Langzeitarbeitslosigkeit ist sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft ein großes Problem: Sie erschwert soziale Teilhabe, lässt Potenzial ungenützt und kostet Geld. Weder gute Konjunktur noch aktivierende Arbeitsmarktpolitik haben sich bisher als erfolgreiche Mittel zur Bekämpfung des Phänomens erwiesen. Manche Länder in Europa – allen voran Frankreich – versuchen es daher mit neuen Ansätzen: staatlich geförderte und regional verankerte Jobs für alle Langzeitarbeitslosen auf freiwilliger Basis.
Sinnvolle Arbeit statt Langzeitarbeitslosigkeit
Trotz des Wirtschaftsaufschwungs der vergangenen Jahre kämpft Frankreich mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit und vor allem hartnäckiger Langzeitarbeitslosigkeit. Im März 2019 lag die Arbeitslosenquote (nach ILO-Definition) mit 8,8 Prozent weit über dem EU-Schnitt von 6,4 Prozent. Davon sind mehr als 40 Prozent langzeitarbeitslos, also seit mehr als 12 Monaten ohne Beschäftigung.
Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, erprobt Frankreich seit beinahe drei Jahren ein arbeitsmarktpolitisches Experiment: „Territoires zéro chômeur de longue durée“ – Kommunen ohne Langzeitarbeitslosigkeit. Dabei handelt es sich um staatlich finanzierte Beschäftigungsmöglichkeiten für alle, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr bekommen. Die Grundidee ist, neue Beschäftigungsverhältnisse auf Basis der vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten arbeitsloser Personen und des Bedarfs in den jeweiligen Regionen zu generieren. Dabei findet ein arbeitsmarktpolitischer Strategiewechsel statt: Statt weiterhin zu versuchen, die Zielgruppe mittels arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen fit für den Arbeitsmarkt zu machen, richtet sich der Fokus darauf, wie die Fähigkeiten der Betroffenen gesellschaftlich sinnvoll eingesetzt werden können. Die Kosten halten sich dabei in Grenzen, denn finanziert werden die Jobs teilweise mittels eines Passiv-aktiv-Transfers: also über die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, die die vormals langzeitarbeitslosen Menschen ohnehin erhalten hätten.
Ziel dieses arbeitsmarktpolitischen Experiments ist es zu zeigen, dass es möglich ist, auf regionaler Ebene sinnvolle (gesellschaftlich nützliche) Arbeitsplätze zu schaffen, die unbefristet sind, Nutzen stiften und keine Mehrkosten verursachen. Um welche Jobs es sich genau handelt, wird jeweils in den Regionen unter Miteinbeziehung möglichst aller relevanten AkteurInnen entschieden. Beispiele umfassen kommunale Dienstleistungen, administrative Unterstützung lokaler Unternehmen, Hilfsarbeiten in der Landwirtschaft, Re- und Upcycling und andere Arbeiten im Sinne der ökologischen Transformation. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Experiment sind positiv, aller Voraussicht nach wird es verlängert und in weiteren Regionen umgesetzt.
Eine Chance für alle Langzeitarbeitslosen
Das Programm steht allen langzeitarbeitslosen Menschen in einer Region zur Verfügung ohne Vorauswahl durch die zuständigen Arbeitsmarktbehörden und ist freiwillig. Die entstandenen Arbeitsplätze sollen Arbeit und Weiterbildung kombinieren, Sicherheit durch unbefristete Verträge schaffen und zusätzliche Arbeitsplätze in der Region generieren. Umgesetzt wird es teils von bestehenden Arbeitsmarktintegrationsbetrieben, die in Frankreich im Rahmen der Sozial- und Solidarwirtschaft eine lange Tradition haben, teils von Gemeinden und Kommunen. Es besteht darüber hinaus auch die Möglichkeit, eigene Unternehmen auf Basis der vorhandenen Fähigkeiten der Menschen zu gründen.
Damit Österreich international nicht zurückfällt …
Einige Elemente des französischen Experiments finden sich auch in Österreich wieder: Zahlreiche soziale Unternehmen von arbeit plus sind stark in den Regionen und Kommunen verankert und erbringen gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten, etwa im Bereich Re-Use, und verbinden soziale mit ökologischer Nachhaltigkeit.
Und auch in Österreich gab es bis vor Kurzem ein arbeitsmarktpolitisches Experiment: Die „Aktion 20.000“ bot öffentlich geförderte Arbeitsplätze für langzeitarbeitslose Menschen über 50 Jahre an, die trotz guter Konjunktur kaum mehr eine Chance am regulären Arbeitsmarkt haben. Die sozialen Unternehmen, selbst ein Ergebnis experimenteller Arbeitsmarktpolitik aus den 1980er-Jahren, verfügen über wertvolle Expertise im Hinblick auf Qualifizierung, Begleitung und Schaffung sinnvoller Beschäftigung für diese Zielgruppe und waren dementsprechend wichtige Träger der „Aktion 20.000“. Trotz der Erfolge sowohl für die beschäftigten Menschen als auch für die Arbeitgeber*innen wurde das Projekt von der türkis-blauen Regierung noch in der Pilotphase eingestellt und ist mit Ende Juni 2019 ausgelaufen.
Dieses Ende ist nicht nur ein Verlust für die beteiligten Organisationen und ehemals langzeitarbeitslosen Menschen, sondern auch für die regionale Bevölkerung. Sozial und ökologisch nachhaltige Arbeit, wie sie in vielen sozialen Unternehmen gelebt wird, kann und muss im Dialog mit allen regionalen Akteur*innen gedacht werden, nicht zuletzt um Regionalität zu stärken und wichtige (soziale) Infrastruktur in ländlichen Gemeinden zu erhalten. Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig. Beispiele reichen von einem kleinen Geschäft für den täglichen Bedarf über einen Kulturverein mit Café, der auch mobilitätseingeschränkten Menschen gesellschaftliche Teilhabe und Anschluss ermöglicht, bis hin zu Postpartnern oder regionalen Mobilitätsdienstleistungen – solche und ähnliche Initiativen sind in Frankreich im Rahmen der „Territoires zéro chômeur de longue durée“ entstanden.
… braucht es eine mutige Arbeitsmarktpolitik
Der Umstand, dass Langzeitarbeitslosigkeit auch im wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre kaum zurückgegangen ist, zeigt, dass es mutige, innovative Ansätze vonseiten der Politik braucht. Eine staatlich finanzierte Jobgarantie – vor allem für ältere Langzeitarbeitslose, die auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum mehr andocken können – kann ein solcher Ansatz sein.