Seit gut einem Jahr steigt die Arbeitslosigkeit wieder an und hat im März 2024 einen Höhepunkt erreicht. Besonders ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen sind häufig langfristig von Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Das hat negative materielle, sozialpsychologische und soziale Konsequenzen. Die Idee der Arbeitsplatzgarantie geht davon aus, dass alle, die wollen, auch arbeiten können und dass ungedeckter Bedarf an Arbeit in Arbeitsplätze gegossen werden kann. Das Modellprojekt einer Arbeitsplatzgarantie in Marienthal hat gezeigt, dass das möglich ist, und sollte daher dauerhaft zur Verfügung stehen.
Arbeit für alle
Nach wie vor spielt Erwerbsarbeit für Menschen eine wichtige Rolle. Sie soll das materielle Auskommen sichern und sozialstaatliche Sicherungsleistungen sind maßgeblich daran gebunden (siehe dazu auch: Sozialbericht 2024). Aber auch soziale Teilhabe ist für Menschen im erwerbsfähigen Alter primär an Erwerbsarbeit geknüpft. Arbeitslosigkeit hingegen hat vielfältige negative sozialpsychologische Folgen für Betroffene. Derzeit ist Arbeitslosigkeit ein gravierendes gesellschaftliches Problem und zu viele Menschen bleiben langfristig von Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Die Zahl der Menschen, die in Österreich länger als ein Jahr auf Jobsuche sind, lag im März 2024 bei 80.375. Besonders höheres Alter und gesundheitliche Einschränkungen erschweren den Zugang zu Beschäftigung über den allgemeinen Arbeitsmarkt. Je länger Menschen auf Arbeitsuche sind, umso häufiger und stärker sind sie auch von Armut betroffen.
Eine neue Idee wird national und international als Lösung für das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit diskutiert: die Arbeitsplatzgarantie. Die Idee: Der Staat ist als Arbeitgeber in letzter Instanz („employer of the last resort“) dafür verantwortlich, allen Menschen durch einen staatlich finanzierten Arbeitsplatz das Recht auf Arbeit zu garantieren und so Vollbeschäftigung zu erreichen. Die Arbeitsplätze sollen öffentlichen Bedarf decken und nützlich sowie für die Arbeitenden sinnvoll sein.
In Österreich baut die Arbeitsplatzgarantie auf eine lange Tradition aktiver Arbeitsmarktpolitik auf, die auf die 1980er Jahre zurückgeht. Schon in der „Aktion 8.000“ und der späteren „Aktion 20.000“ wurden zeitlich befristet erfolgreich geförderte Arbeitsplätze für jene geschaffen, die auf dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen wurden. In Frankreich gilt das Projekt „Territoires zéro chômeur de longue durée“ als erfolgreiches Beispiel für eine Arbeitsplatzgarantie.
Die österreichische Arbeitsplatzgarantie
Im Ortsteil Marienthal in Gramatneusiedl, in dem einst die international bekannte „Marienthal-Studie“ durchgeführt wurde, hat das Arbeitsmarktservice (AMS) Niederösterreich von Oktober 2020 bis März 2024 im Rahmen des Modellprojekts Arbeitsplatzgarantie Marienthal (MAGMA) allen Personen, die über ein Jahr auf Jobsuche waren, einen Arbeitsplatz garantiert. Voraussetzungen dafür waren die AMS-Vormerkung als „langzeitbeschäftigungslos“ und der Hauptwohnsitz in Gramatneusiedl. In einer verpflichtenden achtwöchigen Vorbereitungsmaßnahme wurden Fähigkeiten, Wünsche, Möglichkeiten, Gesundheit und Tätigkeitsideen eruiert und besprochen. Im Anschluss daran konnten die Teilnehmenden einen kollektivvertraglich entlohnten Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleister itworks auf freiwilliger Basis unterschreiben. Eine Ablehnung des Dienstverhältnisses führte nicht zu negativen Sanktionen. Die Entlohnung erfolgte nach dem entsprechenden Branchenkollektivvertrag (BABE-KV). Zwar war das Einkommen bei niedriger Teilzeit gering, durch Ergänzungen um die Kombilohnbeihilfe in einzelnen Fällen konnte jedoch sichergestellt werden, dass alle Teilnehmenden finanziell zumindest nicht schlechtergestellt waren als zuvor. In manchen Fällen verbesserte sich die finanzielle Lage durch die Jobgarantie.
Die meisten Teilnehmenden waren im gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt bei itworks auf dem historischen Gelände der Textilfabrik tätig. Einzelne wurden als Arbeitskräfte an gemeinnützige Vereine oder an die Gemeinde überlassen. Die Tätigkeiten waren projektbasiert organisiert und wurden von den Teilnehmenden gemeinsam mit Arbeitsanleiter:innen durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde erhob itworks den Bedarf an Arbeit im Ort und übersetzte diesen in geförderte Arbeitsplätze. Zudem konnten Teilnehmer:innen eigene Projektideen einbringen. Die Arbeitsplätze wurden an die Fähigkeiten und Kompetenzen sowie Gesundheit und Betreuungsverpflichtungen der Beschäftigten angepasst: Wochenarbeitszeiten von 16 bis 30 Stunden, in einzelnen Fällen auch 38,5 Stunden; individuelle Pausen waren möglich, wenn nötig; Tätigkeiten konnten nach gesundheitlichen Möglichkeiten und Interesse ausgesucht, ausprobiert und gewechselt werden. Die Beschäftigten renovierten zu Beginn gemeinsam die eigene Werkstatt, in der später Hochbeete und Sitzgruppen für den Ort gebaut und Möbel restauriert und bemalt wurden. In der Kreativwerkstatt wurden Handarbeiten je nach Saison und Bedarf für den lokalen Markt gefertigt und im Projekt Permakultur ein Gemüse- und Naschgarten für die Ortsbewohner:innen angelegt und gepflegt. Viele sind zuletzt im Bereich der Grünraumpflege beschäftigt und zudem sind eigene Projekte der Teilnehmer:innen, wie z. B. die Topothek Marienthal, entstanden.
„Marienthal.reversed“: Wie wirkt die Arbeitsplatzgarantie für die Arbeitenden?
Das Projekt wurde von einem Team der Universität Oxford und einem Team der Universität Wien wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Strukturell sind bestimmte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Dennoch weisen die Jobgarantie-Teilnehmer:innen große Unterschiede im Hinblick auf Alter, Qualifikation und Dauer der Erwerbsarbeitslosigkeit sowie der branchenspezifischen und zeitlichen Berufserfahrung auf, teilen jedoch den Wunsch nach einem Arbeitsplatz. Das Begleitprojekt „Marienthal.reversed“ an der Universität Wien zeigte, dass sich negative Auswirkungen von Erwerbsarbeitslosigkeit durch ein garantiertes Arbeitsplatzangebot umkehren lassen.
Durch die Anpassung der Arbeitsplätze an die Menschen, d. h. die Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand und Betreuungspflichten sicherte die Arbeitsplatzgarantie den Zugang zu Beschäftigung. Die Integration in das Erwerbsleben führte zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der Betroffenen. Ein kollektivvertraglicher Lohn unterstützte die Überwindung von Einkommensarmut und materieller Deprivation und sicherte oder verbesserte die finanzielle Lage von Teilnehmenden. Finanzielle Verbesserungen trugen gemeinsam mit sozialpädagogischer Betreuung, strukturierten Tagesabläufen und mehr sozialen Kontakten zur Stabilisierung der Lebensführung bei. Teilnehmende konnten bei der Arbeit ihre Kompetenzen und Fähigkeiten einsetzen, hatten Erfolgserlebnisse und erkannten neue Chancen und Perspektiven. Das führte zu zunehmender Selbstwirksamkeit, d. h. dem Gefühl, schwierige Herausforderungen selbstständig bewältigen zu können. Gemeinsam mit dem Wegfall von Existenzängsten erschlossen sich neue Zukunftsperspektiven für die Erwerbskarriere als auch in sozialen und privaten Bereichen der Teilnehmenden.
Mit der täglichen Arbeit im Projekt nahmen die sozialen Kontakte quantitativ zu, die Qualität der bestehenden erhöhte sich ebenfalls. Die Teilnehmer:innen fühlten sich im Projektverlauf stärker wertgeschätzt. Einerseits hat das mit der wahrgenommenen Abwertung während der Erwerbsarbeitslosigkeit zu tun – lediglich wieder „arbeiten zu gehen“ verbesserte die soziale Position der Betroffenen. Andererseits spielte auch die Außenwahrnehmung der Tätigkeiten und Arbeitenden im Ort eine gewichtige Rolle. Diese nahm im Zeitverlauf immer stärker zu und wirkte sich zunehmend positiv auf das Selbstwertgefühl der Teilnehmenden aus.
Einige wünschten sich eine Verlängerung und/oder Ausweitung des Projektes. Auch Nachbargemeinden und Bekannte der Befragten entwickelten Interesse am Jobgarantie-Projekt. Vereinzelt gab es Barrieren bei Beschäftigten, die ihre Tätigkeiten nicht als sinnvoll wahrnehmen konnten, was in einem Gefühl mangelnder Wertschätzung resultierte. Die vielfältigen positiven Wirkungen führten aber mehrheitlich zu einer positiven Entwicklung von Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden der Beschäftigten. Geringfügige Einschränkungen traten durch fehlende Wertschätzung sowie die Sorge vor dem Ende des Projekts aufgrund der Befristung auf.
Wie bewerten die Teilnehmenden die Jobgarantie?
Die heterogene Gruppe lässt sich in drei charakteristische Typen von Teilnehmer:innen unterteilen, die sich in der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung des Jobgarantie-Projekts unterscheiden:
- Mehr als die Hälfte zählt zum Typus 1: „die immer Zufrieden(er)en“. Ihre anfängliche Zufriedenheit resultierte aus der Chance auf Erwerbstätigkeit und hoffnungsvollen Zukunftsperspektiven und nahm im Verlauf weiter zu. Die Teilnehmenden schätzten die sozialpädagogische und berufliche Unterstützung von itworks, die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen an sinnvollen Aufgaben zu arbeiten und dabei individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen einzusetzen oder neu zu lernen.
- Typus 2: „die mit der Zeit durch Erfolge Überzeugten“. Dazu zählten jene wenigen Teilnehmenden, deren anfängliche Skepsis sich im Verlauf in zunehmende Überzeugung und Begeisterung für das Projekt verwandelte. Ihre Erwartungen wurden durch Erfolgserlebnisse, Wertschätzung und soziale Kontakte übertroffen.
- Der kleinere Typus 3: „Die im Projekt beruflich Unerfüllten“ brachten höhere Qualifikationen oder langjährige Arbeitserfahrung mit und wollten entsprechend beschäftigt werden. Sie sind am allgemeinen Arbeitsmarkt orientiert und sahen ihre Erwartungen im Projekt nicht erfüllt. Daher nutzten sie das Projekt, um einen nicht geförderten Arbeitsplatz zu suchen oder als Übergang in die Pension.
Unterschiedliche Typen resultieren aus der Gestaltung der Arbeitsplatzgarantie, die allen langzeitbeschäftigungslosen Personen ein Arbeitsplatzangebot macht. Durch die individuelle Betreuung und Unterstützung, die verschiedenen Tätigkeitsmöglichkeiten und auch die Unterstützung bei der Suche nach einem nicht geförderten Arbeitsplatz konnte das Projekt den unterschiedlichen Bedürfnissen der unterschiedlichen Typen nachkommen. Positive Wirkungen ließen sich auch beim skeptischsten Typ 3 feststellen. Darüber hinaus profitierten die Teilnehmenden gegenseitig voneinander: Jene mit besseren Deutsch- oder EDV-Kenntnissen konnten andere unterstützen und nahmen es als sinnvolle Tätigkeit wahr, anderen zu helfen.
Welche Lehren lassen sich aus der Arbeitsplatzgarantie in Marienthal ziehen?
Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zeigt: Ohne entsprechende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen bleibt die strukturelle Arbeitslosigkeit hoch. Eine Arbeitsplatzgarantie für langzeiterwerbsarbeitslose Menschen bietet jenen Zugang zu einer sinnvollen und nützlichen Tätigkeit, die sonst keine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Die individuelle Begleitung und Betreuung unterstützt die jeweiligen Bedürfnisse der unterschiedlichen Teilnehmenden. So gelingt manchen der Übergang in nicht geförderte Beschäftigung, für andere bleibt die Jobgarantie zentral für den Zugang zu Erwerbsarbeit und soziale Integration. Die positiven Wirkungen – und auch der Nutzen für die Allgemeinheit – können sich gerade durch die längere Dauer des Projekts zunehmend entfalten. Folgende Bedingungen sind dafür zentral:
- Einstieg in das Projekt: Freiwilligkeit der Teilnahme, gute Vorbereitung und ausreichende Informationen für Teilnehmer:innen.
- Zugang zur Erwerbsarbeit durch Rücksichtnahme: Berücksichtigung der Gesundheit, Lebensphase und von Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen der Teilnehmer:innen.
- Sinn der Arbeit: Angebot subjektiv sinnvoller und allgemein nützlicher Erwerbstätigkeiten.
- Individuell angepasstes Angebot: Vielfalt der Teilnehmer:innen erfordert unterschiedliche, individuell angepasste Tätigkeiten und Unterstützungsangebote sowie sozialpädagogische Beratung.
- Soziale Wertschätzung und Anerkennung: Angemessene Entlohnung und Bewertung der Arbeit sowie positive Darstellung geförderter Erwerbsarbeit nach außen.
- Armutsfeste Beschäftigung: Ausreichende Bezahlung auch in Teilzeitarbeit.
- Einbettung in sozialstaatlichen Rahmen: Verschränkung mit anderen arbeitsmarktpolitischen Angeboten und Aufrechterhaltung aller bisherigen Versorgungs- und Unterstützungsleistungen.
Insgesamt zeigte MAGMA überzeugend auf, dass eine Jobgarantie im österreichischen Kontext erfolgreich umsetzbar ist. Die Ergebnisse sprechen für ein Ziel, das auch in den Wünschen von Teilnehmer:innen zum Ausdruck kommt: eine dauerhafte Arbeitsplatzgarantie für Menschen in Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit.
Dieser Blogbeitrag beruht auf den Ergebnissen der Begleitstudie „Marienthal.reversed“, die am Institut für Soziologie der Universität Wien in einem Team gemeinsam mit Studierenden und in Kooperation mit dem AMS Niederösterreich durchgeführt wurde. Den gesamten Bericht finden Sie unter: https://www.ams-forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2023-AMS_NOE-MaRe_Endbericht.pdf