Formal geringqualifiziert - im Betrieb ignoriert?

22. August 2014

Absolvierte Aus- und Weiterbildungen bestimmen zu einem großen Teil unsere Arbeitsmarktposition. Arbeitsplatzspezifisches Know-How, vernetztes Denken und laufende Fortbildungen werden im beruflichen Kontext immer wichtiger. Die Arbeitsmarktsituation von Menschen ohne Berufsabschluss, wird zudem immer schwieriger. Daher sind gerade für formal geringqualifizierte Personen Aus- und Weiterbildungen extrem wichtig. Aber ist (betriebliche) Weiterbildung tatsächlich für alle zugänglich?

Wer nicht hat, dem wird auch nicht gegeben?

Snezana M arbeitet seit mehreren Jahren für eine große Wäscherei in Wien. Die 38-Jährige Mutter zweier Kinder kam in Folge des Balkan-Konflikts Mitte der 90er Jahre nach Wien. Da sie ihre Schullaufbahn noch zur Gänze in ihrem Heimatland absolvierte, war es für sie aufgrund von mangelnden Deutschkenntnissen besonders schwierig, Arbeit zu finden. Umso mehr freute sie sich über die Anstellung in der Wäscherei. Wie sich sehr bald herausstellte, plagen Snezana und ihre Kolleginnen ähnliche Probleme: Erst im Erwachsenenalter nach Österreich gekommen, mit familiären Betreuungspflichten, hatten die meisten keine Möglichkeit, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Alle KollegInnen sind sich aber einig, dass dies sehr wichtig wäre. Vor allem auch im Beruf, da bspw. schriftliche Anweisungen häufig ausschließlich auf Deutsch verfasst werden und diese daher nur unvollständig verstanden werden. Unbeabsichtigte Fehler sind so vorprogrammiert. Weiterbildung ist für sie aufgrund von Betreuungspflichten schwierig außerhalb der Arbeitszeit, privat, zu organisieren, sie weiß leider auch nicht wer ihr da weiterhelfen könnte. Dazu kommt eine privat finanziell angespannt Situation.

Betriebliche Weiterbildung für formal geringqualifizierte KollegInnen

Nicht nur Snezana M und andere ZuwandererInnen haben es schwer, Zugang zu betrieblicher Weiterbildung zu bekommen. Dieser Befund gilt für die meisten Personen mit formal geringen Qualifikationen am österreichischen Arbeitsmarkt. Das „Matthäus-Prinzip“ – „wem hat, dem wird gegeben“ gilt auch in der beruflichen Weiterbildung: Vor allem gut ausgebildete MitarbeiterInnen schaffen es, ihre Vorgesetzten von der Notwendigkeit einer Weiterbildung zu überzeugen.

19% der Erwerbstätigen (810.000) haben höchstens einen Pflichtschulabschluss. Wie PIAAC, das so genannte „Erwachsenen-PISA“ für Österreich gezeigt hat, haben 11 % der Erwachsenen (640.000) lediglich niedrige Grundkompetenzen, davon sind etwa 310.000 Personen erwerbstätig. Personen mit niedrigen Qualifikationen oder niedrigen Grundkompetenzen nehmen signifikant weniger an Weiterbildung teil und sind auch bei öffentlich zugänglichen, kostenlosen Bildungsberatungsstellen unterrepräsentiert.

Betrachtet man die Weiterbildungsbeteiligung nach höchstem Bildungsstand, so zeigen die Ergebnisse des Adult Education Survey einen starken Zusammenhang: Während Personen mit Pflichtschulabschluss eine Weiterbildungsbeteiligung von nur 24% aufweisen, beteiligen sich 69% der Personen mit Tertiärabschluss an Weiterbildung.

Wie Erler in seiner Auswertung des „Adult Education Surveys“ zeigt, betrifft dies vor allem formal geringqualifizierte Frauen, die sich im untersten Einkommensquintil befinden. Hürden sind hier die Kurskosten und die Erreichbarkeit bzw. das Fehlen eines (Weiter-)Bildungsangebotes in der Nähe. Besonders auffallend ist laut Erler die hohe Zahl an Personen, die aufgrund familiärer Verpflichtungen nicht teilnehmen konnten bzw. könnten.

Umso wichtiger wäre es, dass die Betriebe jene Personen, die von selbst nicht so schnell eine Beratungsstelle aufsuchen bzw. sich privat Kurse finanzieren können, besonders zu fördern. Daten des CVTS zeigen, dass gerade in den Branchen mit einem besonders hohen Anteil von formal Geringqualifizierten – wie etwa dem Gastgewerbe oder dem Baubereich – die Weiterbildungsbereitschaft oft sehr gering ist. Wie die folgende Abbildung zeigt, liegen die Gründe keine Weiterbildungsaktivität zu setzen, vor allem in dem Glauben, dass die vorhandenen Fähigkeiten ausreichen würden und das lieber neue Beschäftigte eingestellt werden, als ihre Beschäftigten (die auch für Weiterbildung oft zu ausgelastet sind) neue Fähigkeiten und Kompetenzen anzulernen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Die Lage am Arbeitsmarkt wird schwieriger

Für die Menschen, die keinen (anerkannten) Berufsabschluss haben, ist die Situation am Arbeitsmarkt schwierig. Zum einen sind sie verstärkt in Branchen beschäftigt, die sich durch eine geringere Beschäftigungsstabilität auszeichnen – sind also häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Zum anderen bewirkt der Strukturwandel, dass Hilfs- bzw. Anlernkräfte künftig am Arbeitsmarkt noch stärker unter Druck stehen werden – es wird für sie also immer schwieriger, eine neue Beschäftigung zu bekommen und die Arbeitslosigkeitsphasen werden tendenziell länger.

In Österreich haben fast 50% der Menschen auf Arbeitsuche – das sind rund 150.000 Personen – maximal einen Pflichtschulabschluss. Die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Berufsabschluss lag im ersten Halbjahr 2014 bei 23%, bei den Männern sogar bei 26%. Ein Berufsabschluss reduziert das Arbeitslosigkeitsrisiko bereits um ein Drittel, hier lag die Arbeitslosenquote im ersten Halbjahr 2014 bei rund 7%.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: BALI, eigene Darstellung

Angesichts dieser Zahlen muss es eine zentrale Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik sein, diese Menschen in der Arbeitslosigkeit für weiterführende Aus- und Weiterbildungen zu gewinnen, um ihre Arbeitsmarktposition nachhaltig zu verbessern. In Wien versucht man mit dem „Qualifikationsplan 2020“ die Strategien und Mittel aller beteiligten Stakeholdern dahingehend zu bündeln, dass mehr Menschen einen Berufsabschluss machen können.

Dazu braucht es neben den Angeboten aber auch eine entsprechende finanzielle Unterstützung der Personen, die sich für eine Ausbildung entscheiden. Das ist momentan österreichweit noch unzureichend gelöst: Viele Menschen können es sich schlichtweg nicht leisten, eine länger dauernde Ausbildung zu absolvieren. Die Einführung des Fachkräftestipendiums im letzten Jahr war bereits ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung.

Fazit

Im Sinne einer inklusiven Bildungspolitik und einer präventiv ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik ist es aber ungleich wichtiger, KollegInnen ohne Berufsabschluss bereits in den Betrieben zu erreichen, noch bevor sie arbeitslos werden. Es braucht niederschwellige Bildungsangebote und Rahmenbedingungen, die eine Weiterbildungsbeteiligung auch tatsächlich ermöglichen. Die eine oder der andere kann so vielleicht auch eine berufliche Ausbildung beginnen.

In unserem Beispiel könnte Snezana M einen geförderten Deutschkurs besuchen, der Nahe am Arbeitsort angeboten wird und der zur Hälfte in der Arbeitszeit besucht werden kann. Das stärkt neben ihren Deutschkenntnissen auch ihr Selbstvertrauen. Sie könnte anschließend sogar mit einer Ausbildung beginnen, die ihr es ermöglicht in kleineren Modulen bis hin zum Lehrabschluss Textilreinigung zu kommen. Aufgrund ihrer privaten Betreuungspflichten ist es für sie notwendig, dass sie einen Großteil der Ausbildung in der Arbeitszeit absolvieren kann. Von der höheren Qualifikation hat  jedoch auch ihr Arbeitgeber etwas: eine kompetente und motivierte Facharbeiterin.

In der Realität fehlt es aber – neben leistbaren Angeboten – vor allem am Zugang zu den KollegInnen in den Betrieben, damit diese sich neiderschwellig informieren können und dann auch entsprechend bei der Organisation der Teilnahme ab einem Bildungsangebot unterstützt werden. Über herkömmliche Informationskanäle, wie etwa über Werbung in Zeitungen/Zeitschriften oder den öffentlichen Verkehrsmitteln, erreicht man nur einen kleinen Bruchteil der Menschen. Es bräuchte hier neue Wege, um die KollegInnen dort zu erreichen, wo sie sind: an ihrem Arbeitsplatz.