In den USA fordert die aufstrebende Jungpolitikerin Alexandria Ocasio-Cortez genau wie viele der demokratischen AnwärterInnen auf die Präsidentschaftswahl 2020, beispielsweise Bernie Sanders, eine „Federal Job Guarantee“. In Berlin will Bürgermeister Michael Müller ein „Recht auf Arbeit“ für alle Berliner Langzeitarbeitslosen finanziert wissen. Im aktuellen Europawahlkampf fordert die junge sozialdemokratische Kandidatin Julia Herr ein ebensolches, während die DiEM25-Bewegung von Yanis Varoufakis auf eine europäische Jobgarantie setzt. Doch was steckt hinter dieser Idee?
Die amerikanische Idee einer „Job Guarantee“
Eine Reihe von ÖkonomInnen, die sich der Theorieschule der Modernen Geldtheorie (MMT) zugehörig fühlen, erklären die Funktionsweise einer universellen öffentlichen Beschäftigungsgarantie für die Vereinigten Staaten wie folgt: Jede Person erhält auf Wunsch das Angebot eines staatlich finanzierten Arbeitsplatzes, sofern sie arbeitsfähig, arbeitswillig und sofort verfügbar ist. Dadurch könnte ein „Recht auf Arbeit“ praktisch umgesetzt und tatsächlich gewährleistet werden.
Das Gehalt des Dienstverhältnisses entspricht im US-amerikanischen Modell einem staatlich festgelegten Mindestlohn. Anders als in Österreich gibt es in den USA kaum gewerkschaftlich ausverhandelte Kollektivverträge, die ein Mindesteinkommen festlegen. Einerseits tritt dadurch keine Konkurrenz zu bestehenden Arbeitsverhältnissen auf, weil diese im Regelfall besser bezahlt sind. Andererseits wird de facto eine effektive Lohnuntergrenze eingeführt, weil der Bruttolohn des jederzeit zugänglichen, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatzes einer Jobgarantie einen Mindeststandard am Arbeitsmarkt vorlegt. Weil jede Person auf Wunsch einen staatlich garantierten Arbeitsplatz erhält, wird die „unfreiwillige“ Arbeitslosigkeit beseitigt, die durch Konjunkturschwankungen und strukturelle Probleme auftritt. Lediglich die friktionelle Arbeitslosigkeit, die bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz auftritt, bleibt bestehen. Somit wird Vollbeschäftigung auch über den Konjunkturzyklus erreicht.
Die Jobgarantie als automatischer Stabilisator der Wirtschaft
Theoretisch kann die Arbeitsplatzgarantie als nützliches makroökonomisches Instrument zur Stabilisierung des Wirtschaftswachstums dienen, ähnlich dem Arbeitslosengeld und der Einkommensteuer. In Zeiten eines Wirtschaftsaufschwungs bieten verfügbare offene Stellen im privaten (oder regulären öffentlichen) Sektor mit höherem Gehalt einen starken Anreiz, Arbeitsplätze der Jobgarantie mit Mindestlohn zu verlassen. Während einer Rezession mit der Auflösung vieler Dienstverhältnisse besteht hingegen die Option für Arbeitslose, einen Arbeitsplatz innerhalb der Jobgarantie anzunehmen.
In Abwesenheit einer koordinierten makroökonomischen Steuerung über Fiskal- und Lohnpolitik (der Sozialpartner) haben Zentralbanken steigende Inflation in der Vergangenheit so bekämpft, dass sie durch eine Anhebung der Zinssätze eine künstliche Rezessionsdynamik mit steigender Arbeitslosigkeit geschaffen haben. Ziel war, die Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen durch Arbeitslosigkeit zu brechen. Obwohl diese Dynamik mit einer Jobgarantie intakt bleibt, wird zumindest niemand arbeitslos. Die bekannten drastischen individuellen wie gesellschaftlichen Folgen dauerhafter Arbeitslosigkeit wären so vermeidbar.
Vollbeschäftigung durch Jobgarantie oder antizyklische Fiskalpolitik?
Ein Argument gegen die Jobgarantie ist, dass das Ziel der Vollbeschäftigung mit antizyklischer Fiskalpolitik erreicht werden kann. In einem sich abzeichnenden Wirtschaftsabschwung sollte ein Konjunkturpaket beschlossen werden, und wichtige infrastrukturpolitische Investitionen sollten getätigt werden. Doch das geschieht nicht immer im nötigen Ausmaß. Um selbst im Fall eines ausreichenden Gegensteuerns auch die verbleibenden Langzeitarbeitslosen nahe der Vollbeschäftigung durch öffentliche Investitionen mitzunehmen, müsste mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden, so die Vertreter der Jobgarantie: Beispielsweise werden beim Bau einer neuen Bahntrasse nicht nur niedrigqualifizierte ArbeiterInnen beschäftigt, sondern auch mittel- und hochqualifizierte Fachkräfte. Sofern diese allerdings schon in anderen Projekten beschäftigt sind, treibt das lediglich den Preis für qualifizierte Arbeit hinauf, was zu einem Anstieg der Inflation führen kann. Öffentliche Beschäftigung durch eine Jobgarantie, so das Argument ihrer Befürworter, kann hingegen punktgenau und flexibler eingesetzt werden und auch über Konjunkturzyklen hinaus zur Erreichung von Vollbeschäftigung beitragen. Dabei würde sie gezielt die Verhandlungsmacht für die Schwächsten am Arbeitsmarkt stärken, die sonst kaum Beschäftigungsalternativen haben.
Klar ist aber, dass eine Jobgarantie allein nicht alle Probleme der Unterbeschäftigung lösen kann. Langjährige Infrastrukturinvestitionen können nicht durch Jobgarantie-Arbeitsplätze mit hoher Fluktuation erbracht werden. Aktive Industriepolitik für strukturschwache Regionen bleibt weiterhin essenziell. Ein Gegensteuern durch antizyklische Fiskalpolitik in Zeiten starker Schwankungen des Wirtschaftswachstums ist dringend notwendig, auch wenn die Jobgarantie einen zusätzlichen automatischen Stabilisator in den Sozialstaat einbaut. Bei der Jobgarantie geht es somit nicht um eine Entweder-oder-Frage, sondern um eine ergänzende wirtschaftspolitische Maßnahme, die zur Erreichung von Vollbeschäftigung einen nützlichen Beitrag leisten kann.
Ausblick
Visionäre Ideen stehen und fallen mit ihrer Umsetzung. Wichtigstes Kriterium einer Jobgarantie wird die gesellschaftliche Sinnhaftigkeit der angebotenen Jobs sein, die der Staat gut organisieren muss. In Österreich gibt es mit direkter öffentlicher Beschäftigung bereits positive, auch historische Erfahrungen mit größeren zielgruppenorientierten, auf Freiwilligkeit beruhenden Aktionen für Langzeitarbeitslose, die sinnvolle Jobs bereitgestellt haben. Konkret auszuarbeiten bleibt, wie sich eine Jobgarantie aktuell auf die Eurozone und ein Land wie Österreich innerhalb der Eurozone anpassen und übertragen lässt und wie die Erfahrungen aus vorangegangenen Projekten übernommen sowie in einem größeren Rahmen fortgeführt werden können.
Schlussendlich ist eine Jobgarantie ein spannendes Konzept, das bei einem Konjunkturabschwung die Menschen nicht sofort in Arbeitslosigkeit fallen lassen würde und im Aufschwung dazu beitragen kann, Sockelarbeitslosigkeit abzubauen. Es würde schließlich auch die Regierung zwingen, ihre ökonomische Verantwortung wieder wahrzunehmen und nicht zuletzt darüber nachzudenken, wie sie die Menschen und Arbeitskräfte in ihrem Land dabei unterstützen kann, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie in der Sozialhilfe verschwinden und verstummen zu lassen und ihr Schicksal als selbstverschuldet abzutun wäre dann nicht mehr möglich.