Im Frühjahr 2019 wurden die arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz veröffentlicht. Dabei war das bisherige sogenannte Ministerziel – zumindest 50 Prozent der Fördermittel des Arbeitsmarktservice im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Frauen zu verwenden – nicht mehr enthalten. Doch gerade dieses Ziel trägt essenziell zur Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt bei. Dieser Beitrag beleuchtet die Wichtigkeit von Gender Budgeting für die Gleichstellung am Arbeitsmarkt.
Gleichstellungspolitik des AMS
Mehrere Jahre lang wurde vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz die explizite Vorgabe an das Arbeitsmarktservice formuliert, zumindest 50 Prozent der Fördermittel im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Frauen zu verwenden. Dass die arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben des Ministeriums vom Frühjahr 2019 diese Zielvorgabe nicht mehr enthalten haben, ist eine deutliche Abkehr von einer langjährig etablierten Praxis. Da Frauen am Arbeitsmarkt mit geschlechterbasierter Benachteiligung konfrontiert sind, soll diese Ungleichbehandlung durch einen erhöhten Fördermitteleinsatz ausgeglichen werden. Diese Benachteiligungen ergeben sich aus folgenden gesellschaftlichen Realitäten:
- Frauen verdienen für gleiche Arbeit weniger als Männer („Gender Pay Gap“): 2017 verdienten ganzjährig vollzeitbeschäftigte Frauen um 15,6 Prozent weniger als ganzjährig vollzeitbeschäftigte Männer.
- Noch immer hält sich das Phänomen der gläsernen Decke hartnäckig: Von 203 Vorstandspositionen in sämtlichen börsennotierten Unternehmen sind nur zehn mit Frauen (4,9 Prozent) besetzt.
- Die Berufswahl wird nach wie vor durch Geschlechterstereotype geprägt: 2018 waren die drei häufigsten Lehrberufe von Mädchen Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin. Die Burschen hingegen wählten Lehrberufe, die vor allem im handwerklich-technischen Bereich liegen. Die drei häufigsten waren: Metalltechnik, Elektrotechnik und KfZ-Technik.
- Noch immer sind es vor allem Frauen, die mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu kämpfen haben. Sie verkürzen ihre Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, um die unbezahlte Sorge- und Haushaltsarbeit zu leisten. Dies wiederum führt zu hohen Teilzeitquoten bei Frauen und einem massiven „Gender Pension Gap“: Die durchschnittliche monatliche Pension aller PensionistInnen betrug im Dezember 2017 bei den Männern 1.918 Euro und bei den Frauen 1.094 Euro (brutto inkl. Zulagen und Zuschüsse, ohne Sonderzahlungen).
- Wie der allgemeine Einkommensbericht 2018 des Rechnungshofs zeigt, ist die atypische Beschäftigung stark weiblich geprägt: 63 Prozent aller weiblichen unselbstständig Erwerbstätigen waren atypisch beschäftigt. Das liegt vor allem an dem hohen Teilzeitanteil unter den Frauen (56 Prozent). Unter den unselbstständig erwerbstätigen Männern ist der Anteil der atypisch Beschäftigten mit 26 Prozent deutlich geringer. Insgesamt ergibt sich somit ein Frauenanteil von 68 Prozent unter den atypischen Beschäftigungsverhältnissen (rund 1.256.900 Frauen, 578.400 Männer). Im Vergleich dazu liegt der Männeranteil bei den Normalarbeitsverhältnissen bei 68 Prozent (rund 1.617.500 Männer, 752.500 Frauen).
Ausgehend von den oben genannten Problemstellungen für Frauen am Arbeitsmarkt hat sich das AMS folgende Gleichstellungsziele gesetzt:
- Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen
- Reduktion der Frauenarbeitslosigkeit
- Verringerung der Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern
- gleicher Zugang zu allen Berufen und Positionen mit dem Ziel einer existenzsichernden Beschäftigung
Um diese Ziele zu verwirklichen und Mehrfachdiskriminierungen, von denen Frauen deutlich stärker betroffen sind, entgegenzuwirken, setzt das AMS unter anderem auf frauenspezifische Angebote – das sogenannte arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm. Dazu zählen:
Das Programm „Frauen in Handwerk und Technik“ (FiT) ermöglicht Frauen eine Ausbildung in handwerklich-technischen Berufen mit Zukunft. Neben Lehrausbildungen wird im Rahmen von FiT auch der Besuch von Studiengängen an den Fachhochschulen oder HTLs unterstützt. Damit dient FiT der Beseitigung der geschlechtsspezifischen Segregation am Arbeitsmarkt, um Frauen den Zugang in besser bezahlte Berufe mit Aufstiegschancen zu ermöglichen und gleichzeitig tradierte Rollenbilder in der Arbeitswelt weiter aufzubrechen.
Das Programm „Wiedereinstieg unterstützen“ fördert arbeitssuchende Mütter und Väter beim beruflichen Wiedereinstieg nach der familienbedingten Erwerbsunterbrechung. Das Kursangebot „Wiedereinstieg mit Zukunft“ richtet sich an Frauen und setzt an den spezifischen Rahmenbedingungen und Problemlagen der Zielgruppe an, vor allem was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anlangt.
In allen Bundesländern gibt es Frauenberufszentren, die darauf spezialisiert sind, arbeitslose und -suchende Frauen bei der Berufsorientierung und bei Fragen zu Ausbildung, Weiterbildung, Jobsuche und Kinderbetreuung zu unterstützen.
Speziell das arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm leistet einen wichtigen Beitrag zum Abbau der Hürden für Frauen am Arbeitsmarkt. Das Gender-Budgeting-Ziel (50 Prozent der Fördermittel sollen für Frauen verwendet werden) trägt dazu bei, diese Förderung von Frauen sicherzustellen und deren Erreichung zu überprüfen.
Geschlechterverteilung bei den AMS-Förderungen
Das arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm trägt zwar wesentlich zur Erreichung des Gender-Budgeting-Ziels bei, jedoch gibt es im AMS eine Vielzahl an Förderinstrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wenn man also einen gleichberechtigten Zugang sicherstellen will, müssen alle Förderinstrumente nach Geschlecht analysiert werden: Im Jahr 2018 wurde insgesamt 341.609 Personen eine Förderung des AMS genehmigt. Der Frauenanteil lag bei 50,5 Prozent.
Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wird prinzipiell zwischen Förderungen im Sinne der Beschäftigung, der Qualifizierung und der Unterstützung unterschieden, da arbeitslose Personen unterschiedliche Unterstützung benötigen. Während es arbeitslose Personen gibt, die bereits qualifizierte Ausbildungen haben, gibt es einen großen Anteil an arbeitslosen Personen, die keine oder eine unzureichende Ausbildung haben. Denn generell gilt: Je niedriger der Bildungsgrad, desto höher das Risiko der Arbeitslosigkeit. Die Beihilfen bei der Beschäftigung helfen arbeitslosen Menschen beim direkten Einstieg ins Erwerbsleben. Die Beihilfen bei der Qualifizierung tragen im Wesentlichen zur Existenzsicherung während einer Aus- oder Weiterbildungsphase bei (z. B. Deckung des Lebensunterhalts). Die Unterstützungsleistungen helfen arbeitslosen Personen vor allem bei der Bekämpfung von multiplen Problemlagen (z. B. Kinderbetreuungsbeihilfe aufgrund der hohen Kosten bei der Kinderbetreuung). Betrachtet man die unterschiedlichen gewährten Beihilfen nach Geschlecht, zeigt sich, dass Frauen Qualifizierungs- und Unterstützungsleistungen stärker als Männer in Anspruch nehmen. Männer hingegen nehmen die Beschäftigungsleistungen stärker als Frauen in Anspruch. Betrachtet man die Beihilfen im Detail, werden geschlechterspezifische Zugänge sichtbar: Während beispielsweise die „Kinderbetreuungsbeihilfe“ stark von Frauen in Anspruch genommen wird, werden Beihilfen wie „Kurzarbeit“ und „Solidaritätsprämie“, die stark im handwerklich-technischen Bereich zum Einsatz kommen, fast ausschließlich von Männern in Anspruch genommen. Bei der Berechnung des Gender-Budgeting-Ziels 2018 wurden die kumulierten Förderzahlungen betrachtet – exklusive der Kurzarbeit, der Solidaritätsprämie und des Älterenprogramms „Aktion 20.000“ –, da diese Programme zum Großteil Männern zugutekommen. Zehn Jahre lang – ab dem Beginn der Wirtschaftskrise – hatte das AMS das gesetzte Ziel „50 Prozent Fördermittel für Frauen“ nicht mehr gänzlich erreicht. Erst aufgrund verstärkter Anstrengungen im Bereich des Controllings und des gezielten Mitteleinsatzes konnte 2018 das Gender-Budgeting-Ziel mit 50,5 Prozent wieder erreicht werden.
AMS-Beihilfen Frauen Männer Frauenanteil Gesamt Beschäftigung insgesamt 28.352 31.001 47,8 % 59.353 Eingliederungsbeihilfe (BEBE) 16.592 18.887 46,8 % 35.479 Förderung für Ersatzkräfte während Elternteilzeit bzw. Karenz (EK) 5 15 25 % 20 Entfernungsbeihilfe (ENT) 597 598 50 % 1.195 Ein-Personen-Unternehmen (EPU) 208 276 43 % 484 Gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt (GBP) 2.232 1.668 57,2 % 3.900 Kombilohn (KOMB) 3.069 1.868 62,2 % 4.937 Kurzarbeit (KUA) 89 1.492 5,6 % 1.581 Sozialökonomischer Betrieb (SÖB) 8.460 8.106 51,1 % 16.566 Solidaritätsprämie (SOL) 14 277 4,8 % 291 Qualifizierung insgesamt 114.366 110.044 51 % 224.395 Arbeitsstiftung (AST) 2.702 1.758 60,6 % 4.460 Bauhandwerk (BHW) 0 321 0,00 % 321 Bildungsmaßnahmen (BM) 77.516 73.945 51,2 % 151.456 Deckung des Lebensunterhalts (DLU) 84.319 77.559 52,1 % 161.874 Fachkräftestipendium (FKS) 938 824 53,2 % 1.762 Höherqualifizierung für Beschäftigte in Gesundheits- und Sozialberufen und Kindergartenpädagogik (GSK) 150 35 81,1 % 185 Kurskosten (KK) 10.024 7.459 57,3 % 17.483 Kursnebenkosten (KNK) 45.208 44.246 50,5 % 89.451 Lehrstellenförderung (LEHR) 3.887 6.605 37 % 10.492 Qualifizierung für Beschäftigte (QBN) 8.163 5.404 60,2 % 13.562 Beihilfe für Schulungskosten für Beschäftigte in Kurzarbeit (SFK) 0 36 0 % 36 Unfallversicherung (UV) 19.897 22.152 47,3 % 42.047 Unterstützungsbeihilfen gesamt 86.428 77.740 52,7 % 164.167 Beratungs- und Betreuungseinrichtungen (BBE) 72.957 70.737 50,8 % 143.693 Gründungsbeihilfe (GB) 2.278 2.809 44,8 % 5.087 Kinderbetreuungseinrichtungen (KBE) 74 0 100,0 % 74 Kinderbetreuungsbeihilfe (KBH) 9.987 224 97,8 % 10.211 Unternehmensgründungsprogramm (UGP) 3.607 4.308 45,6 % 7.915 Vorstellbeihilfe (VOR) 1.951 3.396 36,5 % 5.347 Förderungen gesamt 172.574 169.053 50,5 % 341.609 Gender Budgeting im AMS