Informell, migrantisch, weiblich – Reinigungsarbeiterinnen auf digitalen Plattformen

11. April 2025

Die Digitalisierung des Arbeitsmarktes verspricht Flexibilität und Selbstbestimmung. Doch für viele migrantische Frauen, die in Wien über Plattformen Reinigungsarbeiten in privaten Haushalten anbieten, bedeutet sie vor allem eines: zunehmende Prekarisierung. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, wie digitale Plattformen die Informalität der Branche verstärken und so zu erhöhter Ausbeutung beitragen.

Plattformarbeit: eine neue Form der alten Unsicherheit

Die plattformvermittelte Reinigungsarbeit wird oft von Branchenvertreter:innen als attraktive Alternative zu herkömmlichen Anstellungsverhältnissen beworben: flexible Zeiteinteilung, Unabhängigkeit und einfache Auftragsvermittlung. Doch die Realität sieht anders aus. Im Rahmen meiner Masterarbeit wurde eine qualitative Studie durchgeführt, die zehn problemzentrierte Interviews mit Reinigungskräften und vier Expert:inneninterviews umfasste. Die Ergebnisse der Studie zeigen ein Bild von massiver Beschäftigungsunsicherheit und struktureller Ausbeutung.

Ein zentrales Problem ist die Kontrolle durch Kund:innen: Anders als in anderen Bereichen der Gig Economy, wo algorithmische Überwachung dominiert, spielen hier Bewertungen durch Kund:innen eine entscheidende Rolle. Aus Angst vor schlechten Bewertungen übernehmen Reinigungskräfte zusätzliche Arbeiten ohne Bezahlung oder akzeptieren unfaire Arbeitsbedingungen. Diese Form der direkten Kontrolle verstärkt bestehende Machtasymmetrien.

Die Illusion der Selbstbestimmung

Viele Reinigungskräfte berichten, dass sie die vermeintliche Autonomie der Plattformarbeit als trügerisch empfinden. Zwar können sie ihre Arbeitszeiten theoretisch selbst wählen, doch in der Praxis sind sie den Anforderungen der Kund:innen und den Mechanismen der Plattform ausgeliefert. Wer zu oft Aufträge ablehnt oder zu wenig verfügbar ist, wird von der Plattform schlechter gerankt und erhält weniger Aufträge.

Hinzu kommt die fehlende soziale Absicherung: Weder gibt es einen Arbeitsvertrag, noch sind Reinigungskräfte kranken-, unfall- oder pensionsversichert. Arbeitszeiten sind unregelmäßig, die Entlohnung schwankt stark und oft wird erst nach der Leistungserbringung klar, ob die Auftraggeber:innen überhaupt bezahlen. Diese Rahmenbedingungen führen zu einer „multiplen Prekarität“, die sich auf physischer, psychischer und sozialer Ebene zeigt.

Harte Arbeit ohne Schutz

Die physische Belastung ist enorm: Die meisten Arbeiten erfolgen unter schwierigen ergonomischen Bedingungen, oft ohne professionelles Equipment oder Schutzkleidung. In einem regulären Arbeitsverhältnis wäre der Arbeitgeber verpflichtet, entsprechende Arbeitsmittel bereitzustellen – bei der hier vorliegenden problematischen Anstellungsform entfällt diese Pflicht jedoch, sodass Reinigungskräfte die Kosten und Risiken selbst tragen müssen. Ein Umstand, der die ohnehin belastende Arbeit zusätzlich erschwert. Hinzu kommt der Einsatz gesundheitsschädlicher Reinigungsmittel, die langfristige gesundheitliche Folgen haben können. Die psychische Belastung ist ebenso hoch: Reinigungskräfte sind meist isoliert, stehen unter ständigem Konkurrenzdruck und haben Angst vor schlechten Bewertungen, die ihre Einkommenssituation direkt beeinflussen.

Besonders migrantische Frauen sind zusätzlich von Diskriminierung und sexueller Belästigung betroffen. Plattformen bieten hier kaum Schutzmechanismen: Beschwerden verlaufen ins Leere, und da es keine offiziellen Arbeitsverhältnisse gibt, sind rechtliche Schritte oft unmöglich. Die Studie zeigt, dass viele Reinigungskräfte versuchen, sich diesen Bedingungen zu entziehen, indem sie nach einem ersten Kontakt über die Plattform private Vereinbarungen mit Kund:innen treffen. Doch diese Informalität birgt weitere Risiken, da sie die Arbeiter:innen noch schutzloser macht.

Digitale Plattformen als Motor für strukturelle Ausbeutung

Die Plattformen selbst tragen aktiv zur Prekarisierung bei. Sie nutzen das Überangebot an Arbeitskräften, um den Konkurrenzdruck hochzuhalten, senken Preise durch intransparente Ranking-Mechanismen und schieben jegliche Verantwortung für die Arbeitsbedingungen auf die Reinigungskräfte selbst ab. Das verstärkt bestehende Ungleichheiten und macht deutlich, dass Plattformarbeit eine Verschärfung der sozialen Krise im Reinigungssektor darstellt. Arbeiterinnen in privaten Haushalten sind häufig Gewalt ausgesetzt. Digitale Plattformen tragen zur Risikoerhöhung sexueller Belästigung bei, indem sie diese in den digitalen Raum verlagern. Die Informalität dieser Beschäftigungen erschwert eine wirksame Verhinderung sexueller Übergriffe durch Kund:innen sowie Ausbeutung.

Häusliche Reproduktionsarbeit muss daher aus einer intersektionalen Perspektive betrachtet werden, also unter Berücksichtigung der sich überlagernden Ungleichheiten von Ethnizität/„Race“, sozialer Klasse und Geschlecht. Diese Faktoren sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Ein Ausdruck dieser Ungleichheiten ist die zunehmende Auslagerung und Kommerzialisierung dieser Arbeit, da sie nicht mehr primär innerhalb von Familien, sondern durch bezahlte Arbeitskräfte erledigt wird. Dies ist eine Folge der strukturellen Krise der sozialen Reproduktion, also der wachsenden Schwierigkeit, grundlegende gesellschaftliche Versorgungs- und Fürsorgearbeiten unter fairen Bedingungen zu organisieren. Soziale Reproduktion umfasst all jene unbezahlten und unterbewerteten Tätigkeiten, die notwendig sind, um Arbeitskräfte physisch, emotional und sozial zu erhalten – von Kinderbetreuung über Haushaltsarbeit bis hin zur Pflege. Diese Arbeiten, die überwiegend von Frauen und Migrant:innen geleistet werden, sichern das Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise, werden jedoch systematisch entwertet und auf den privaten Bereich abgeschoben. Plattformunternehmen nutzen diese Krise, um neue Marktchancen in einem weitgehend unregulierten Umfeld zu erschließen, was insbesondere Migrant:innen benachteiligt. Dieser sogenannte „care fix“ bezeichnet das kapitalistische Muster, Krisen in der sozialen Reproduktion durch die Ausweitung prekärer, niedrig entlohnter und oft migrantischer Pflege- und Haushaltsarbeit abzufedern. Dadurch wird die geschlechtliche Arbeitsteilung aufrechterhalten und die Kolonialisierung der Arbeit fortgesetzt. Der häusliche Dienstleistungssektor entwickelt sich somit zu einem Ort der Ausbeutung, der wirtschaftliche Ungleichheiten und geschlechtsspezifische Klassendynamiken zementiert.

Die vorliegende Studie zeigt, dass Plattformarbeit für viele migrantische Frauen kein Sprungbrett in bessere Arbeitsverhältnisse ist, sondern sie tiefer in die Prekarität drängt. Eine Regulierung dieser Plattformen sowie bessere Schutzmechanismen für Arbeiter:innen sind dringend erforderlich, um die zunehmende Informalität in diesem Sektor einzudämmen.

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