Die EU-Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen („Lohntransparenzrichtlinie“) ist seit 6. Juni 2023 in Kraft. Die EU-Mitgliedstaaten haben nun drei Jahre Zeit für die Umsetzung. Dies bietet Österreich die Chance, das Tabu rund um das Thema Entgelt zu durchbrechen und einen Kulturwandel herbeizuführen. Reden wir also zukünftig übers Geld zwischen Kolleg:innen, in Unternehmen und darüber hinaus in der Gesellschaft.
Das Tabuthema Bezahlung hemmt die offene Diskussion
Beschäftigte fragen sich, ob sie ihr Einkommen untereinander besprechen dürfen. Betriebsrät:innen zweifeln, ob sie die Einkommensberichte weitergeben dürfen. Jährlich hören wir am Equal Pay Day: „Wir sollten mehr Frauen in MINT-Berufe bringen. Und wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken.“ Aber über Entgeltdiskriminierung wird selten offen gesprochen.
Generell wird hierzulande übers Geld nicht geredet. Dieses Tabu verhindert das Erkennen von struktureller Entgeltdiskriminierung. Damit wird auch die Veränderung hin zu mehr Einkommensgerechtigkeit blockiert.
Transparenz ist der Schlüssel, um die Lohnschere zu schließen
Analysen der Statistik Austria zu den Einflussfaktoren auf den Gender Pay Gap zeigen, dass bisher nur ein knappes Drittel des gesamten Gender Pay Gaps statistisch erklärbar ist. In welchen Branchen oder Positionen Frauen und Männer arbeiten, ob in Teilzeit oder Vollzeit, oder in welchem Unternehmen oder Bundesland – alle diese strukturellen Ungleichheiten machen nicht den Großteil des Gender Pay Gaps aus.
Neben diesem erklärten Anteil bleiben mehr als zwei Drittel des Gender Pay Gap statistisch unerklärt. Eine Hypothese ist, dass es sich dabei in großen Teilen um Entgeltdiskriminierung handelt. Um diesen Teil des Gender Pay Gaps nachhaltig zu reduzieren, braucht es mehr Lohntransparenz. Erst ein besserer Zugang zu Daten rund um die Bezahlung ermöglicht auch eine bessere Rechtsdurchsetzung individuell und eine gesamtgesellschaftliche Reduzierung der geschlechtsspezifischen Lohnschere.
Lohntransparenz bewirkt den Kulturwandel auf allen Ebenen
Die Transparenz rund um die Bezahlung ist entscheidend für den Kampf um die Entgeltgleichheit. Sie enthüllt Unterschiede und Diskriminierungen in den Entlohnungsstrukturen von Unternehmen. Das bringt Vorteile auf mehreren Ebenen: Sie ermöglicht individuelle Klagen gegen Entgeltdiskriminierung. Betriebe können Maßnahmen ergreifen, um aufgedeckte Entgeltdiskriminierung zu beseitigen. Auf gesellschaftlicher Ebene hat Lohntransparenz das Potenzial, systemische Diskriminierungen aufzudecken und das Recht auf gleiches Entgelt insgesamt zu stärken. Im Detail sieht die EU-Richtlinie zur Lohntransparenz auf allen Ebenen konkrete Maßnahmen vor, die für Österreich chancenreiche Neuerungen bringen.
Auskunftsrecht und Abschaffung von Verschwiegenheitsklauseln stärken Beschäftigte
Auf individueller Ebene sieht die Lohntransparenzrichtlinie zwei wichtige Maßnahmen vor: Einerseits haben Beschäftigte einen Auskunftsanspruch über die durchschnittliche Entgelthöhe von einer Gruppe von Beschäftigten, die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie sie selbst verrichten. Vereinfacht gesagt: Beschäftigte können damit nicht das konkrete Einkommen ihrer Kolleg:innen abfragen, aber das durchschnittliche Entgelt einer vergleichbaren Gruppe von Beschäftigten. Dieser Auskunftsanspruch unterstützt Beschäftigte bei der Einschätzung, ob eine Benachteiligung gegenüber vergleichbaren Gruppen von Kolleg:innen vorliegt.
Für Österreich ist ein solches individuelles Auskunftsrecht gänzlich neu. Für die Umsetzung in der Praxis ist der niederschwellige Zugang wichtig, und dass Formalitäten hintangestellt werden. Hierfür zahlt sich ein Blick nach Deutschland aus, wo das bereits seit 2017 bestehende Auskunftsrecht wegen formalen Hürden kaum genützt wird.
Andererseits heißt es mit der Umsetzung der EU-Richtlinie, Adieu zu Verschwiegenheitsklauseln über das Entgelt zu sagen: Diese sagt klar, dass Beschäftigte nicht daran gehindert werden dürfen, ihr Entgelt freiwillig offenzulegen, um den Grundsatz des gleichen Entgelts durchzusetzen. Generelle Verschwiegenheitsklauseln werden dadurch künftig verboten sein, was Einzelnen die Angst nehmen kann, über ihr Entgelt zu sprechen.
Betriebe müssen sich aktiver mit geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden beschäftigen
Auf betrieblicher Ebene bringt die Lohntransparenzrichtlinie bedeutsame Veränderungen in zwei Schlüsselaspekten: Bisher sind in Österreich Arbeitgeber:innen ab 151 Beschäftigten verpflichtet, alle zwei Jahre Einkommensberichte zu erstellen. Zum einen wird diese Verpflichtung auf Arbeitgeber:innen ab 100 Beschäftigten ab dem Jahr 2031 erweitert. Zum anderen müssen Einkommensberichte auch ergänzende und variable Entgeltbestandteile ausweisen. Boni, Prämien oder Sachbezüge werden somit transparent. Und der Einkommensbericht bleibt nicht unternehmensintern, sondern wird an die nationale Überwachungsstelle zur Veröffentlichung übermittelt.
Außerdem führt die Richtlinie eine für Österreich neue Entgeltbewertung ein: Arbeitgeber:innen müssen geschlechtsspezifische Lohndifferenzen von mindestens fünf Prozent rechtfertigen oder innerhalb von sechs Monaten beheben. Andernfalls müssen sie gemeinsam mit den Arbeitnehmer:innenvertretungen eine Entgeltbewertung durchführen und es werden dort Maßnahmen zur Beseitigung dieser Unterschiede erarbeitet. Endlich werden die Einkommensberichte mit konkreten Maßnahmen verbunden – was eine langjährige Forderung der Arbeiterkammer erfüllt.
Die breite Öffentlichkeit bekommt endlich Zugang zu mehr Entgeltdaten
Neu wird auch die nationale Überwachungsstelle zum Thema Lohntransparenz sein. Diese Stelle sammelt und veröffentlicht die Einkommensberichte. Sie entwickelt auch Instrumente zur Unterstützung von Unternehmen bei der Umsetzung des neuen Auskunftsanspruchs und effektiver Einkommensberichte. Darüber hinaus übernimmt die Überwachungsstelle auch Aufgaben zur Sensibilisierung der Gesellschaft für die Notwendigkeit des Schließens der geschlechtsspezifischen Lohnschere.
Wie diese Stelle konkret in Österreich ausgestaltet sein wird – ob neu oder als Teil einer bestehenden Institution –, das wird Teil der Debatten in der Umsetzung sein. Jedenfalls wirksam ist eine sozialpartnerschaftliche Organisation der Überwachungsstelle, um der zentralen Rolle der Sozialpartner in der kollektivvertraglichen Entgeltgestaltung Rechnung zu tragen und ihre Expertise und Kompetenz aktiv zu nutzen.
Aufruf zur klugen Umsetzung der Richtlinie in Österreich
Die Umsetzung der Lohntransparenzrichtlinie in Österreich bietet eine einzigartige Gelegenheit, die Geschlechtergleichstellung zu stärken. Drei wesentliche Aspekte können diesen Prozess besonders effektiv gestalten:
- Verlagerung der Verantwortung auf Arbeitgeber:innen: Bisher mussten Beschäftigte beweisen, dass eine Entgeltdiskriminierung vorliegt und Lohnfairness in Einzelverfahren erstreiten. Zukünftig dreht sich die Beweislast: Arbeitgeber:innen müssen beweisen, ob Unterschiede in der Bezahlung auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien erklärt werden können.
- Breite Anwendung für KMUs: Die Beschränkung auf Arbeitgeber:innen ab 100 Beschäftigten sollte in Österreich kritisch überdacht werden. Das würde nämlich entgegen dem Zweck der Richtlinie bedeuten, dass weiterhin in der Privatwirtschaft nur rund 0,6 Prozent aller Betriebe und 53 Prozent der Beschäftigten umfasst sind. Für die übrigen 47 Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft soll es keine Einkommensgerechtigkeit geben? Das erscheint mehr als unfair!
Es braucht mehr als eine Erfüllung der Minimalverpflichtung. Ein gradueller Stufenplan sollte im Vollausbau zumindest Arbeitgeber:innen ab 25 Beschäftigten dazu verpflichten, Einkommensberichte zu erstellen und als Instrument zu nutzen. Das trägt den Zielen der EU-Richtlinie und den tatsächlichen Gegebenheiten der österreichischen Unternehmenslandschaft Rechnung. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund eines Gender Pay Gaps von knapp 19 Prozent (2021) relevant.
- Instrumente zur Unterstützung in der Umsetzung: Der „erhobene Zeigefinger“ reicht nicht aus, um den Kulturwandel hin zur gelebten Lohntransparenz zu bewirken. Betriebe und Betriebsrät:innen brauchen in diesem Prozess Unterstützung. Ein Werkzeugkoffer für die Erstellung und Auswertung von Einkommensberichten ist ebenso notwendig wie praktische Instrumente zur Bewertung von gleichwertiger Arbeit. Die Einbindung der Sozialpartner:innen in die Erstellung der Instrumente kann sicherstellen, dass die Instrumente zur Unterstützung der Umsetzung praxistauglich für Betriebsrät:innen und Betriebe gestaltet sind.
Die Uhr tickt!
Die EU ist mit der Richtlinie zur Stärkung der Lohntransparenz in eine Steilvorlage gegangen. Österreich kann den Rückenwind von der europäischen Ebene gut gebrauchen, um sich vom vorletzten Platz im EU-Ranking nach oben zu katapultieren.
Das kommt jedoch nicht von selbst. Die Umsetzung erfordert rasche und ambitionierte Schritte, gerade für den breiten Umsetzungsbedarf in Österreich. Die Diskussionen zur konkreten Ausgestaltung der Umsetzung sollte dringend starten. Es braucht die zuständigen Ministerien, Expert:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft und insbesondere die Sozialpartner:innen am Tisch. Die Sozialpartnerschaft bringt die Zuständigkeit und Expertise für die Kollektivvertragsgestaltung in die Diskussion ein und kann dafür sorgen, dass die Umsetzung ebenso praktisch wie effektiv für Beschäftigte und Arbeitgeber:innen erfolgt.