Die Beteiligung aller am wachsenden Wohlstand war und ist ein wichtiges Ziel der Gewerkschaften. Dabei wurden immer wieder Maßnahmen gesetzt, um die unteren Lohngruppen stärker anzuheben als die höheren. Gewerkschaftliche Mindestlohnpolitik zielt darauf ab, eine Lohnuntergrenze über möglichst alle Branchen und Beschäftigungsverhältnisse festzulegen. Die aktuelle Mindestlohnforderung liegt bei 1.700 Euro und wurde 2018 beim ÖGB-Kongress im Programm 2018–2023 festgeschrieben. Das Ziel von 1.500 Euro (14 mal im Jahr) wurde bereits umgesetzt. Das ist auch eine wichtige Maßnahme, um den Gender-Pay-Gap zu verringern. Die Entwicklung der kollektivvertraglichen Lohngruppen bestätigt die Wirksamkeit dieser Politik.
Mindestlöhne für alle, auch ohne Unterstützung der Regierung
In Österreich gilt für rund 95–98 % aller unselbständig Beschäftigten ein Kollektivvertrag. Die außerordentlich hohe tarifvertragliche Deckungsrate ermöglicht den Gewerkschaften, direkt Einfluss auf die Mindestentgelte bei fast allen Beschäftigtengruppen zu nehmen. In Ländern ohne flächendeckende und branchenweite Tarifverträge können über gesetzliche Mindestlöhne ausschließlich die am geringsten entlohnten Beschäftigtengruppen erreicht werden. Beträchtliche Lohnunterschiede innerhalb und zwischen den Wirtschaftsbranchen galten als charakteristisch für den österreichischen Arbeitsmarkt, wie Mesch 2004 oder Leoni/Pollan 2011 feststellten. Dieser Entwicklungsbefund scheint sich aber den jüngsten Daten zufolge abzuschwächen; so weist Österreich nach der neuesten Arbeitskostenstudie von EUROSTAT vergleichsweise geringe Lohnunterschiede zwischen den Branchen auf. Im Ländervergleich der EU-28 liegt die mittlere Streuung der Arbeitskosten über alle Wirtschaftsbranchen in Österreich unter dem Wert für den gesamten Euro-Raum. Nur in den skandinavischen Ländern, Belgien, den Niederlanden, Slowenien und Frankreich sind die Lohnunterschiede zwischen den Branchen niedriger.