Mit einem Rekordhoch bei der Arbeitslosigkeit gewinnt die Diskussion um eine Arbeitszeitverkürzung an Momentum. Dabei muss nicht alles neu erfunden werden: Mit der Solidaritätsprämie gibt es bereits ein Modell, das sich auch in der Praxis bewährt hat. Dabei wird die Arbeitszeit der Beschäftigten verkürzt, um aus den frei gewordenen Stunden neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die voestalpine ist dabei das bekannteste Beispiel, aber die Erfahrungen zeigen, dass der Ansatz im Sozialbereich ebenso gut funktioniert.
20 Jahre gute Erfahrungen mit Arbeitszeitverkürzung durch das Solidaritätsprämienmodell
Einerseits weisen Vollzeitbeschäftigte in Österreich im EU-Vergleich eine der längsten Arbeitszeiten auf, andererseits hat die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr sehr stark zugenommen. Im Zuge der Corona-Krise forderte die Gewerkschaft GPA die Möglichkeit einer freiwilligen Arbeitszeitverkürzung nach dem „90 für 80“-Modell. Dieses ermöglicht jeweils vier MitarbeiterInnen eine Reduktion ihrer Arbeitszeit auf 80 Prozent, während das Entgelt nur auf 90 Prozent reduziert wird. Dafür kann eine Arbeitskraft neu eingestellt werden. Das Vorbild für dieses Modell ist das Solidaritätsprämienmodell, das bereits seit 20 Jahren angewandt werden kann.
Dabei reduzieren Beschäftigte ihre Arbeitszeit bei teilweisem Lohnausgleich um bis zu 50 Prozent, gleichzeitig wird eine beim AMS vorgemerkte Person als Ersatzarbeitskraft neu eingestellt. Das AMS ersetzt zwei Jahre lang bis zu 50 Prozent der Lohn- bzw. Gehaltsreduktion und den zusätzlichen Aufwand für Sozialversicherungsbeiträge, die auf der Basis der ursprünglichen Arbeitszeit weiterbezahlt werden. Ist die Ersatzarbeitskraft langzeitarbeitslos und über 45 Jahre alt oder behindert, ersetzt das AMS für drei Jahre diese Kosten. Wir haben uns zwei Praxisbeispiele näher angesehen.
Umstellung auf 34,5-Stunden-Woche in der voestalpine und 250 neue Jobs
Die voestalpine, einer der größten Industriebetriebe Österreichs, praktiziert das Solidaritätsprämienmodell bereits seit 2005 sehr erfolgreich. Die Arbeitszeitverkürzung im Ausmaß von 38,5 auf 34,5 Stunden wurde in einem Pilotprojekt bei der Umstellung des Schichtbetriebs erstmals eingeführt und erfreute sich sofort sehr großer Beliebtheit. Heute haben etwa 2.500 voestalpine-Beschäftigte ihre Arbeitszeit um etwas mehr als zehn Prozent reduziert, der Großteil davon SchichtarbeiterInnen, aber auch Angestellte. Somit konnten 250 vormals arbeitslose Personen neu eingestellt werden, die üblicherweise auch nach Auslaufen des geförderten Solidaritätsprämienmodells von der voestalpine gehalten werden.
Arbeitszeitverkürzung bringt geringe Einkommensverluste und hohe Zufriedenheit
Die Einkommensverluste sind gering, da kollektivvertragliche Lohnerhöhungen über einige Jahre in Freizeit umgewandelt wurden. Per Betriebsvereinbarung wurde außerdem festgelegt, dass die Löhne und Gehälter mittels innerbetrieblicher Zulagen nur auf etwa 97 Prozent sinken. Die voestalpine-MitarbeiterInnen sind außerordentlich zufrieden mit den reduzierten Arbeitszeiten und der Umstellung des Schichtbetriebs (kürzere Arbeitsblöcke, längere Freizeitblöcke), wie betriebsinterne Umfragen gezeigt haben. Insbesondere positive Auswirkungen auf die Gesundheit und die Work-Life-Balance werden sehr geschätzt, es bleibt mehr Zeit für Erholung und Familie; gleichzeitig sind die Krankenstände gesunken, und die Produktivität ist gestiegen – bei Kostenneutralität für das Unternehmen.
Dass dieses Modell aber nicht nur im Industrie- bzw. Schichtbetrieb funktioniert, sondern auch im Dienstleistungsbereich mit hoch qualifiziertem Personal, zeigt das Beispiel des Vereins VertretungsNetz in der Sozialbranche.
Das Solidaritätsprämienmodell hat sich auch im Sozialbereich bewährt
VertretungsNetz ist in acht Bundesländern tätig und vertritt Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung. Bereits bei der Einführung des staatlichen Solidaritätsprämienmodells vor 20 Jahren hat der Verein eine Betriebsvereinbarung darüber abgeschlossen, dass dieses Modell auf freiwilliger Basis mit dem Dienstgeber vereinbart werden kann. Seitdem wurde das Modell von mindestens zehn Teams und in Summe etwa 30 MitarbeiterInnen in Anspruch genommen.
Ein typisches Modell sieht etwa so aus, dass drei Teammitglieder ihre Arbeitszeit temporär um zehn Wochenstunden von 40 auf 30 Stunden reduzieren und eine beim AMS als arbeitslos gemeldete Ersatzarbeitskraft im Ausmaß von 30 Wochenstunden vorerst temporär (also für zwei bzw. drei Jahre) eingestellt wird. Nach Auslaufen der Prämie wird versucht, die bestens eingeschulte und eingearbeitete Ersatzarbeitskraft zu behalten, durch natürliche Fluktuation (Pensionierung anderer Angestellter oder Antreten einer Altersteilzeit), als Vertretung bei einer Eltern- oder Bildungskarenz bzw. eines Sabbaticals oder durch zusätzlich bereitgestellte Personalkosten. In den meisten Fällen gelingt es so, ein nachhaltiges Beschäftigungsverhältnis für die sogenannten Ersatzarbeitskräfte zu ermöglichen.
Ein Erfolgsmodell für Arbeitszeitverkürzung auf drei Ebenen
Der Betriebsratsvorsitzende des VertretungsNetzes, Günther Haberl, fasst die Faktoren für den Erfolg des Solidaritätsprämienmodell prägnant zusammen:
„Das Modell erlaubt ein Gegensteuern gegen hohe Arbeitslosigkeit und eine gerechtere Verteilung von Arbeit und ist ein Erfolgsmodell auf drei Ebenen:
- Erstens erhält eine vormals arbeitslose Person ein Beschäftigungsverhältnis,
- zweitens haben diejenigen, die ihre Arbeitszeit reduzieren, nun mehr Zeit für Hobbys oder andere Lebensbereiche bei einem nur geringen Gehaltsverlust, und
- drittens profitiert das Unternehmen, da die MitarbeiterInnen sehr zufrieden sind und weiterhin ihre Erfahrung und ihr Wissen einbringen können und hohes Engagement aufweisen.“
Quellen: Interviews mit Karl Kastenhofer (voestalpine) und Günther Haberl (VertretungsNetz)
Dieser Beitrag ist in der FORBA-Broschüre „Arbeitszeiten im Fokus – Daten, Gestaltung, Bedarfe“ erschienen und wurde für den Blog leicht adaptiert.