Unternehmensvertreter:innen und ihnen nahestehende Think-Tanks behaupten, dass die hohe Teilzeitquote in Österreich durch eine „Teilzeitfalle“ im Steuer- und Abgabensystem bedingt sei, zuletzt zum Beispiel die Agenda Austria. Ein genauerer Blick zeigt, dass die Analyse an der Realität der Beschäftigten vorbeigeht. Die empfohlenen Maßnahmen stellen nicht nur keine Lösung für den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft dar, sondern bringen die große Gefahr einer weiteren Steigerung der Ungleichheit mit sich. Sinnvoller ist eine Politik, die Vollzeit ermöglicht, wo auch die Arbeitgeber in der Pflicht stehen.
Hohe Steuern auf Arbeit: der feine Unterschied
Das Kernargument von Agenda Austria & Co ist, dass es sich in Österreich nicht lohnen würde, die Arbeitsstunden auszuweiten. Steuern und Abgaben, die mit dem Einkommen steigen (sogenannte Grenzabgabenbelastung oder „Steuerprogression“), würden zu wenig netto übrig lassen. Insbesondere dann, wenn noch Kinderbetreuungskosten dazukommen.
Es ist wichtig, diese Kritik von der arbeitnehmer:innenseitigen Kritik an den hohen Steuern auf Arbeitseinkommen zu unterscheiden. Während Arbeiterkammer und Gewerkschaften die Arbeitseinkommen durch eine Steuerstrukturreform (höhere Steuern auf Vermögen, niedrigere Steuern auf Arbeit) entlang der Steuerprogression entlasten wollen, bezieht sich die Kritik der Agenda Austria auf die Steuerprogression selbst, die sie (erheblich) abschwächen will. Ihre jüngsten Vorschläge laufen auf nichts anderes als eine höhere Abgabenbelastung für kleine Einkommen und eine niedrigere Abgabenbelastung für mittlere und hohe Einkommen hinaus. Dadurch soll es attraktiv(er) werden, von Teilzeit auf Vollzeit zu wechseln.
Eine schwächere Steuerprogression heißt Umverteilung von unten nach oben
Es ist weitgehend auszuschließen, dass eine Schwächung der Steuerprogression die Teilzeitbeschäftigten dazu bringt, in Massen Richtung Vollzeit zu wechseln. Dafür ist der Effekt der Steuern und Abgaben auf das Arbeitsangebot viel zu klein (dazu später noch mehr). Der sichere Effekt wäre aber eine Umverteilung von unten nach oben: einerseits direkt, weil kleine Einkommen mehr zum Steueraufkommen beitragen müssen, während mittlere und hohe Einkommen weniger beitragen; und andererseits indirekt, weil die Vorschläge dem Sozialstaat netto Milliarden an Steuereinnahmen jährlich entziehen würden, was unweigerlich zu Sparpaketen und Leistungskürzungen führen würde. Das trifft wiederum die kleinen und mittleren Einkommen härter. Für diese Erkenntnis braucht es nur einen Blick in die WIFO-Studie „Umverteilung durch den Staat“.
Teilzeitfalle im Abgabensystem – ein Mythos
Im internationalen Vergleich deutet nichts darauf hin, dass die hohe Teilzeitquote in Österreich irgendetwas mit dem Abgabensystem zu tun haben könnte. In einem OECD-Vergleich mit 38 Staaten liegt Österreich bei der für die Stunden-Entscheidung relevanten Grenzabgabenbelastung in den meisten Konstellationen im OECD-Durchschnitt oder darunter, hat also eine durchschnittliche oder geringere Grenzabgabenbelastung als der Durchschnitt der OECD-Staaten (siehe Grafik). Nennenswert höher liegt Österreich nur in der Konstellation „Single mit durchschnittlichem Stundenverdienst“ (zufällig jene Konstellation, die die Agenda Austria für ihre Medienarbeit verwendet).