-konservativer Ansatz mit wohlfahrtsstaatlichen Elementen definiert werden, mit dem Ziel, „auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden“, wie es der Wirtschaftsprofessor Walter Müller-Armack 1976 definierte.
Vielfach wird die „soziale Marktwirtschaft“ mit dem Sozialstaat gleichgesetzt, wie er sich in Österreich entwickelt hat. Die beiden Wege unterscheiden sich aber grundsätzlich. Hauptziel der „sozialen Marktwirtschaft“ ist es, die Marktfreiheit durch sozialen Ausgleich zu stärken. Hauptziel des Sozialstaats ist es, ein „gutes Leben für alle“ zu erreichen, nicht nur durch Wohlstand, sondern auch durch gesellschaftliche Anerkennung der „Vielen“. Markteingriffe werden nicht als Feuerwehraktion für Notfälle gesehen, sondern als Steuerungsinstrumente für das Wirtschaftsgeschehen. Dass dieser Weg in Österreich nach 1945 zunächst auch im Interesse der Arbeitgeber:innenseite lag und damit die Sozialpartnerschaft „auf Augenhöhe“ ermöglichte, hatte besonders zwei Ursachen: die Brückenfunktion im Kalten Krieg schon vor dem Staatsvertrag und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie bei sehr wenig privatem Großkapital. Als beides ab den 1980er Jahren wegfiel, ging auch die Rolle der Sozialpartnerschaft als gesamtgesellschaftliches Konfliktregelungsinstrument nach und nach verloren.
Der Marshall-Plan und die Sozialpartnerschaft
Aufgrund der Erfahrungen aus der Ersten Republik, als die Bereitschaft zur sozialpartnerschaftlichen Konflikt- und Problemlösung vonseiten rechts-konservativer Regierungen und Unternehmer:innenorganisationen nach dem Ende der Revolutionsangst rasch abnahm, drängte der ÖGB auf verbindlichere Vereinbarungen. Parallel zur Beschlussfassung des Betriebsräte- und des Kollektivvertragsgesetzes 1947 und im Vorfeld der Teilnahme Österreichs am Marshall-Plan, dem Wiederaufbauprogramm der USA für Europa, gründeten die großen Interessenvertretungen eine „Ständige gemeinsame Wirtschaftskommission“. Sie sollte die Regierung in wirtschaftspolitischen Fragen beraten, vor allem aber die Lohn- und Preispolitik steuern, und bildete die Verhandlungsplattform für die zwischen 1947 und 1951 abgeschlossenen fünf Lohn- und Preisabkommen.
Die Unterstützung durch das „European Recovery Program“ (ERP) bestand aus Sachgütern und Krediten, wobei die Lieferung von Waren und Produktionsmitteln zunächst Priorität hatte, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung nach den Hunger- und Kältejahren bis 1947 langsam wieder zu decken und den Konsum anzukurbeln. Anders als in der BRD, wo die wirtschaftsliberale Ausrichtung zunächst dazu führte, dass die Kaufhäuser zwar bald gut gefüllt waren, sich aber nur wenige die angebotenen Waren leisten konnten, gab es in Österreich eine Preisbremse. Sie funktionierte auf zwei Ebenen: einerseits durch Verkauf der gelieferten Güter um einen aus ERP-Mitteln gestützten Inlandspreis, andererseits durch eine Vereinbarung der Interessenvertretungen, die Preise vorerst nicht über die notwendige Kostendeckung hinaus zu erhöhen. Die Unternehmer:innenseite hielt sich zwar nicht in vollem Umfang an das Abkommen, aber doch so weit, dass die Preise zusammen mit der finanziellen Stütze niedrig genug gehalten werden konnten, um den meisten Arbeitnehmer:innen den Zugang zu den wichtigsten Gütern zu ermöglichen.
Das war die Voraussetzung, unter der der ÖGB und seine Gewerkschaften ihrerseits vor allem für den Bereich der besser verdienenden Fachkräfte „Lohnzurückhaltung“ zusicherten. Heikel wurde die Situation, als die ERP-Lieferungen vereinbarungsgemäß ab 1950, beginnend mit der Landwirtschaft, stufenweise verringert wurden. Das hatte Auswirkungen bis hin zur Notwendigkeit, die Tarife für die öffentlichen Verkehrsmittel zu erhöhen, was angesichts des noch sehr niedrigen Lohnniveaus zu Unruhen in den Betrieben führte. Die größte Protestaktion, die im Herbst 1950 ihren Höhepunkt erreichte und als „Oktoberstreik“ in die Geschichte einging, wurde von kommunistischer Seite massiv unterstützt und führte zu einer Zerreißprobe für die Einheit des ÖGB. Auswirkungen auf die sozialpartnerschaftlichen Absprachen hatten die Proteste nicht, wohl aber stand seitdem die Frage im Raum, ob die Sozialpartnerschaft den Arbeitnehmer:innen nicht doch mehr Nachteile als Vorteile brächte. Das veranlasste den Gewerkschaftshistoriker Fritz Klenner in einem der ersten Skripten der von ÖGB und AK herausgegebenen Briefschule für Funktionär:innen sinngemäß zu der Anmerkung, die Wirtschaftspartnerschaft (wie der ÖGB die Sozialpartnerschaft früher bezeichnete) sei keine Ideologie und würde von der Gewerkschaftsbewegung nur so lange mitgetragen, solange sie den Arbeitnehmer:innen nützlich sei.
Das Ringen um eine verfassungsgemäße Form
Wie der Hinweis auf die Preisstützung aus ERP-Mitteln oder die Öffi-Tarife zeigt, betrafen die Absprachen im Rahmen der Wirtschaftskommission keineswegs ausschließlich Vereinbarungen der Arbeitsmarktparteien über Löhne und Preise, sondern auch Gesetzgebung und öffentliche Verwaltung. Dabei agierte die Wirtschaftskommission in einem rechtsfreien Raum, ein Zustand, der 1951 durch das „Wirtschaftsdirektoriumsgesetz“ beseitigt werden sollte. Dem Wirtschaftsdirektorium gehörten neben den großen Interessenvertretungen fast alle Regierungsmitglieder und beratend der Nationalbankpräsident an, die Minister sollten „im Einklang“ mit den Beschlüssen des Gremiums handeln. Die Sache hatte nur einen Haken: Ein solches korporatistisches Organ, das die politische Linie außerhalb der Kontrolle des Parlaments bestimmen konnte und statt des Einbringens der unterschiedlichen Interessen in den parlamentarischen Prozess bereits akkordierte Kompromisse vorlegte, sieht die österreichische Verfassung nicht vor. Wegen des Unterlaufens der Ministerverantwortlichkeit ausschließlich gegenüber dem Nationalrat und dem Bundespräsidenten kippte der Verfassungsgerichtshof dann auch schon 1952 das Gesetz.
Der ÖGB musste sein Anliegen, sozialpartnerschaftlichen Regelungen ausreichende Verbindlichkeit zu sichern, wieder auf halbformellem Weg durchzusetzen versuchen, was im herausfordernden Jahrzehnt nach dem Staatsvertrag von besonderer Bedeutung war. Das gelang schließlich mit einem Abkommen zwischen Julius Raab, damals gerade Bundeskanzler, und ÖGB-Präsident Johann Böhm, die 1956 vereinbarten, die Wirtschaftskommission wieder zu aktivieren. Das war die Vorstufe zur Gründung der „Paritätischen Kommission“ 1957, die vielfach als offizieller Beginn der Sozialpartnerschaft angesehen wird. Als Raab als Wirtschaftskammerpräsident und der neue ÖGB-Präsident Franz Olah 1962 nochmals den Versuch starteten, die Regierungsmitglieder an die Beschlüsse des sozialpartnerschaftlichen Gremiums zu binden, scheiterten sie wieder an der Verfassungswidrigkeit solcher Regelungen.
In der Folge erwies sich die Stärke der Sozialpartnerschaft gerade darin, dass sie Kompromisse zwischen den gesellschaftlichen Interessen im Vorfeld des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses suchte und nicht an dessen Stelle trat.
Volkswirtschaftliche Problemlösung nach dem Staatsvertrag: die Paritätische Kommission
In den ersten Jahren nach dem Staatsvertrag war es gelungen, die Preisentwicklung halbwegs stabil zu halten und so die Lösung der volkswirtschaftlichen Probleme nach dem Abzug der Besatzungsmächte in die Wege zu leiten. Für die Folgejahre prognostizierten Wirtschaftsexpert:innen allerdings einen rasanten Preisanstieg, falls keine Gegensteuerung erfolgen würde. Es ging jetzt um die Entscheidung, wie diese Gegensteuerung gestaltet werden sollte. In der Gewerkschaftsbewegung war noch die Erinnerung an die Erste Republik sehr lebendig, als die „Genfer Sanierung“ zwar die Inflation gestoppt und den harten Schilling gebracht, aber die Investitionstätigkeit und damit die volkswirtschaftliche Erholung samt Rückgang der Arbeitslosigkeit abgewürgt hatte. Der ÖGB setzte deshalb alles daran, eine ähnliche Entwicklung zu vermeiden, zumal sie auch die endlich möglich scheinende Steigerung der Reallöhne bei Vollbeschäftigung gefährdet hätte, und setzte weiterhin auf ein sozialpartnerschaftliches Regelungsinstrument. Nach schwierigen Verhandlungen konnte die Zustimmung der Bundeswirtschaftskammer und der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern zu einer solchen Lösung erreicht werden, und per Ministerratsbeschluss vom 12. März 1957 entschied sich auch die Bundesregierung für diesen Weg. Die notwendige Zustimmung der ÖGB-Vorständekonferenz erfolgte am 19. März gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion und am 27. März konstituierte sich die „Paritätische Kommission für Preis- und Lohnfragen“. Ihre Zusammensetzung wurde zwischen Raab und Böhm abgesprochen, sie entstand also auf Basis eines „Raab-Böhm-Abkommens“ und nicht erst, wie oft dargestellt wird, mit dem „Raab-Olah-Abkommen“ von 1962. Einer der Erfolge der frühen Phase war neben der Inflationsdämpfung 1959 der Abschluss eines Generalkollektivvertrags zur Einführung der 45-Stunden-Woche, der den Weg zum Arbeitszeitgesetz 1969/75 freimachte.
Der „Paritätischen“ gehörten neben den Spitzenrepräsentanten der Interessenvertretungen vier Regierungsmitglieder an: der Bundeskanzler, der Handelsminister, der Sozialminister und der Innenminister. Der Preisunterausschuss bestand neben Delegierten der Interessenvertretungen auch aus Ministerialvertretern. Er war grundsätzlich für alle Preiserhöhungswünsche aller österreichischen Unternehmen zuständig, soweit es keine gesetzliche oder amtliche Preisregulierung gab, in der Praxis wurden aber vor allem Anträge für die Preise inländischer Industrieprodukte gestellt. Die Unternehmerorganisationen hatten sich freiwillig zu diesem Weg der Preisregulierung verpflichtet.
In der Vorkommission für Lohnverhandlungen waren ausschließlich die Arbeitsmarktparteien ÖGB und Wirtschaftskammer vertreten. Aus ihr entstand 1962 als Ergebnis des „Raab-Olah-Abkommens“ der Lohnunterausschuss mit erweiterten Kompetenzen. Hier ging der ÖGB die freiwillige Verpflichtung ein, KV-Verhandlungen seiner Gewerkschaften erst nach fristgerechter Antragstellung und Freigabe durch den Ausschuss zu beginnen. Das schränkte zwar die Bewegungsfreiheit ein, bot aber dem ÖGB die Möglichkeit, die Laufzeiten der Kollektivverträge besser zu koordinieren. Auf die Höhe der Lohnforderungen hatten die Entscheidungen aber kaum Einfluss.
Der dritte Ausschuss der „Paritätischen“, der „Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen“, wurde 1963 auf Initiative des ÖGB als Expert:innengremium eingerichtet. Ihm gehörten Expert:innen der beteiligten Interessenvertretungen und des in der Zweiten Republik sozialpartnerschaftlich getragenen Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) an, dazu nach Bedarf Expert:innen und Wissenschaftler:innen aus Unternehmen und Universitäten. Die Aufgabe des Beirats sollte das Erarbeiten mittel- und langfristiger wirtschaftspolitischer Leitlinien auf wissenschaftlicher Grundlage sein, die von den Interessenvertretungen mitgetragen werden konnten. Oft wurden seine Studien und Gutachten aber auch als Basis für Krisenmanagement eingefordert. Seine ersten Studien beschäftigten sich mit der Preis-, Einkommens- und Arbeitsmarktentwicklung, aber auch mit der Budget- und Kapitalmarktpolitik.
Als der Beirat seine Tätigkeit aufnahm, kamen zwei neue Persönlichkeiten an die Spitze der Arbeitsmarktparteien: 1963 wurde Anton Benya ÖGB-Präsident, ein Jahr später folgte Rudolf Sallinger dem verstorbenen Julius Raab nach. Sie wurden über ihre aktive Zeit hinaus zu Symbolen des österreichischen Sozialpartnerschaftsmodells. Während sich aber der ÖGB von Beginn der Zweiten Republik an für ein sozialpartnerschaftliches Instrument der Konflikt- und Problemlösung eingesetzt hatte, gehörten Raab und Sallinger zunächst zur Minderheit auf Unternehmer:innenseite, die der Sozialpartnerschaft etwas abgewinnen konnte. Erst in der Phase der Alleinregierungen änderte sich diese Haltung.
Oppositionseinbindung durch die Alleinregierungen
Bis 1966 repräsentierten die vier stimmberechtigten Regierungsmitglieder in der „Paritätischen“ je zur Hälfte die Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ, mit denen die Unternehmer:innen- und die Arbeitnehmer:innenseite jeweils politisch und personell eng vernetzt war. Als die ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus 1966 ihr Amt antrat, konnte das Gleichgewicht der Interessen auf diese Weise nicht mehr gewahrt werden, und die Regierungsvertreter:innen verzichteten seitdem auf ihr Stimmrecht. Unabhängig davon bekannten sich aber sowohl die Regierung Klaus als die folgenden SPÖ-Alleinregierungen unter Bruno Kreisky nicht nur ausdrücklich zur Sozialpartnerschaft, sondern nutzten sie zur Einbindung der Opposition in den politischen Entscheidungsprozess.
Vor allem die ÖVP-Alleinregierung befand sich in der schwierigen Lage, ihre demokratische Verlässlichkeit im Inland und gegenüber den Signatarmächten des Staatsvertrags zu beweisen, hatte ihre Vorgängerpartei, die Christlichsozialen, doch wenig mehr als 30 Jahre zuvor die Demokratie zerstört und die Opposition ausgeschaltet. Klaus setzte deshalb schon zu Beginn ein deutliches Signal, indem auch er, wie seit 1945 üblich, die Leitung des Sozialministeriums in Absprache mit dem ÖGB nominierte. Auf diese Weise wurde die stellvertretende Frauenvorsitzende des ÖGB, die christliche Gewerkschafterin Grete Rehor, die erste österreichische Ministerin.
Obwohl nach dem Bericht beteiligter Gewerkschaftsvertreter:innen der Verhandlungston rauer wurde, konnten in der Zeit der ÖVP-Regierungen Kompromisse gefunden werden, die auch für ÖGB und AK tragbar waren. Das gilt vor allem für den Bereich der verstaatlichten Industrie, wo die Liberalisierungspläne in Grenzen gehalten werden konnten, ohne die notwendige Modernisierung zu bremsen. Gleichzeitig konnten bereits wichtige Weichen zum Ausbau des Sozialstaats gestellt werden. Zwei Beispiele seien hier genannt: das Berufsausbildungsgesetz, das die Lehre aus der Gewerbeordnung herauslöste und ihren Ausbildungscharakter betont, und Fortschritte bei der Urlaubs- und Arbeitszeitregelung. Für fast alle Berufsgruppen konnten per Kollektivvertrag Weihnachts- und Urlaubsgeld vereinbart werden, und ein weiterer Generalkollektivvertrag schuf die Grundlage für das Arbeitszeitgesetz 1969 zur schrittweisen Arbeitszeitverkürzung. Die Umsetzung erfolgte bereits in der Zeit der SPÖ-Regierungen und endete 1975 mit der Einführung der 40-Stunden-Woche.
Die Kreisky-Regierungen waren stolz darauf, dass ein Großteil der zwischen 1970 und 1983 verabschiedeten Gesetze einstimmig beschlossen wurden. Im Rahmen der Sozialpartnerschaft konnten selbst in etlichen heiß umstrittenen Fragen wie der Kodifizierung des kollektiven Arbeitsrechts tragfähige Kompromisse gefunden und die Zustimmung der Opposition erreicht werden. Das Arbeitsverfassungsgesetz 1974 fasste viele der einzelnen Gesetze über die Interessenvertretung der Arbeitnehmer:innen zusammen, bezog die neu geschaffenen Jugendvertrauensräte ein und stärkte die Position der Betriebsräte. Ein anderes Beispiel mit Langzeitwirkung ist die Vereinbarung über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die 1974 durch das Entgeltfortzahlungsgesetz rechtsgültig wurde.
Das Kernanliegen der Sozialpartnerschaft, die Stabilität von Wirtschaft und Geldwert zu sichern, blieb unverändert und wurde 1972 neuerlich mit dem Benya-Sallinger-Abkommen besiegelt. Für die Lohnpolitik des ÖGB galt die mittlerweile berühmte „Benya-Formel“, die die Abgeltung der vergangenen Inflation plus Anteil am Produktivitätszuwachs als Verhandlungsziel vorgab. Das führte für die Arbeitgeber:innen zu verhältnismäßig überschaubaren Lohnsteigerungen, während sie ihrerseits das Beibehalten der Kontrolle über die Preispolitik im Rahmen der „Paritätischen“ zusicherten. Zusammen mit dem Prinzip der solidarischen Lohnpolitik, das niedrige Einkommen bei den KV-Abschlüssen besonders berücksichtigt, und dem Ausbau sozialstaatlicher Leistungen wurden die 1970er Jahre trotz der beiden „Ölkrisen“ für die Mehrheit der Bevölkerung zur besten Zeit, die sie bisher erlebt hatte. Mäßiges Wachstum bei Vollbeschäftigung und niedrigen Inflationsraten trotz Krisen ließen auch internationale Beobachter von einem „zweiten wirtschaftspolitischen Wunder“ nach dem Wiederaufbau sprechen.
Die Sozialpartnerschaft und die neoliberale Wende
Hatte die Abschaffung der internationalen Währungskontrolle 1971 kurzfristig noch wenig Auswirkungen auf den Handlungsspielraum des Sozialstaats, änderte sich das bereits gegen Ende des Jahrzehnts massiv, zumal die Globalisierung der Wirtschaft wieder das Niveau der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg erreichte. Ausgehend von den USA und Großbritannien, ersetzte gleichzeitig auch in Kontinentaleuropa ein neues gesellschaftspolitisches Leitbild die Befürwortung des Wohlfahrtsstaats und noch mehr des Sozialstaats. Das alles führte nach und nach zum Bedeutungsverlust der nationalstaatlich ausgerichteten und mit dem Sozialstaat verknüpften Sozialpartnerschaft als ständiges Problem- und Konfliktlösungsinstrument. Trotzdem trugen in den 1980er und 1990er Jahren noch wichtige Reformen die Handschrift von Sozialpartnerschaftskompromissen, an denen ÖGB und AK „auf Augenhöhe“ beteiligt waren, so etwa das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, die Verbesserung des Nachtschwerarbeitsgesetzes oder die Berufsschulreform. Zunehmend trat aber die Krisenintervention in den Vordergrund, etwa als das arbeitsmarktpolitische Instrument der „Arbeitsstiftungen“ geschaffen wurde oder bei der Einrichtung des „Auffangnetzes“ für Jugendliche ohne Lehrstelle.
Hier nur einige Schlagworte, um das Ausmaß der Veränderungen nachvollziehbar zu machen, das auch das Profil der Sozialpartnerschaft verändern musste: Ende der Sowjetunion und der in ihrem Einflussbereich stehenden kommunistischen Regime in Europa, Wiedervereinigung Deutschlands, Aufstieg Chinas zur dritten Großmacht, die digitale Revolution und die Klimakrise. In Österreich kommen dazu die weitgehende Privatisierung des verstaatlichten Industrie- und Bankensektors, Ausgliederung oder teilweise bis vollständige Privatisierung der staatlichen Infrastrukturunternehmen in den Bereichen Energie, Verkehr und Kommunikation, der von den Interessenvertretungen unterstützte Beitritt zur Europäischen Union und die Einführung der Euro-Währung sowie der Rückbau sozialstaatlicher Leistungen ab 2000.
In den 1980ern hat sich zudem die Parteienlandschaft massiv verändert. Die Grünen, das Liberale Forum und dann die NEOS sind wenig mit den Interessenvertretungen vernetzt und stehen vor allem den Kammern, und hier wieder in erster Linie der Arbeiterkammer, neutral bis kritisch-ablehnend gegenüber. Letzteres gilt besonders auch für die Freiheitlichen, deren Aufstieg von einer kleinen Parlamentsfraktion zur dritten größeren Partei, verbunden mit einem weiteren Rechtsruck, das politische Klima grundlegend verändert hat. Gleichzeitig ging die SPÖ immer merkbarer auf Distanz zu ihrem Gewerkschaftsflügel, während die zweimalige rechtspopulistische Wende in der ÖVP im neuen Jahrtausend die starke Position der Unternehmer:innenorganisationen kaum gefährdete.
Das Interesse der Vielen
Die Koalitionsregierungen beteiligten sich ab den 1990er Jahren nicht mehr an der Tätigkeit der „Paritätischen“, das Sozialpartnerabkommen von 1992 schlossen nur die vier beteiligten Interessenvertretungen. Damit war die Sozialpartnerschaft als „triparitäres“ Instrument Geschichte. Aber auch die institutionalisierte Interessenabklärung zwischen Arbeitnehmer:innen- und Arbeitgeber:innenvertretungen ging 1998 zu Ende, als die „Paritätische“ zum letzten Mal tagte, um eine gemeinsame Stellungnahme und einen akkordierten Forderungskatalog zum „Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung“ zu verhandeln. Mit der „Bad Ischler Erklärung“ wurden 2006 schließlich die Paritätische Kommission und drei ihrer mittlerweile vier Unterausschüsse formal aufgelöst. Das betraf den 1992 neu eingesetzten Unterausschuss für internationale Fragen, den in einen Wettbewerbsausschuss umgewandelten Preisunterausschuss, aber auch den Lohnunterausschuss samt seiner Funktion der Freigabe von KV-Verhandlungen. Nur der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen blieb bestehen, allerdings ohne den ursprünglichen politischen Stellenwert. Als einzige weitere sozialpartnerschaftliche Institution wurde 2006 der „Bad Ischler Dialog“ ins Leben gerufen, eine Veranstaltung, die bisher zum letzten Mal 2016 stattfand. In ihrem Rahmen sollten wieder gemeinsame Positionen gefunden und „an die Spitzen der österreichischen Bundesregierung kommuniziert“ werden.
Die Chance, diesen Weg zu gehen, schien nach der zu erwartenden Abwahl der die Sozialpartnerschaft ablehnenden ersten ÖVP/FPÖ-Regierung gegeben, und unter den folgenden Koalitionen kam es auch wieder verstärkt zur Inanspruchnahme des sozialpartnerschaftlichen Krisenmanagements, das selbst bei den populistisch agierenden Regierungen ab 2017 gefragt blieb. Als Instrument für kurzfristige Krisenintervention ist die Sozialpartnerschaft also in Österreich wieder weitgehend unbestritten, darüber hinaus wird sie aber vielfach als überlebt eingestuft und von Anhänger:innen wirtschaftsliberaler und rechter Ideologien prinzipiell abgelehnt. Entsprechend heftig waren die Reaktionen, als die Anerkennung der Rolle der Sozialpartner und die Errichtung von autonomen, gegnerfreien Kammern als Beitrag der Republik zum sozialpartnerschaftlichen Dialog Ende 2007 in das Bundesverfassungsgesetz aufgenommen wurden.
Allerdings kommt es darauf an, wie dieser Dialog stattfindet und in welcher Form die Arbeitnehmer:innenvertretungen eingebunden sind. Wir leben noch immer in einer kapitalistisch funktionierenden Gesellschaft, die unverändert durch den grundlegenden Interessengegensatz von „Arbeit“ und „Kapital“ geprägt ist. Ohne Berücksichtigung und ständige Einbeziehung der Interessen der Vielen, die in unterschiedlicher Form auf abhängige Arbeit angewiesen sind, werden sich aktuelle und zukünftige Krisen nur mit Beschädigung der Demokratie bewältigen lassen. Eine „Sozialpartnerschaft neu“ zu gestalten wäre deshalb wohl keine schlechte Idee.