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Das Leben kennt keine Überstunden!
Entgegen anderslautenden Darstellungen steigt das Arbeitsstundenvolumen in Österreich – im Jahr 2022 um 3 Prozent. Darin enthalten sind 192,5 Millionen Über- und Mehrarbeitsstunden, ein Prozent mehr als im Vorjahr. Trotzdem weitet die Bundesregierung die steuerliche Überstundenbegünstigung noch aus, angeblich um das Arbeits(stunden)angebot zu erhöhen. In den Jahren 2024 und 2025 können für die ersten 18 Überstunden im Monat bis zu 200 Euro steuerfrei ausbezahlt werden. Diese (weitere) Begünstigung von Überstunden subventioniert Unternehmen, verdrängt andere Arbeitnehmer:innen, bevorzugt Besserverdienende und kostet die Allgemeinheit Steuereinnahmen. Dabei gibt es genügend anders gelagerten, dringenden Handlungsbedarf bei den Überstunden. Allein 2022 wurde ein Viertel der Mehr- und Überstunden nicht abgegolten (das sind insgesamt 47 Millionen Stunden), weder mit Geld noch mit Zeitausgleich!
Teilzeitbeschäftigte vielfach benachteiligt
Teilzeitbeschäftigte sind, wenn sie ihr Stundenausmaß ausweiten, vielfach benachteiligt. Sie erhalten im Schnitt einen um etwa ein Fünftel geringeren Brutto-Stundengrundlohn als Vollzeitbeschäftigte (VESTE). Und sie werden bei der Mehrarbeitsleistung benachteiligt, da der gesetzlich dafür vorgesehene Zuschlag nicht wie bei Überstunden 50 Prozent, sondern nur 25 Prozent beträgt bzw. der Zuschlag ganz entfallen kann (wenn im 3-Monats-Zeitraum Zeitausgleich 1 zu 1). Und die (nun ausgeweitete) Überstundenbegünstigung kann dazu führen, dass eine gering entlohnte Teilzeitbeschäftigte einem steigenden Steuersatz unterworfen ist, wenn sie ihre Teilzeittätigkeit ausweitet, während der Steuersatz für einen Spitzenverdiener in Vollzeit sogar sinkt, obwohl (bzw. weil!) er – überstundenbedingt – mehr verdient! Das entbehrt jeder Steuer-, Zeit- und Geschlechtergerechtigkeit!
Steuerbegünstigung bezüglich Arbeitsangebot wirkungslos
Der Bundesregierung wäre es am liebsten, alle Überstunden steuerfrei zu machen, um – so die Behauptung – das Beschäftigungsausmaß zu steigern. Dabei zeigen Erfahrungen aus Frankreich, wo zwischen 2007 und 2012 neben der Streichung der Steuer auf Überstunden auch die gesamten Sozialversicherungsbeiträge auf Überstunden gekürzt wurden, dass die von der Reform betroffenen Personen insgesamt genauso lang wie zuvor gearbeitet haben. Einzig hochqualifizierte Arbeitnehmer:innen, deren Stundenaufzeichnung schwer überprüfbar ist, haben die neue Regelung ausgenutzt, um geringere Steuern zu zahlen. Weder sie noch der Rest der Arbeitnehmer:innen arbeiteten mehr (Studie, zusammengefasst von Momentum).
Weniger Wochenstunden und 4-Tage-Woche
Es gibt auch andere arbeitszeitpolitische Wege, wie etwa Eurofound berichtet:
- Tschechien – Teilzeitbegünstigung für bestimmte Gruppen:
Unternehmen, die ökonomisch Inaktive, darunter Ältere ab 55 Jahren, Arbeitnehmer:innen mit Beeinträchtigung, Menschen mit Pflegepflichten, Uni-Absolvent:innen, für 8 bis 30 Stunden pro Woche einstellen, erhalten eine Begünstigung beim Sozialversicherungsbeitrag. - Litauen – Ausweitung des Rechts auf Teilzeit:
Unternehmen müssen einen Teilzeitwunsch u. a. von Arbeitnehmer:innen mit Kindern im Alter bis 8 Jahre (zuvor bis 3 Jahre) gewähren. - Irland – Weiterführung der 4-Tage-Woche-Kampagne
- Portugal – Pilotstudie 4-Tage-Woche: mit verkürzter Wochenarbeitszeit bei gleichem Entgelt
- Spanien – Pilotprojekt 4-Tage-Woche
- Spanien – generelle Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 37,5 Stunden
- Deutschland – Pilotprojekt 4-Tage-Woche
It works – voller Erfolg in Großbritannien: 4-Tage-Woche
Über 60 britische Unternehmen mit insgesamt rund 2.900 Beschäftigten haben im 2. Halbjahr 2022 eine 4-Tage-Woche in Form des 100-80-100-Modells (100 % Bezahlung, 80 % Arbeitszeit, 100 % Leistung), wissenschaftlich begleitet, ausprobiert – mit Erfolg: 92 Prozent der Unternehmen wollen die 4-Tage-Woche fortführen, die Zustimmung für eine Weiterführung unter den Arbeitnehmer:innen ist mit 96 Prozent noch höher. Die positiven Erfahrungen sprechen für sich: Rückgang bei Angstzuständen, Müdigkeit, Schlafproblemen und anderen Burnout-Symptomen, bessere Work-Life-Balance. Zudem gleichbleibender Umsatz während des Versuchszeitraums bzw. nach Unternehmensgröße gewichtet sogar leichter Anstieg, steigende Zahl bei Bewerber:innen und höhere Bindung der Mitarbeiter:innen.
Zeitgerecht und demokratisch
Auch aus demokratiepolitischen Erwägungen braucht es sozialverträglichere Arbeitszeiten. „Zeit zu haben“, schreibt die Journalistin Teresa Bücker (Buch „Alle Zeit“), „fordert letztlich die Machtverhältnisse heraus. Wenn gesellschaftliche Strukturen unsere Möglichkeiten kleinhalten, die eigene Zeit souverän zu nutzen, dann werden wir dadurch daran gehindert, über unsere Lebensbedingungen mitzuentscheiden und sie zu verändern.“ Und „diejenigen, die ein Interesse daran haben, die bestehenden Machtstrukturen beizubehalten, sperren sich oftmals gegen Vorschläge, freie Zeit fairer zu verteilen und dadurch mehr Zeit für gesellschaftliches Engagement zu schaffen.“
6,4 Stunden Freiwilligentätigkeit
Mehr als 3,7 Millionen Menschen haben sich 2022 freiwillig engagiert, darunter über 2 Millionen Erwerbstätige. Im Schnitt verwenden Erwerbstätige pro Woche 6,4 Stunden für Freiwilligentätigkeit – zusätzlich zu ihrem Job. Jede Erwerbsarbeitsstunde mehr erschwert politische, gesellschaftliche, gemeinwohlorientierte Tätigkeit. Zwei Drittel derjenigen Menschen in Österreich, die sich gegen freiwilliges Engagement entschieden haben, tun dies, weil sie durch Aufgaben in der Familie ausgelastet sind, ein Drittel kann es mit dem eigenen Beruf nicht vereinbaren, und etwa ein Fünftel kann sich freiwilliges Engagement aus finanziellen Gründen nicht leisten. Eine kurze Vollzeit für alle mit gerechtem Lohn und ausreichende soziale Infrastruktur ist hier die richtige Antwort. Wie eine 2023 veröffentlichte Untersuchung in 24 EU-Ländern, bezogen auf das Jahr 2010, zeigt, können lange und sozial unverträgliche Arbeitszeiten die politische Teilhabe beeinträchtigen (Studie „Unequal electoral participation“, WZB-Zusammenfassung).
Statt über Knappheit beim Arbeitskräftebedarf zu lamentieren, sollte das bestehende Potenzial ausgeschöpft werden, denn Arbeitskräfte gibtʼs genug! Und für alle Arbeitsuchenden, die auf dem Arbeitsmarkt keine Arbeit bekommen, kann der Staat mithilfe einer Arbeitsplatzgarantie ein Recht auf Arbeit gesetzlich ermöglichen.
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