Personalmangel in der Gastro? Stellschraube Arbeitsbedingungen!

31. Januar 2023


In der aktuellen Debatte zum sogenannten Fachkräftemangel im Gastgewerbe ist auffällig, dass die Sicht der Beschäftigten selbst kaum abgebildet wird. Eine von der AK Oberösterreich geförderte Studie der Universität Wien schließt diese Lücke und stellt die Erfahrungen der Beschäftigten ins Zentrum. Die Interviews zeigen deutlich, dass diese die Situation eines vermeintlichen Fachkräftemangels mit anderen Augen sehen, als dies vor allem von Arbeitgeber:innenseite dargestellt wird. Und auch die quantitativen Daten relativieren den Diskurs zum Fachkräftemangel in der Branche.

Daten und Fakten zur Beschäftigung in einer Schlüsselbranche

In Österreich hat der Tourismus einen besonders hohen Stellenwert, zumal die in diesem Sektor erwirtschafteten Einnahmen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt hierzulande hoch sind. In der Pandemie war die Branche von den Schließungen von Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben während der Lockdowns und der temporären Reisebeschränkungen besonders getroffen. So ging im Tourismusjahr 2020/21 im Vergleich zum Vorjahr die Beschäftigung in der Branche um 21 Prozent zurück und die Arbeitslosigkeit stieg um 15 Prozent an. Als nach den pandemiebedingten Schließungen in der Branche der Tourismus wieder einen konjunkturellen Aufschwung erlebte, wurden vielfach Stimmen laut, die beklagten, Gastwirt:innen und Hoteliers würden kein Personal mehr finden, weil in der Krise viele Beschäftigte aus der Branche ausgestiegen seien und sich umorientiert hätten oder die Beschäftigten schlichtweg nicht mehr arbeiten wollten. In einer aktuellen österreichweiten Unternehmensbefragung im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich wird der Fachkräftemangel in der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft als besonders stark eingeschätzt. Allerdings relativieren die vorliegenden Beschäftigungsdaten diese Einschätzungen. Im Vergleich zu 2019 waren im Sommer 2022 österreichweit sogar etwas mehr Menschen in Gastronomie und Beherbergung beschäftigt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Obwohl in Österreich der Beschäftigtenstand bereits über dem Vorkrisenniveau liegt, wird in der Branche auffällig viel Personal gesucht. So verzeichnete das Hotel- und Gastgewerbe im Vergleich zum Sommer 2019 im Sommer 2022 (Juni) fast doppelt so viele ausgeschriebene offene Stellen. Dass die Frage, ob in bestimmten Berufsfeldern ein Fachkräftemangel vorliegt, in der Regel durch eine Gegenüberstellung von offenen Stellen und gemeldeten Arbeitslosen (Stellenandrang) sowie anhand von Unternehmensbefragungen beantwortet wird, wurde bereits durch eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) aus dem Jahr 2015 kritisiert. Denn „die damit erzielten Ergebnisse beziehen sich jeweils auf Teilbereiche der Nachfrage-Angebots-Relation und geben insofern nicht einen objektiven Tatbestand wieder […], sondern bilden vielmehr eine bestimmte Problemsicht ab“. Insgesamt weisen die Daten weniger auf einen Fachkräftemangel in der Branche als auf die hohe Volatilität der Beschäftigung in der Branche hin. Sowohl qualitative als auch quantitative Studien nennen als wesentliche Ursache hierfür die häufig belastenden Arbeitsbedingungen (z. B. ungünstige Arbeitszeiten, hohe gesundheitliche Belastung, geringe Entlohnung sowie mangelnde Aufstiegschancen) und diskontinuierliche Erwerbsverläufe, die sowohl die Rekrutierung von Arbeitskräften als auch den längerfristigen Branchenverbleib erschweren und den Tourismus zunehmend als Übergangs- bzw. Fluchtbranche erscheinen lassen.

Perspektiven der Beschäftigten auf den „Fachkräftemangel“

Auf die Debatte um den Fachkräftemangel in der Branche angesprochen, findet ein in der Studie befragter Kellner deutliche Worte: „In Österreich gibt es genug qualifiziertes Personal, man sollte die einfach nur anständig bezahlen, dann gibt es auch kein Gejammer mehr von wegen: ich finde niemanden. […] Es gibt genug Personal. Wenn du zu schlecht bezahlst, dann kommt niemand. Die sagen, da bin ich lieber Staplerfahrer oder räume beim Billa Regale ein.“ Der Interviewte versteht den Diskurs zum sogenannten Fachkräftemangel im Gastgewerbe als einen Scheindiskurs, der von der eigentlichen Ursache des Personalmangels in vielen Betrieben ablenkt: der niedrigen Bezahlung. Diese Einschätzung wird auch von quantitativen Daten bestätigt, die zeigen, dass die Arbeit im Gastgewerbe in den meisten Positionen stark unterdurchschnittlich entlohnt wird. Gegliedert nach der Wirtschaftstätigkeit, lag der Anteil der Niedriglohnbeschäftigung in Beherbergung und Gastronomie mit 58,7 Prozent an der Spitze, wobei Trinkgelder im Rahmen der Verdienststrukturerhebung nicht erfasst sind. Dies spiegelt sich auch im Bruttomedianeinkommen wider, das im Jahr 2020 mit 1.650 Euro in Beherbergung und Gastronomie fast ein Drittel unterhalb des österreichischen Gesamt-Medians über alle privatwirtschaftlichen Branchen hinweg lag. In vielen Fällen werden – wie die Studie zeigt – nicht einmal die ohnehin niedrigen Löhne korrekt ausgezahlt.

Kosteneinsparung und Lohndiebstahl

Die Strategien der Kosteneinsparung und zum Teil auch des Lohndiebstahls reichen von der Anmeldung der Beschäftigten unterhalb ihrer Qualifikation über unbezahlte Überstunden, der Manipulation von Arbeitsaufzeichnungen bis hin zu zweifelhaften All-in-Vereinbarungen. So erzählt eine Köchin in der Spitzengastronomie, dass sie in der Regel 15 statt der vorgesehenen elf Stunden am Tag arbeite. Diese Überstunden gingen verloren, denn: „Das steht auch im Vertrag, dass ich das als Weiterbildungsmöglichkeit in einem renommierten Lokal sehen soll. Damit haben sie sich abgesichert.“

Arbeitszeit-Unzufriedenheit

Die Befragten der Studie problematisieren vor allem auch die unangemessene Relation zwischen den hohen Anforderungen bezüglich Arbeitszeiten, Arbeitsdruck und den gefragten Kompetenzen einerseits und dem, was dann am Konto ankommt, andererseits. Unter allen Befragten gab es große Unzufriedenheit mit den Arbeitszeiten: als besonders belastend werden geteilte Dienste, zu regelmäßige Wochenendarbeit, häufige Überstunden und zu kurze Ruhezeiten genannt. Dabei haben die Beschäftigten durchaus Verständnis für die spezifischen Voraussetzungen im Gastgewerbe, z. B. im Bedienen von Randzeiten. Doch wenn beispielweise Ruhezeiten systematisch verletzt werden, ist für die Beschäftigten eine Grenze überschritten. Eine junge Auszubildende zur Restaurantfachfrau berichtete beispielsweise davon, dass sie in einem Landgasthaus im Salzkammergut regelmäßig bis in die Morgenstunden arbeiten musste: „Das Längste, was ich gearbeitet habe, war bis um 6 Uhr in der Früh. Dann habe ich irgendwie nach Hause fahren müssen. Eine Stunde habe ich, glaube ich, geschlafen und dann habe ich schon wieder zum Bus [zurück in die Arbeit] müssen.“

Besonders betroffen: Lehrlinge

Wenngleich aus den Arbeitsmarktdaten kein Rückgang des Beschäftigtenstands in der Branche gefolgert werden kann, wird allerdings deutlich, dass sich immer weniger junge Menschen für eine Ausbildung in der Branche entscheiden. Im Vergleich zu anderen Branchen verzeichnet der Tourismus seit Jahren durchgehend einen überdurchschnittlichen Lehrstellenüberhang, d. h. es gibt mehr offene Lehrstellen als Lehrlinge. Ende Mai 2022 standen in Österreich 2.409 sofort verfügbare Lehrstellen in Tourismusberufen 262 sofort verfügbaren Lehrstellensuchenden gegenüber. Dabei ist die Zahl der Jugendlichen, die den Beruf Koch/Köchin erlernten, laut Lehrlingsstatistik zwischen 2011 und 2021 um 40 Prozent gesunken. Die Lehrberufe Gastronomiefachmann/-frau und Restaurantfachmann/-frau verzeichneten mit minus 58 Prozent und minus 50 Prozent sogar noch stärkere Rückgänge. Deutlich höher als im Branchendurchschnitt ist in der Gastronomie auch die Drop-out-Quote bei Lehrlingen. Zwischen 2018 und 2020 betrug diese beispielsweise für Restaurantfachfrauen/-männer 51 Prozent und bei Köch:innen 40,7 Prozent (im Vergleich zu 27,5 Prozent im Gesamtdurchschnitt).

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Die qualitativen Befunde der aktuellen Studie weisen auf die Hintergründe für die rückläufige Attraktivität der Lehrberufe im Tourismus hin. Zwar beschrieben die befragten Lehrlinge eine hohe Anfangsmotivation und ein großes inhaltliches Interesse an der Tätigkeit in der Branche, die jedoch schnell von schwierigen und zum Teil unzulässigen Ausbildungsbedingungen, massiven Übertretungen von Jugendschutz- und Arbeitszeitbestimmungen und ausbildungsfremden Tätigkeiten im Betrieb überschattet wurden. Die Studie bestätigt damit quantitative Erhebungen wie die des Lehrlingsmonitors von AK, ÖGJ und ÖGB. Auch diese zeigen, dass die Wunschberufsquote eher überdurchschnittlich ist, die Bedingungen in den Lehrbetrieben die jungen Menschen aber dann enttäuschen. Wer gerne Köchin werden will und dann aufgrund von Personalknappheit drei Jahre nur am Frühstücksbuffet steht, denkt irgendwann über einen Branchenausstieg nach.

Besonders betroffen: Migrant:innen

Die Studie bildet deutlich ab, dass gerade junge Beschäftigte, aber auch Migrant:innen zu besonders vulnerablen Gruppen innerhalb der Branche zählen. Diese Gruppen sind am stärksten von Arbeitsrechtsverletzungen betroffen, da sie häufig als „günstigere“ Arbeitskräfte wahrgenommen werden, die sich weniger zur Wehr setzen. Die befragten Migrant:innen berichteten außerdem von Exklusionserfahrungen aufgrund fehlender Sprachkenntnisse. Dass ihre Ausbildungszertifikate in Österreich häufig nicht anerkannt werden und sie zudem oft nur mangelndes Wissen über ihre Arbeitsrechte haben, sind weitere Gründe, warum Migrant:innen vor allem niedrig entlohnte, prekäre Positionen in der Branche einnehmen. Zudem werden Migrant:innen oft mit rassistischer Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert, wie der Fall eines Rezeptionisten eines Linzer Stadthotels zeigt. Mit der Begründung „Du kommst aus Bangladesch, du bist solche Arbeiten gewohnt“ wurde er regelmäßig zu Reinigungsarbeiten verpflichtet. Besonders prekär ist die Lage von migrantischen Saisoniers aus Drittstaaten in der Branche. Dass Beschäftigungsbewilligungen vom AMS an die Betriebe und nicht an die Beschäftigten selbst ausgestellt werden, befördert die Abhängigkeit vom jeweiligen Unternehmen und damit potenziell auch Ausbeutung.

Würdest du deine Kinder in die Gastronomie schicken?

Insgesamt machen die Interviewten deutlich, dass die Probleme der Branche nicht erst seit Corona bestehen. Vielmehr gingen diesen eine lange vorhandene monetäre wie gesellschaftliche Geringschätzung der Beschäftigten im Tourismus voraus. Hinter dem sogenannten Fachkräftemangel steht für die zitierten Interviewten daher weniger ein Personalmangel an sich als vielmehr Rekrutierungsschwierigkeiten von Unternehmen, in denen schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. Denn wie ein Kellner in der Studie treffend formuliert: „Also, die Betriebe, bei denen alles passt, die finden eh wen.“ Ein Betriebsrat bringt die Gründe, warum immer weniger junge Beschäftigte sich für eine Laufbahn in der Branche entscheiden, auf den Punkt, wenn er sagt: „Warum sollte ein junger, gesunder Mensch in die Gastronomie gehen, wo er weiß, er muss am Wochenende arbeiten, er hat in der Nacht länger Dienst, er weiß, dass die Arbeitszeiten regelmäßig verletzt werden, er weiß, dass die Entlohnungen oft verletzt werden? […] Die einfachste Frage ist immer, wenn mich jemand fragt, wieso es keine Fachkräfte gibt: Würdest du deine Kinder in die Gastronomie schicken? Wenn er dann Ja sagt, dann hat man was richtig gemacht.“

Veränderungspotenziale

Dabei sind die Veränderungen, die es bräuchte, um „es richtig zu machen“, vielfach bekannt. Dringend notwendig wäre eine Verbesserung der Entlohnung und der Arbeitsbedingungen: Existenzsichernde Grundlöhne, transparente Auszahlungspraxen und die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen insbesondere in Bezug auf Arbeitszeit- bzw. Arbeitsruheregelungen sollten selbstverständlich sein. Darüber hinaus stellen folgende Vorschläge wichtige Ansatzpunkte für eine zukunftsfähige Neuausrichtung der Branche dar:

  • Hinsichtlich des branchenübergreifend niedrigsten Bruttomedianeinkommens braucht es eine dringende Anhebung der kollektivvertraglichen Löhne. Darüber hinaus sollten sich die hohen Anforderungen der Arbeitgeber:innen an die Beschäftigten in der Branche in deren Überzahlungsbereitschaft widerspiegeln.
  • Angesichts der Tatsache, dass in der Branche Löhne und Gehälter sowie Überstunden häufig nicht anspruchsgemäß abgegolten werden, sind Arbeitnehmer:innen mitunter darauf angewiesen, ihre Ansprüche im Nachhinein geltend zu machen. Dies ist aktuell nur innerhalb enger Fristen möglich. Die derzeit im Kollektivvertrag vorgesehenen Verfallsfristen für offene Entgeltansprüche von vier Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und für fehlende Überstundenabgeltungen von ebenfalls vier Monaten während des laufenden Arbeitsverhältnisses sind daher zu streichen.
  • Die vor vier Jahren erfolgten Gesetzesänderungen im Arbeitszeitgesetz und Arbeitsruhegesetz – insbesondere die vereinfachte Möglichkeit, im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe die tägliche Ruhezeit von zwölf auf acht Stunden zu verkürzen – sind zurückzunehmen und unter Einbindung der Sozialpartner neu zu gestalten. Ebenso bedarf es der Förderung neuer Strategien, wie u. a. flexibler Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitverkürzungen, die Tourismusberufe wieder attraktiver machen können.
  • Neben fairen, gesund und zufrieden haltendenden Arbeitsbedingungen braucht es auch verbesserte Entwicklungsmöglichkeiten und längerfristige Perspektiven für die Beschäftigten in der Branche. Dabei wäre die Integration von lebensorientierten Ansätzen, die zum Beispiel die besonderen Voraussetzungen und Bedürfnisse von Arbeitnehmer:innen mit Familie oder älteren Beschäftigten berücksichtigen, von zentraler Bedeutung.
  • Ein Wandel der Branchenkultur: weg von einem rauen Umgangston sowie stark ausgeprägten Hierarchien und hin zu einem größeren Bewusstsein der Arbeitgeber:innen über ihre Fürsorgepflichten, Maßnahmen zur Linderung des Arbeitsdrucks im Betrieb, der vor allem in kleineren Betrieben Arbeitgeber:innen ebenso trifft, sowie Strategien zur Stärkung von Personalführungskompetenzen.
  • Die Qualitätssicherung in der dualen Lehrausbildung muss hinsichtlich der Erkenntnisse der Studie ein klares Ziel darstellen. Die betriebliche Lehrstellenförderung sollte dahingehend weg vom Gießkannenprinzip hin zur Förderung von Betrieben, die sozial benachteiligten Jugendlichen eine Chance geben, niedrige Lehrabbruchsquoten haben und qualitätsvoll ausbilden, umgestaltet werden.
  • Dringend geboten ist auch ein Umdenken: weg von einer Förderung der Ausbeutbarkeit günstiger Arbeitskräfte aus dem Ausland und hin zu einer Stärkung am Arbeitsmarkt benachteiligter Beschäftigter. Unterstützend wäre insbesondere eine Ausweitung niederschwelliger Angebote der (Arbeitsrechts-)Beratung für migrierte Beschäftigte in ihren Erstsprachen.
  • Eine Vermittlung des Arbeitsmarktservice in Betriebe mit systematischen Arbeitsrechtsverletzungen oder Anzeigen beim Arbeitsinspektorat ist strikt abzulehnen. Es braucht eine genaue Prüfung der Vermittlungspraxis und mehr Ressourcen für das Arbeitsmarktservice.

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