Männlich dominierte KI: Wo sind die Frauen?

02. November 2023

Künstliche Intelligenz ist durchzogen von einem Trend: Sie ist männlich dominiert. Fähigkeiten, KI zu bedienen, Weiterbildung zu KI, Forschung und Entwicklung von KI, Führungskräfte im KI-Bereich – überall sind Männer deutlich stärker vertreten als Frauen. Neben dem Potenzial, die Arbeitsqualität zu verbessern, birgt KI das Risiko, Geschlechterungleichheiten zu verstärken. Effektive politische Maßnahmen sind ausschlaggebend, um dem entgegenzuwirken.

KI-Fähigkeiten & -Weiterbildung sind männlich dominiert

Technologie wird typischerweise mit männlichen Attributen assoziiert und es herrscht eine männliche Überrepräsentation im technischen Bereich. Je komplexer die technologische Anwendung, desto unwahrscheinlicher wird es, dass diese von Frauen bedient wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen über Programmierkenntnisse verfügen, ist weltweit viermal geringer als für Männer. Frauen repräsentieren nur rund 30 Prozent der KI-Talente in allen großen Industriezweigen. Dies ist in den Branchen mit der höchsten Konzentration an KI-Fähigkeiten am stärksten ausgeprägt. Eine Person gilt dabei als KI-Talent, wenn sie auf ihrem LinkedIn-Profil angegeben hat, dass sie über KI-Fähigkeiten verfügt und/oder in einem als KI-Beschäftigung klassifizierten Job arbeitet.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Der breite Einsatz von KI in vielen Produktions- und Dienstleistungsbereichen erhöht am Arbeitsmarkt die Nachfrage nach KI-spezifischen Qualifizierungen. Zugang zu Weiterbildung ist deshalb gerade für Frauen essenziell. Teilzeitarbeitsverhältnisse, Arbeitszeitunterbrechungen und die Ausübung vergleichsweise niedrig qualifizierter und bezahlter Jobs führen dazu, dass Frauen in der Weiterbildung weniger gefördert werden als Männer. Es verwundert daher nicht, dass sich Frauen weniger gut auf den digitalisierten Arbeitsmarkt vorbereitet fühlen als Männer.

Bei Betrachtung einer aktuellen Studie der ILO sind diese Tendenzen besonders verheerend. Die Studie untersucht, inwiefern unterschiedliche Berufsbereiche von KI-Technologien betroffen sein werden und welche Beschäftigungseffekte daraus resultieren können. Die Ergebnisse zeigen, dass von Frauen besetzte Arbeitsplätze ein mehr als doppelt so hohes Automatisierungspotenzial durch KI haben könnten als von Männern besetzte.

Forschung & Entwicklung von KI sind männlich dominiert

Vergleichsweise wenige Frauen arbeiten in KI-bezogenen Jobs – sowohl in der (Weiter-)Entwicklung als auch in der Forschung rund um KI.

In den beiden Big-Tech-Firmen Facebook und Google ist die Belegschaft im KI-Bereich (z. B. maschinelles Lernen, Data Science) zu einem erheblichen Anteil männlich. Die Frauen, die in diesem Bereich tätig sind, arbeiten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in Positionen mit weniger Gehalt und Ansehen als Männer. Und dies, obwohl sie höhere Bildungsabschlüsse nachweisen als ihre männlichen Kollegen. Auch die starke Unterrepräsentation von Frauen an Innovationsentwicklungen nimmt nur langsam ab.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Norm, Vollzeit zu arbeiten, und die gleichzeitige Stigmatisierung von Teilzeitarbeit in männlich dominierten Bereichen spielen eine wesentliche Rolle dabei, dass Frauen erst gar nicht diesen Beruf ergreifen. Oder sie wechseln in „frauenlastigere“ Bereiche, da sie dort flexiblere Arbeitszeiten vorfinden.

Die Forschung rund um KI prägt ein ähnliches Bild. Studien zeigen, dass Frauen weniger auf führenden KI-Konferenzen vertreten sind (18 Prozent), über 80 Prozent der KI-Professor:innen männlich sind und nur 14 Prozent der Autor:innen von wissenschaftlichen Artikeln zu KI weltweit im Jahr 2020 Frauen waren. Dabei sind Frauen in der KI-Forschung zentral, damit mögliche Benachteiligungen entdeckt und durch entsprechende Reglementierungen beseitigt werden.

KI-Führungspositionen sind männlich dominiert

Nicht nur in Jobs rund um KI, sondern insbesondere in Führungspositionen sind Frauen unterrepräsentiert. CEOs der meisten KI-Unternehmen sind Männer. 2019 waren nur 18 Prozent der C-Level-Führungskräfte unter den Top-KI-Start-ups weltweit weiblich.

Die ungleiche Verteilung von Betreuungspflichten zwischen Männern und Frauen, Teilzeit als verbreitetes Beschäftigungsmodell von Frauen und Unterbrechungen aufgrund von Kinderbetreuung tragen zu diesem Ergebnis bei. Auch die Tendenz, dass Frauen häufiger in Positionen arbeiten, für die sie überqualifiziert sind, führt dazu, dass sie in Führungspositionen, insbesondere im technologischen Sektor, weniger vertreten sind.

Das Futter der KI ist männlich dominiert

KI lernt von bestehenden Daten. Diese Daten sind voll von stereotypischen Geschlechterrollen. KI übernimmt diese Muster, baut auf ihnen auf und systematisiert diese. Dies droht zu einer Verstärkung von Geschlechterungleichheiten zu führen.

So werden Frauen beispielsweise bei Bewerbungsprozessen, in denen KI angewendet wird, diskriminiert. Bei Berufen, die in der Vergangenheit typischerweise von Männern besetzt waren, wählt der Algorithmus bevorzugt männliche Profile. Die erste Auswahl passiert bereits dabei, wem welche Ausschreibung überhaupt angezeigt wird.

Auch die Stimmen von KI-betriebenen Systemen können zur Rollenverfestigung beitragen. So haben digitale Assistent:innen meist eine weibliche Stimme. Alexa und Siri spiegeln die traditionelle Rolle der Frau als erziehende und unterstützende Person wider. Digitale Berater:innen im rechtlichen, finanziellen oder medizinischen Bereich sind dagegen in der Regel männlich besetzt. Auch Suchmaschinen reproduzieren und verstärken gesellschaftliche Rollenbilder. So zeigt die Bildersuche nach Präsident:innen, Minister:innen und CEOs überwiegend Männer. Ebenso tragen und verbreiten Übersetzungssysteme Diskriminierungen. Beispielsweise werden in ursprünglich geschlechtsneutral formulierten Sätzen Berufe traditionellen Geschlechterrollen zugeteilt und das entsprechende Pronomen hinzugefügt (z. B. „er“ bei Präsident und „sie“ bei Krankenpflegerin).

Diese Diskriminierungen aufzudecken und KI entgegen diesen Rollenbildern zu trainieren ist ausschlaggebend dafür, dass der vermehrte Einsatz von KI nicht zu einer Verstärkung der stereotypisierten Geschlechterrollen führt.

Notwendige Schritte

Wie die OECD in einer qualitativen und einer quantitativen Studie feststellt, hat KI Potenzial, unsere Arbeitsqualität zu verbessern. Die Arbeitssicherheit kann erhöht, monotone Tätigkeiten können verringert und die Inklusion von vulnerablen Gruppen verbessert werden (z. B. von Menschen mit Behinderung). Damit dies gelingt, sind gezielte politische Maßnahmen notwendig.

In Bezug auf die Gleichstellung von Frauen können folgende wesentliche Ansatzpunkte genannt werden, die von den Verantwortlichen in konkrete Maßnahmen gegossen werden müssen:

  • Weiterbildung von Frauen im Bereich KI fördern

Die Nachfrage nach KI-Fähigkeiten steigt. Frauen können durch überprüfbare Zielsetzungen, Anreiz- und Quotensysteme gefördert werden, an Aus- und Weiterbildungen im KI-Bereich teilzunehmen. Nur so können sie die digitale Transformation mitgestalten.

  • Frauen in Forschung und Entwicklung sowie in Führungspositionen im KI-Bereich fördern

Der Anteil von Frauen in technischen Berufen, in Führungspositionen und in der Erforschung von KI muss erhöht werden. Beispielsweise durch folgende Maßnahmen: Offenlegung der Geschlechterzusammensetzung von Arbeits- und Führungskräften, Zielsetzungen zur Erhöhung des Frauenanteils, Sensibilisierung für die Geschlechterverteilung und für geschlechtsspezifische Vorurteile, Mentoring-Angebote etc.

  • Vereinbarung von Betreuungspflichten mit KI-Berufen

Es braucht verfügbare und erschwingliche Kinderbetreuung und die stärkere Beteiligung von Vätern an Betreuungspflichten, um der Unterrepräsentation von Frauen in KI-Berufen entgegenzuwirken. Zudem sind flexiblere Arbeitsverhältnisse und die Normalisierung von beruflichen Unterbrechungen durch Elternkarenzzeiten sowie Teilzeitarbeit notwendig.

  • Diskriminierung durch KI aufdecken und verhindern

Mehr Forschung ist notwendig, um die Funktionsweise von KI-Systemen und ihre Auswirkungen besser zu verstehen und sie entgegen vorherrschenden Diskriminierungen weiterzuentwickeln. Dafür braucht es einen breiten partizipativen Diskurs. Gesetzliche Reglementierungen zur Verhinderung von Diskriminierung müssen geprüft und eingeführt werden. Der EU AI Act schafft dazu eine wichtige Grundlage.

  • Transparenz erhöhen und Verantwortlichkeit klären

KI-Akteur:innen sollten sich zur Transparenz über die Funktionsweise von KI-Systemen verpflichten sowie Nutzer:innen über ihre Interaktion mit KI-Systemen aufklären. Nur deren Verständnis erlaubt es, Maßnahmen gegen Benachteiligungen zu setzen. Zudem muss verhindert werden, dass die (Weiter-)Entwicklung von KI in den Händen einiger weniger mächtiger Tech-Konzerne liegt.

  • Multi-Stakeholder-Ansatz und Partizipation

Regierungen, Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen und zusammenarbeiten, um die Auswirkungen von KI zu analysieren und entsprechende Maßnahmen zu setzen. Die Inklusion von betroffenen Personen, die mit KI arbeiten oder die durch den Einsatz von KI benachteiligt sein könnten, ist dabei wesentlich.

Die digitale Transformation soll keine männlich dominierte Transformation werden. Frauen, die in Forschung, (Weiter-)Entwicklung von und Maßnahmensetzung rund um KI tätig sind, sind grundlegend dafür, dass vom vermehrten Einsatz von KI alle profitieren können.

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