Wie in anderen Bereichen des alltäglichen Lebens hat der Corona-Lockdown auch die Digitalisierung der beruflichen Erwachsenenbildung rapide beschleunigt. Die plötzliche Notwendigkeit von „Distance-Learning“ hat in besonderer Weise jene Bereiche aufgezeigt, die E-Learning-Möglichkeiten für Beschäftigte einschränken, erschweren oder gar verhindern. Darauf ist politisch schnellstens zu reagieren und ein umfassendes „E-Learning-Supportpaket“ für die berufliche Erwachsenenbildung zu schnüren.
Corona als Digitalisierungsbeschleuniger
Durch den Corona-Lockdown kam es schlagartig zu einer massiven Zunahme der E-Learning-Angebote in der beruflichen Erwachsenenbildung. Aufgrund des vorübergehenden Verbotes, Präsenzkurse weiterzuführen bzw. abzuhalten, wurde eine Vielzahl davon innerhalb kürzester Zeit in digitale Formate umgewandelt. Diese disruptive Entwicklung eröffnet zahlreiche Möglichkeiten und Chancen. Speziell für Personengruppen mit Mobilitätseinschränkungen ist damit die Zahl an (potenziell verfügbaren) Bildungsmöglichkeiten sprunghaft angewachsen. Ein Umstand, der insbesondere für Flächenbundesländer wie Niederösterreich von Bedeutung ist.
Problembereiche, die durch Corona verdeutlicht wurden
Auf der anderen Seite förderte die vorübergehende Notwendigkeit des internetbasierten Distanzlernens einige Problembereiche (noch deutlicher) zutage, die bereits zuvor existierten, aber aufgrund des E-Learning-Nischendaseins kaum breite Beachtung fanden. Die im Folgenden aufgelisteten Punkte artikulierten bzw. bestätigten auch zahlreiche ErwachsenenbildnerInnen im Rahmen des EBmooc plus 2020 und des #ebcamp20, welche in der Zeit des Corona-Lockdowns stattfanden:
- Die hohen Kompetenzanforderungen an die Lernenden: E-Learning erfordert von den NutzerInnen ein hohes Maß an Selbst(lern-)kompetenzen, welches bei vielen Erwachsenen nicht (automatisch) vorhanden ist und oftmals neu erworben werden muss.
- Die pädagogischen Grenzen des E-Learnings: Präsenzunterricht ist in einigen Fachbereichen, insbesondere bei der Vermittlung und Einübung praktischer, handwerklicher und/oder körperlich-motorischer Fertigkeiten (z. B. Werkstättenunterricht) nicht oder kaum durch E-Learning zu ersetzen. Die unmittelbare Handlungsanleitung („Lernen am Modell“) ist auf digitalem Weg wesentlich schwieriger zu realisieren. Den Lernenden fehlt beim E-Learning zudem meist die Möglichkeit für spontane Hilfestellungen durch TrainerInnen und der informelle Austausch mit KollegInnen. Für die Lehrenden wiederum ist es sehr schwierig zu erkennen, ob das Wissen bei den Lernenden tatsächlich angekommen ist, und somit den Lernerfolg (auf nicht-standardisiertem Weg) festzustellen.
- Die Verlagerung des berufsbezogenen Lernens ins Private: E-Learning führt zu einem erhöhten Selbstlernaufwand, der in Eigenregie zeitlich und örtlich organisiert werden muss. Dies kann (Work-Family-)Konflikte hervorrufen, Lernende überfordern und letztlich Drop-outs provozieren. Für konzentriertes Lernen werden des Weiteren ruhige, störungsfreie Lernorte benötigt. Diese sind oftmals speziell bei ArbeitnehmerInnen mit (Klein-)Kindern und eventuell beengten Wohnverhältnissen nicht oder nur kurzzeitig vorhanden. Hinzu kommt, dass es für E-Learning von Beschäftigten häufig noch wenig klare Regelungen gibt, was die Kursteilnahme in der bezahlten Arbeitszeit etc. betrifft. Dies kann ein (ungewolltes) Verschieben des Lernens in die Freizeit nach sich ziehen, weil in der Arbeit zu wenig Zeit dafür bleibt. Somit ist E-Learning im Berufskontext ein weiterer (potenzieller) Treiber für die Entgrenzung und Subjektivierung von Erwerbsarbeit.
- Die Fortschreibung der digitalen Kluft: Digitale Teilhabe setzt ein Mindestset an Kompetenzen und Fähigkeiten sowie eine technische Mindestausstattung voraus. Die Corona-Krise hat wiederum offenbart, dass es eine diesbezügliche Ungleichverteilung in der (Erwerbs-)Bevölkerung gibt. Wird digitales Lernen verordnet oder zur einzigen Möglichkeit, birgt dies noch stärker die Gefahr in sich, dass diese Kluft verfestigt oder sogar vergrößert wird. Zum Nachteil gerät dies speziell Personengruppen mit niedrigem Bildungsgrad und/oder geringem Einkommen, die aufgrund dessen geringe(re) dafür erforderliche Kapazitäten aufweisen.
- Der „Datenschutz“ als Hemmschuh: In der Community der ErwachsenenbildnerInnen herrscht Skepsis bis offene Aversion gegenüber den großen, etablierten Softwareanbietern, die mit den Daten der NutzerInnen erwiesenermaßen enorme Profite erwirtschaften. Es steht dabei die Frage im Raum, inwiefern gespeicherte, dokumentierte Bildungsdaten (über die DSGVO hinaus) als sensible persönliche Daten zu betrachten sind und deshalb eines besonderen (staatlichen) Schutzes bedürfen. Auch vonseiten der BildungsteilnehmerInnen wird das Thema „digitaler Fußabdruck“ aufgeworfen und das Eindringen in die Privatsphäre (per Video etc.) als unangenehm und übergriffig empfunden.
- Die unzureichenden Serverkapazitäten von Open-Source-Programmen: Die einzige zumeist kostenlose und datensichere Alternative zu den etablierten Online-Programmen der großen IT-Giganten wäre sogenannte Open-Source-Software wie Jitsi, BigBlueBotton oder NextCloud. Viele ErwachsenenbildnerInnen würden diese gerne für ihre Bildungsangebote nutzen. Sie verzichten allerdings darauf, weil die unzureichenden Serverkapazitäten dieser Programme zu Konnektivitätsproblemen und/oder einer begrenzten Datenspeicherungsmöglichkeit führen.
- Die Überforderung der Internetinfrastruktur: Die Nutzung von WLAN-Verbindungen und/oder langsamen, instabilen Internetverbindungen führt insbesondere bei Online-Live-Formaten wie Webinaren oder Video-Lerngruppen zu Verbindungsproblemen, Netzausfällen und Störungen der Online-Kommunikation.
„E-Learning-Supportpaket“ dringend nötig
Als Antwort auf diese Problemfelder sollte die Bundesregierung rasch ein „E-Learning-Paket“ für die berufliche Erwachsenenbildung schnüren, das direkt oder indirekt auch den österreichischen ArbeitnehmerInnen zugutekommt. Neben der zügigen Realisierung von Plänen zum Ausbau des Breitband- und Glasfasernetzes insbesondere in entlegenen, „strukturschwachen“ Gebieten sollten folgende Maßnahmen dabei jedenfalls berücksichtigt werden: