Österreichs unselbstständig Beschäftigte leisteten im Jahr 2024 knapp 169 Millionen Mehr- und Überstunden. Davon wurden über 42 Millionen Stunden – also jede vierte – weder in Zeit noch in Geld abgegolten. Der Wert dieser vorenthaltenen Entlohnung, oft auch als Lohnraub bezeichnet, beläuft sich auf 2,26 Milliarden Euro. Bei der enorm hohen Summe, die sich die Arbeitgeber ersparen, handelt es sich nicht nur um Geld, das den Beschäftigten fehlt, inkludiert sind auch entgangene Lohnsteuereinnahmen und Sozialversicherungsabgaben. Gerade Letztere fehlen in Zeiten höchst angespannter Budgets noch dringender als sonst.
Detailliertere Berechnungsmethode zeigt, dass unbezahlte Überstunden vor allem hohe Einkommensbezieher:innen betreffen
Bei bisherigen Berechnungsmethoden (ÖGB, Arbeiterkammer, Momentum Institut) wurde die Zahl der unbezahlten Mehr- und Überstunden (in Folge nur als Überstunden bezeichnet) mit einem einheitlichen (mittleren) Bruttostundenlohn multipliziert und um Zuschläge ergänzt. In einer neuen, tiefergehenden Analyse wurde nun untersucht, ob die Überstunden gleich über alle Einkommensgruppen verteilt sind oder nicht. Die Information, ob und – wenn ja – wie viele Überstunden von den unselbstständig Beschäftigten geleistet wurden, stammt aus der Arbeitskräfteerhebung (Mikrozensus), bei der vierteljährlich eine repräsentative Stichprobe der österreichischen Bevölkerung an einer (verpflichtenden) Befragung teilnimmt.
Registerdaten vervollständigen das Bild
Zusätzlich enthält die Arbeitskräfteerhebung auch zuverlässige Informationen zum Einkommen aus Registerdaten (Daten der Lohnsteuer und des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger). Dadurch lässt sich jeder Person, die unbezahlte Überstunden macht, auch ein eigener Stundenlohn zuordnen und in weiterer Folge lassen sich die individuellen Einkommensverluste über alle Beschäftigten aufsummieren. Im Fall der unbezahlten Überstunden ist das höchst relevant, da die geleisteten unbezahlten Überstunden – ähnlich wie die bezahlten Überstunden – äußerst ungleich unter den unselbstständig Beschäftigten verteilt sind.
Das Fünftel der Beschäftigten mit den höchsten Einkommen leistete im Jahr 2024 fast 54 Prozent der unbezahlten Überstunden. Zieht man die besserverdienende Hälfte der Beschäftigten heran, sind es sogar mehr als drei Viertel der unbezahlten Überstunden. Selbst wenn man die niedrigeren Zuschläge von 25 Prozent für Mehrstunden (Überstunden: 50 Prozent) berücksichtigt, ergibt sich so im Jahr 2024 ein Lohnraub-Volumen von 2,26 Milliarden Euro. Ein Beispiel, damit man sich diesen hohen Wert etwas besser vorstellen kann: Mit diesem Geld könnte man rund 40.450 Beschäftigte ein ganzes Jahr lang Vollzeit anstellen.
Wichtige Einnahmen für Budgetkonsolidierung und Sozialversicherung fehlen
Diese 2,26 Milliarden Euro, die den unselbstständig Beschäftigten vorenthalten werden, haben nicht nur direkte negative Folgen für die Beschäftigten selbst, indem ihnen das Nettoeinkommen entgeht, das ihnen eigentlich zusteht. Auch dem Budget fehlen Steuereinnahmen und der Sozialversicherung die Beiträge, die für die Überstunden anfallen würden. Da das Einkommen jener Beschäftigten, die unbezahlte Überstunden leisten, bereits relativ hoch ist und in vielen Fällen nahe an der Höchstbeitragsgrundlage liegt, fällt der Wert der entgangenen Sozialversicherungsbeiträge vergleichsweise niedrig aus. Die entgangenen Beiträge der Arbeitnehmer:innen betragen in etwa 125 Millionen Euro, jene der Arbeitgeber:innen knapp 205 Millionen Euro – in Summe also rund 330 Millionen Euro.
Rund eine Milliarde Euro fehlt allein an Lohnsteuer
Im Gegenzug würde ein größerer Teil des Bruttoeinkommens versteuert werden – und das mit einem hohen Grenzsteuersatz. Die entgangenen Lohnsteuereinnahmen belaufen sich auf rund 960 Millionen Euro. Selbst in wirtschaftlich guten Zeiten würde die Bundesregierung eine Milliarde Euro dankend annehmen. Angesichts der höchst angespannten Budgetlage schmerzen diese entgangenen Einnahmen noch mehr.
Auch die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf
Die Bundesregierung hält im Regierungsprogramm explizit fest, dass alle Überstunden künftig abgegolten werden sollen. Den Ankündigungen im Regierungsprogramm müssen jetzt Taten folgen. Um die Zahl der unbezahlten Überstunden wirksam zu reduzieren, sollte es Strafzuschläge für nicht ausbezahlte Überstunden geben. Wenn Arbeitnehmer:innen zukünftig Überstundenbezahlung vorenthalten wird, müssten Arbeitgeber in diesem Fall die Überstunde doppelt abgelten und ihr Risiko, Überstunden nicht zu entlohnen, würde steigen.
Zudem muss sichergestellt werden, dass die Verfallsfristen für Überstunden ausgeweitet werden. Oft verfallen nicht ausbezahlte Überstunden bereits nach drei Monaten und die Beschäftigten fallen so um ihre Bezahlung um.