Kollektive Katastrophe: Burn-out im (privaten) Gesund­heits- und Sozial­bereich

21. November 2024

Burn-out entsteht primär am Arbeitsplatz – auch wenn Betriebe es gerne anders darstellen. Eine Umfrage bei rund 1.300 Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich zeigt, die Situation hat sich seit 2008 verschärft. So ist die „starke Belastung bzw. Gefährdung“ in den letzten 15 Jahren von rund 20 Prozent auf mehr als 36 Prozent stark gestiegen. Burn-out ist keine persönliche Schwäche. Im Gegenteil, völlig gesunde Menschen können unter ungünstigen Arbeitsbedingungen daran erkranken.

Erschöpfung, Depersonalisierung, reduzierte Leistungsfähigkeit

In der ICD-11-Klassifikation der Krankheiten und Gesundheitsprobleme beschreibt die WHO Burn-out als Syndrom und Folge von chronischem Arbeitsstress, welcher nicht erfolgreich bewältigt wird.

Bereits 2008 hat die Interessengemeinschaft (IG) Social der Gewerkschaft GPA eine erste Studie zur Burn-out-Gefährdung der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich gemacht. Diese wurde 2023/24 in Kooperation mit der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) wiederholt. Beide Umfragen nutzen das Maslach Burnout Inventory. Anhand unterschiedlicher Dimensionen lässt sich damit messen, wie akut das Ausmaß einer Gefährdung bzw. eines bereits vorhandenen Burn-outs ist. Zu jeder Dimension gibt es Fragen, die mittels Punktevergabe zu einem Wert für eine der drei Burn-out-Dimensionen verrechnet werden:

  • Emotionale Erschöpfung zeigt sich in einem Gefühl der Überforderung, Erschöpfung, Frustration sowie Angst vor dem nächsten Arbeitstag.
  • Depersonalisierung ist die Reaktion auf emotionale Erschöpfung. Diese zeigt sich im Versuch, sich von Klient:innen und Patient:innen zu distanzieren, Gleichgültigkeit und Zynismus.
  • Reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit kann sich in Überforderung, fehlender Motivation, Gereiztheit und der Vorstellung, mit der eigenen Arbeit und dem persönlichen Einsatz nichts bewirken zu können, niederschlagen.

Aus diesen drei Dimensionen wird das gesamte Burn-out-Gefährdungspotenzial errechnet. Das Inventory ist kein Diagnoseinstrument, sondern vielmehr ein Instrument zur Selbsteinschätzung der individuellen Betroffenheit. 2023/24 konnten rund 1.300 Fragebögen zur Auswertung herangezogen werden, 2008 waren es ähnlich viele.


© A&W Blog


Vergleich zeigt dramatische Situation 

Wie sich an dieser Grafik aus der aktuellen Studie erkennen lässt, ist die „starke Belastung bzw. Gefährdung“ in den letzten 15 Jahren von rund 20 Prozent auf mehr als 36 Prozent stark gestiegen. Andersrum gelesen, ging der Anteil der Kolleg:innen, die nicht oder nur schwach belastet sind, von 54 Prozent auf unter 31 Prozent zurück. Zahlen, die nicht anders als dramatisch bezeichnet werden können. Rund 12 Prozent der Befragten waren in allen drei Dimensionen stark gefährdet.

Besonders markant ist, dass über die Hälfte der 1.300 Befragten emotional stark erschöpft ist. Die Dunkelziffer in gewerkschaftlich nicht organisierten bzw. betriebsratslosen Unternehmen wird noch höher geschätzt. Die Ursachen dafür sind vielseitig. Die Umfrage zeigt, dass arbeitsplatzbezogene Faktoren wie mangelnde Wertschätzung, lange und oft unplanbare Arbeitszeiten und chronischer Personalmangel stark burn-out-gefährdend wirken. Arbeitgeber:innen und Betriebsrät:innen sind aufgefordert, rasch positive, kollektiv wirksame Veränderungen herbeizuführen.

Politiker:innen tragen Verantwortung

Abgesehen von den Umfragen der IG Social gibt es in Österreich keinerlei Studie, die gezielt die Burn-out-Situation im Gesundheits- und Sozialbereich untersucht. Um ein möglichst präzises Verständnis des Gefährdungspotenzials in unterschiedlichen Teilbereichen und Berufsgruppen zu erlangen, benötigt es jedoch regelmäßige, von der öffentlichen Hand finanzierte und breit angelegte wissenschaftliche Untersuchungen. Auf deren Basis wiederum müssen gezielt Maßnahmen gesetzt werden, deren Finanzierung aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung zu stellen ist.

Schließlich ist die Burn-out-Gefährdung im Gesundheits- und Sozialbereich ein gesamtgesellschaftliches Problem, da ein funktionierender Gesundheits- und Sozialbereich unerlässlich ist. In Anbetracht des ohnehin massiven Personalmangels in der Branche ist es sowohl volkswirtschaftlich als auch sozialpolitisch inakzeptabel und nicht zielführend, dass viele Kolleg:innen infolge vermeidbarer arbeitsbedingter psychischer Gefahren für oft sehr lange Zeiträume ausfallen.

Dass bedürftige Menschen auf Arbeitnehmer:innen angewiesen sind, die überlastet, demotiviert und schlichtweg am Ende ihrer Kräfte sind, ist weder sinnvoll noch sozial vertretbar.

Entgegen den Wünschen der Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und anderer politischer Kräfte braucht es eine massiv ausgebaute Finanzierung des Gesundheits- und Sozialbereiches statt einer Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten. Die zusätzlichen Mittel müssen zuerst in den Ausbau des Personals (auch zur Kompensation des Ausfalls von Kolleg:innen) investiert werden. Darüber hinaus müssen für das bestehende Personal mehr Erholungsmöglichkeiten in Form kürzerer, planbarer Arbeitszeiten und durch mehr Urlaub geschaffen werden.

Es sind aber auch dringend verstärkt präventive Maßnahmen gegen Burn-out auf gesetzlicher Ebene (z. B. im Arbeitnehmer:innenschutzgesetz) und Schutzmaßnahmen in Kollektivverträgen und/oder Betriebsvereinbarungen zu ergreifen. Die breite gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit in der Branche muss sich schlussendlich auch in einer entsprechenden Entlohnung niederschlagen. Nicht zuletzt braucht es eine gesamtgesellschaftliche Enttabuisierung von psychischen Gefahren am Arbeitsplatz und deren Folgen, um Burn-out als soziales Problem ernst zu nehmen.

Wir schweigen nicht!

Psychische Gefahren in der Arbeitswelt nehmen seit vielen Jahren zu. Dadurch steigt das Risiko, im Laufe des Erwerbslebens an Burn-out oder einer anderen psychischen Krankheit zu erkranken. Aus gewerkschaftlicher Perspektive muss daher die Prävention psychisch krankmachender Arbeitsbedingungen ausgebaut und verbessert werden.

Erste Schritte für diesen Ausbau der Prävention sind:

  • Eine präzise gesetzliche Definition, was bei der Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz zu berücksichtigen ist. Beispielsweise braucht es verpflichtende Arbeitszeitbilanzen, auf deren Basis unter Einbeziehung des Betriebsrates betriebliche Strukturen und Arbeitsbedingungen verbessert werden.
  • Eine deutliche Erhöhung der gesetzlich vorgeschriebenen Präventionszeit und der verpflichtende Einsatz von Arbeitspsycholog:innen sowie die Konkretisierung von deren Aufgabenbereichen.
  • Die Verpflichtung zur Umsetzung einer qualitativ hochwertigen betrieblichen Gesundheitsförderung und erzwingbare Betriebsvereinbarungen für diese.

Zum Download:

Endbericht Forschungsprojekt Befragung zum Thema Burn-out im Gesundheits- und Sozialbereich

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung