Während der Eurokrise kam es in den peripheren Staaten der Währungszone zu schmerzhaften Einschnitten bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen. In den letzten Jahren führten manche Kernstaaten der Eurozone allerdings ebenso liberalisierende Arbeitsmarktreformen durch – gegen den Widerstand der Gewerkschaften. Die institutionelle Architektur der Eurozone spielte dabei eine erhebliche Rolle. Sie setzt die Gewerkschaften nicht nur in der „Peripherie“, sondern auch im „Kern“ unter Druck.
Der Druck zur „internen Abwertung“
Vor zehn Jahren übersetzte sich in den peripheren Staaten des Euroraums die internationale Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise. Länder wie Griechenland, Irland und Portugal verpflichteten sich daraufhin zu Sparpaketen und einer Liberalisierung ihrer Arbeitsmärkte im Gegenzug für die Gewährung von Finanzhilfen. Diese Form der Krisenpolitik wird „interne Abwertung“ genannt: Preise sollen durch Ausgaben- und Lohnkürzungen relativ zum Preisniveau anderer Länder sinken, um die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und folglich die Handelsbilanz der Krisenländer zu verbessern. Angesichts der geldpolitischen Hoheit der EZB sollte also die Bearbeitung der Krise über die Abwertung der Löhne („intern“) und nicht über die Abwertung des nominalen Wechselkurses der Währung stattfinden („extern“).
Auch die Beschäftigten im Euro-Kern sind betroffen
Die restriktive Fiskal- und Lohnpolitik der Eurozone manövriert die Gewerkschaften insgesamt in eine verschärfte Wettbewerbssituation – und zwar nicht nur in den peripheren Staaten des Südens. Der daraus resultierende Druck zu einer Politik der „internen Abwertung“ (= Preis- und Lohnkürzungen) führt oft dazu, dass Regierungen versuchen, das Wirtschaftswachstum primär über eine Liberalisierung der Arbeitsmärkte anzukurbeln. Die Gewerkschaften sind die „Verliererinnen“ dieser Politik. Lohnkürzungen lassen sich nämlich nicht im Parlament beschließen, sondern verlangen nach einer Entmachtung der Gewerkschaften am Arbeitsmarkt.
Um diesen Druck auf die Gewerkschaften zu messen, vergleicht unsere Studie anhand von Daten der „Liberalization Database 1973–2013“ das Ausmaß an Arbeitsmarktliberalisierung in Mitgliedern sowie Nicht-Mitgliedern der Eurozone. Ein stärkerer Trend zu Liberalisierung innerhalb der Eurozone würde darauf hindeuten, dass die Regierungen auf die Fiskalregeln und Lohnüberwachungsmechanismen der gemeinsamen Währungsunion mit einer Politik der internen Abwertung reagieren. Tatsächlich zeigen die Daten, dass die Lohnverhandlungssysteme und Kündigungsschutzregelungen innerhalb der Eurozone vor allem von 2009 bis 2013 deutlich stärker als in entwickelten Industriestaaten außerhalb der Eurozone liberalisiert wurden. Dies ist insofern nicht überraschend, als dass Eingriffe in das Lohnverhandlungssystem dem Staat eine effektive Möglichkeit zur Durchsetzung von Lohnzurückhaltung bieten.
Da die Werte für die Messung von Liberalisierung nur bis ins Jahr 2013 reichen, verwendet unsere Studie zusätzliche Indikatoren der ICTWSS Datenbank zur Entwicklung der Lohnverhandlungssysteme bis ins Jahr 2017. Die Erfassung der 2010er-Jahre ist notwendig, um herauszufinden, inwieweit der Liberalisierungsdruck der Eurokrise nur auf die peripheren Staaten beschränkt ist oder – mit Einführung der „New Economic Governance“ – auch die Kernstaaten Deutschland, Österreich, die Niederlande, Finnland und Frankreich betrifft. Vergleicht man den Zentralisationsgrad der Lohnverhandlungssysteme – ein klassischer Indikator für Arbeitsmarktliberalisierung – in den Euroländern des Kerns und der Peripherie mit jenen in skandinavisch-sozialdemokratisch und angelsächsisch-liberal geprägten Ländergruppen außerhalb der Eurozone, zeigt sich folgendes Bild: