Warum wir Arbeitnehmer:innen vor Extrem­wetter schützen müssen

20. Juni 2024

Die hohen Temperaturen aufgrund des Klimawandels verschärfen extremes Wetter: Stürme, Überschwemmungen und Trockenzeiten werden häufiger. Arbeitnehmer:innen spüren die gravierenden Folgen des Klimawandels mittlerweile in sämtlichen Wirtschaftszweigen. Das Arbeitsrecht bietet den Beschäftigten aber keinen ausreichenden Schutz in solchen Krisen. Viele Herausforderungen haben sich bereits mit der Corona-Pandemie gestellt. Diese Erfahrungen gilt es zu nutzen: Das Arbeitsrecht muss dringend klimafit gemacht werden. Wie das gehen kann, zeigen wir in unserem Umbauplan.

Folgen des Klimawandels am Arbeitsplatz massiv spürbar

Beim Klima purzeln die Negativrekorde: Auf den wärmsten Winter der Messgeschichte folgte der wärmste März, gefolgt von Hitzerekorden im April. Dann Wintereinbruch. Das Wetter wird immer heißer und immer unberechenbarer. Die hohen Temperaturen sorgen auch immer häufiger für extremes Wetter in Form von Stürmen – die Folgen sind Überschwemmungen, Hagel, Waldbrände und Trockenzeiten. Die momentanen Hochwasser in Österreich haben bereits zwei Tote gefordert, mehrere hundert Häuser stehen unter Wasser.

Das hat auch Auswirkungen am Arbeitsplatz. Pralle Sonne und tropische Temperaturen auf der Baustelle, 40 Grad Celsius in Kran-Kabinen, Schwitzen im Büro: Die Temperaturen haben bereits jetzt immer öfter tödliche Folgen. 2022 gab es in Europa 15.000 Hitzetote, mehrere hundert davon in Österreich. Aber auch Stürme und Hagel sind Gefahren am Weg zum Arbeitsplatz und auch am Arbeitsplatz selbst.

Die Corona-Pandemie hat es gezeigt: Das Arbeitsrecht ist nicht krisenfest und damit auch nicht klimafit. Es wurde ausgehend von einem Regelbetrieb konzipiert, in dem Krisenereignisse den absoluten Ausnahmefall darstellten, und stammt aus einer Zeit, in der die Auswirkungen der Klimakrise nicht spürbar waren. Wir brauchen daher dringend Anpassungen. Denn das Klima ändert sich inzwischen schneller als das österreichische Recht zum Schutz der Arbeitnehmer:innen. Im Umbauplan der Arbeiterkammer Wien zeigen wir, wie es anders geht, wie wir die Klimakrise abwenden können und dabei das Leben der arbeitenden Menschen verbessern. Wir zeigen das in allen Bereichen, in denen wir die Interessen unserer Mitglieder vertreten. Selbstverständlich gehört da das Arbeitsrecht dazu.

Hitze, Unwetter, Blackout – wer muss trotzdem arbeiten?

Extremwetter haben auch Folgen für die knapp vier Millionen Arbeitnehmer:innen in Österreich. Doch wer in diesen Fällen tatsächlich arbeiten muss, das entscheidet noch immer der Einzelfall. Einige Beispiele für inzwischen gängige Anfragen in der arbeitsrechtlichen Beratung: Wann darf ich meinen Arbeitsplatz verlassen? Kann ich heimfahren, um meine Kinder rechtzeitig vor dem Unwetter abzuholen oder mein Hab und Gut vor Unwetterschäden zu schützen? Was ist, wenn durch ein Unwetter der Weg zum Arbeitsplatz versperrt oder der Kindergarten geschlossen ist? Was ist, wenn ich während der Arbeitszeit beim Katastrophenschutz mithelfe?

Da sich die Anfragen zu Hitze, Unwetter oder Blackout in der AK Wien häufen, haben wir die wichtigsten Fragen der Beschäftigten in einer Broschüre zusammengefasst und in einem praktischen FAQ-Format beantwortet. Aber mangels eindeutiger Regelungen für diese mittlerweile im Jahresrhythmus wiederholt auftretenden Rechtsfragen fallen die meisten Fragestellungen unter das nur sehr vage formulierte „Dienstverhinderungsrecht“. Dieses ermöglicht ein berechtigtes Fernbleiben von der Arbeit bei Vorliegen „wichtiger Gründe“. Welche Gründe nun wichtig genug sind, um eine berechtigte Dienstverhinderung mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu bejahen, kann jedoch nur individuell geprüft werden. Es muss an dieser Stelle nicht erklärt werden, wie unbefriedigend diese auf den Einzelfall bezogene Rechtslage für Probleme ist, die mittlerweile ein Massenphänomen sind.

Erfahrung aus Corona nutzen für neue Antworten

Große Unsicherheit gibt es auch, wenn sich Beschäftigte im Katastrophenfall für andere engagieren. Wenn ein:e Arbeitnehmer:in ausnahmsweise als Helfer:in bei der freiwilligen Feuerwehr im Zuge von Aufräumarbeiten nach Unwettern mitarbeitet, ist der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nur in diesem Fall unproblematisch: Der bzw. die Beschäftigte ist Mitglied dieser freiwilligen Feuerwehr, der Einsatz dauert zumindest durchgehend acht Stunden und an den Aufräumarbeiten sind mehr als 100 Personen beschäftigt. Diese Voraussetzungen müssen natürlich allesamt gleichzeitig vorliegen, sonst gibt es keinen Lohn.

Viele dieser Fragen – gerade die Frage, was nun eine Dienstverhinderung ist, bei der ich weiter Lohn oder Gehalt bekomme – haben sich auch mit der Corona-Pandemie gestellt. Im Eiltempo konnten damals für viele der Fragestellungen klare Antworten in Gesetzes- oder Verordnungstext gegossen werden. Die Beratungserfahrung der Sozialpartner, die mit ihren Mitgliedern im täglichen Kontakt stehen und so stets den Einblick haben, wo in der arbeitsrechtlichen Praxis der Schuh drückt, spielte für das Finden der Lösungsansätze eine wesentliche Rolle. Diese Erfahrungen gilt es nun auch für die gravierenden Folgen des Klimawandels zu nutzen und Antworten darauf weiterzuentwickeln.

Im Vordergrund muss dabei die Rechtssicherheit aller Beteiligten stehen. Wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt, müssen alle Betroffenen wissen, welche Ansprüche sie haben und was die genauen Voraussetzungen dafür sind. Andernfalls könnte jeder Schadensfall langwierige juristische Verfahren nach sich ziehen, was angesichts der zunehmenden Häufung von Extremwetter wirtschaftlich und gesellschaftlich höchst destruktiv wäre und überdies auch nicht im Interesse der Betriebe sein kann.

Der Weg zum klimafitten Arbeitsrecht

So sperrig die rechtliche Seite der Medaille auch wirken mag: Der Weg zu einem klimafitten Arbeitsrecht ist in manchen Bereichen weitaus kürzer, als er scheint. Das ist jedenfalls beim Thema Hitze der Fall. Im Alleingang und ohne ein langwieriges Gesetzeswerdungsverfahren einleiten zu müssen, könnte der zuständige Minister im ersten Schritt die veraltete Arbeitsstättenverordnung novellieren. Diese müsste zwingend abgestufte Schutzmaßnahmen ab 25 Grad Celsius in Innenräumen vorsehen, um die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen gegen die Auswirkungen von Hitze besser zu schützen. Das können etwa Lüftungsmaßnahmen, Dämmungen oder Kühlanlagen sein. Sind die getroffenen baulichen, organisatorischen und technischen Maßnahmen nicht ausreichend, um die Hitzebelastung entsprechend zu senken, müsste der Maßnahmenkatalog Ersatzarbeitsplätze oder zusätzliche bezahlte Pausenregelungen vorsehen.

Einen entsprechenden Schutzkatalog benötigen auch sämtliche Tätigkeiten, die an auswärtigen Arbeitsstellen erbracht werden (sogenannte „Outdoor-Arbeitsplätze“). Diese Arbeitsstellen sind nämlich explizit vom Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung ausgenommen. Personen, die etwa an mobilen Arbeitsstellen oder in Gartenanlagen tätig sind, können sich auf die Schutzbestimmungen der Arbeitsstättenverordnung erst gar nicht berufen.

In letzter Konsequenz müsste ein modernes Arbeitsrecht für alle Betroffenen dort, wo eine kühlere Alternative nicht angeboten wird, einen Rechtsanspruch auf hitzefrei vorsehen. In der österreichischen Rechtslage gibt es dazu nur eine Regelung für den Baubereich. Sie gilt grundsätzlich ab 32,5 Grad Celsius im Schatten, hat aber einen wesentlichen Haken: Rechtsanspruch darauf gibt es für betroffene Arbeitnehmer:innen keinen. Ob Hitzefrei gewährt wird, entscheidet weiterhin ausschließlich der Arbeitgeber, zumeist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dabei wäre das Prozedere sehr einfach und die Kosten werden den Firmen von der Bauarbeiter-Urlaubs- und -Abfertigungskasse sogar refundiert. Dennoch nutzen leider immer noch zu wenige Betriebe die Regelung und gefährden damit ihre Beschäftigten. 2022 gab es an 24 Tagen für 38.842 Beschäftigte aus 1.351 Betrieben hitzefrei – das heißt, nur jeder vierte Bauarbeiter durfte bei starker Hitze seine Arbeit beenden.

Neue gesunde Vollzeit: klimafit und klimafreundlich

Bei der Gestaltung der Arbeitszeit ist überdies eine neue, gesunde Vollzeit der wichtigste Ansatzpunkt, mit dem auch Belastungen durch Hitze am Arbeitsplatz gering gehalten werden können. Keine Lösung sind hingegen geteilte Dienste mit langen Pausen und einem spürbar längeren Arbeitstag, wie sie unter dem beschönigenden Titel „Siesta“ diskutiert werden. Sie erschweren die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und sind keinesfalls ein probates Mittel, um klimabedingte Belastungen in der Arbeitswelt spürbar zu reduzieren.

Ansatzpunkte für eine Aktualisierung des Arbeitsrechts, um es klimafit zu machen, gibt es also viele. Höchste Zeit, sie umzusetzen.


Der Artikel beruht auf einer längeren Version in der Zeitschrift „Wirtschaft und Umwelt“ sowie auf dem Kapitel zum Thema Arbeitsrecht aus dem Plan der Arbeiterkammer Wien für den sozialen und ökologischen Umbau, in dem wir zeigen, wie wir die Klimakrise abwenden können und dabei das Leben der Arbeiter:innen und Angestellten verbessern.

Hier geht’s zum ganzen Umbauplan:

Langfassung:
https://emedien.arbeiterkammer.at/resolver?urn=urn:nbn:at:at-akw:g-6692583

Broschüre:

https://emedien.arbeiterkammer.at/resolver?urn=urn:nbn:at:at-akw:g-6692598

Website:

https://wien.arbeiterkammer.at/umbauplan

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