Die kürzlich abgehaltene Regierungsklausur brachte ein “6-Punkte-Programm zur Bildung” als ein Ergebnis hervor. Darin enthalten ist auch die Verlängerung der “Initiative Erwachsenenbildung” für die nächsten drei Jahre. Das erklärte Ziel der Initiative ist es, den Anteil an gering qualifizierten Personen im erwerbsfähigen Alter nachhaltig zu senken und das Qualifikationsniveau der Bevölkerung zu erhöhen. Die Umsetzung dieser Maßnahme zu Beginn des Jahres 2012 bedeutete die Erfüllung einer langjährigen Forderung von Gewerkschaften und Arbeiterkammer. Doch eine wesentliche Frage bleibt: Wie kann gerade diese Zielgruppe erreicht werden? BelegschaftsvertreterInnen könnten hier eine zentrale Rolle spielen.
Die Bildungspolitik und die betrieblichen Niederungen der Bildungsarbeit
Die Initiative Erwachsenenbildung zielt besonders auf Bildung für ArbeitnehmerInnen ab und ermöglicht es Erwachsenen, den Pflichtschulabschluss kostenlos nachzuholen. So wichtig diese Maßnahme ist, ist auch das politische Signal, das durch ihre Verlängerung ausgesandt wird. Doch abseits hoher Politik bestehen weiterhin auch die Mühen der täglichen Bildungsarbeit, die dort beginnen, wo gerade die Zielgruppe formal gering qualifizierter Personen auch tatsächlich mit Bildungsangeboten erreicht werden soll. Gerade diese Personengruppe hat am Arbeitsmarkt mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zu allem Überfluss hat sie auch noch dazu einen vergleichsweise schwierigeren Zugang zu betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen, wie Petra Völkerer und Ilse Leidl-Krapfenbauer vor Kurzem anhand von PIAAC- und Adult Education Survey-Daten hier im Blog dargestellt haben. In ihrem Fazit halten sie abschließend fest:
“In der Realität fehlt es aber – neben leistbaren Angeboten – vor allem am Zugang zu den KollegInnen in den Betrieben, damit diese sich niederschwellig informieren können und dann auch entsprechend bei der Organisation der Teilnahme ab einem Bildungsangebot unterstützt werden. Über herkömmliche Informationskanäle, wie etwa über Werbung in Zeitungen/Zeitschriften oder den öffentlichen Verkehrsmitteln, erreicht man nur einen kleinen Bruchteil der Menschen. Es bräuchte hier neue Wege, um die KollegInnen dort zu erreichen, wo sie sind: an ihrem Arbeitsplatz.”
Während politische Maßnahmen wie die “Initiative Erwachsenenbildung” das Problem der Finanzierbarkeit von Weiterbildung für die Arbeitnehmerinnen in Angriff nehmen, stellt sich weiterhin die Frage nach den “neuen Wegen”, um die Kolleginnen “an ihrem Arbeitsplatz” zu erreichen. Wenn die Unternehmen kein entsprechendes Augenmerk auf diese Problematik legen, kann “das Thema Bildung […] auch in den Betrieben somit nicht den Managerinnen und Managern überlassen werden.” Aus gewerkschaftlicher Sicht sind daher Antworten durch ArbeitnehmerInnen selbst von Interesse, jedoch keineswegs im Sinne neoliberal gewandter Individualisierungsstrategien, die mit dem Konzept des Lebenslangen Lernens verbreitet wurden. Vielmehr geht es um Antworten im Rahmen der kollektiven Interessenvertretung, das heißt um Möglichkeiten des Betriebsrats bzw. der Personalvertretung, sich des Themas “Bildung im Betrieb” anzunehmen.
Betriebliche Weiterbildung: “Betriebsrat wirkt!”
Zunächst ist ganz allgemein festzustellen, dass sich die Existenz eines Betriebsrats in einem Unternehmen tendenziell positiv auf die betriebliche Weiterbildung auswirkt. So kommen WirtschaftswissenschafterInnen der Universitäten Jena und Odense in einer aktuellen Studie unter anderem zu dem Ergebnis, “dass mitbestimmte Firmen mehr in Weiterbildung investieren und innovativer sind als Firmen ohne Betriebsrat”, und zwar unabhängig von Faktoren wie Betriebsgröße, Branche oder Qualifikation der Beschäftigten.
Auch eine im Auftrag der Gewerkschaft der Privatangestellten- Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) durchgeführte Erhebung findet positive Effekte der Mitbestimmung des Betriebsrats in Bezug auf betriebliche Bildungsmaßnahmen. “Aus einem österreichweiten Sample von Unternehmen, die einen der GPA-djp zugehörigen Betriebsratvorsitzenden hat, konnten wir einen klar positiven Zusammenhang von positiven Indikatoren der Arbeitsqualität (Gesundheitsausgaben, Bildungsausgaben) […] zum Betriebsergebnis feststellen.” (“Betriebsrat wirkt!” (PDF))
Mitbestimmung gefragt, Mitbestimmung möglich!
Dass sich die Mitbestimmung durch gewählte Belegschaftsvertretungen bei verschiedenen Themen grundsätzlich vorteilhaft auf betriebliche Regelungen und die Arbeitsgestaltung auswirkt, mag zunächst wenig überraschend sein. Besonders in Bezug auf das spezifische Thema der betrieblichen Weiterbildung sind solche Ergebnisse jedoch ein wichtiges Signal. Sie zeigen Möglichkeiten auf, betriebliche Aktivitäten zielgerichtet auf bildungspolitische Problemstellungen wie jene der Weiterbildungsbeteiligung von formal gering qualifizierten Personen auszurichten. Denn vielfach versanden konkrete Initiativen mit dem Hinweis auf einen nachrangigen Stellenwert des Themas in der täglichen Betriebsratsarbeit.
Tatsächlich handelt es sich bei Fragen rund um die betriebliche Weiterbildung um ein Themenfeld, in dem der Betriebsrat in einigen Punkten ganz konkrete Mitbestimmungsmöglichkeiten hat. Darüber hinaus handelt es sich auch um einen Bereich, der mit vielen anderen Themen verknüpft ist. Zu denken ist dabei beispielsweise an Themestellungen im Zusammenhang mit
- personellen Angelegenheiten von der Personalauswahl und -entwicklung,
- Managementstrategien und -methoden (z.B. MitarbeiterInnengespräche),
- Einstufungen und Entlohnung,
- ArbeitnehmerInnenschutz und Gesundheitsprogramme,
- Gleichstellung,
- unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse.
Es lohnt sich daher die Mitbestimmung umfassend und strategisch anzulegen, wie das auch mit der Broschüre “Soziales Audit 2: Personalentwicklung – Human Resource- und Personalmanagement aus Sicht der ArbeitnehmerInnen” zu vermitteln versucht wird. So kann und soll der Betriebsrat Mitbestimmungsmöglichkeiten von der Personalauswahlplanung über Bildungsbedarfserhebungen bis hin zur Planung und Umsetzung von Weiterbildungsmaßnahmen und deren Erfolgskontrolle ausschöpfen. Dafür können sich die BelegschaftsvertreterInnen auf arbeitsrechtlichliche Grundlagen wie zum Beispiel § 94 Abs 1 Z 6 ArbVG berufen, wonach der Betriebsrat das Recht hat “an der Verwaltung betriebseigener Schulungs- und Bildungseinrichtungen teilzunehmen”. Die ist auch weiter im Sinne von “Mitgestaltung” und “Maßnahmen der betrieblichen Personalentwicklung” zu interpretieren.
Mitbestimmung und Weiterbildung in Formen gießen
Alleine diese Hinweise auf einige relevanten Themen öffnen den Blick für ein breites Betätigungsfeld des Betriebsrats, das es sich zwar lohnt, mitzugestalten, das aber vielfach erst Schritt für Schritt in Angriff genommen werden muss. Dabei kann es passieren, dass die Aufmerksamkeit für bestimmte Zielgruppen zunächst in den Hintergrund tritt, um überhaupt einmal bei dem Thema Fuß zu fassen.
Grundsätzlich liegt jedoch die Annahme nahe, dass gerade die von den ArbeitnehmerInnen gewählten BetriebsrätInnen beim Thema Bildung bestimmte Zielgruppen am Arbeitsplatz besser erreichen können als das betriebsexternen Bildungsanbieter oder -beraterInnen möglich ist. Allerdings besteht noch erhebliches Ausbaupotenzial und vielfältiger Handlungsbedarf. Neben den Mitbestimmungskompetenzen der Betriebsräte sind Weiterbildungskonzepte gefragt, die zu den betrieblichen Anforderungen und den zielgruppenspezifischen Bedürfnissen passen. Themen wie informell erworbene Kompetenzen, arbeitsintegriertes Lernen und lernförderliche Arbeitsgestaltung spielen hier ebenso eine Rolle wie – scheinbar ganz simpel – Möglichkeiten der Bildungsförderung wie im Rahmen der “Initiative Erwachsenenbildung”.
Hier sind Praxiserfahrungen von Bildungsanbietern und Bildungsberatungseinrichtung sowie auch aus der gewerkschaftlichen Bildung wie auch ExpertInnenwissen aus der Weiterbildungsforschung gefragt. Deren gezielte Vernetzung kann Betriebsräte als Bildungsdrehscheibe dort zum Drehen bringen, wo unterschiedliche Beschäftigtengruppen gezielt und direkt erreicht werden können: im “Lernort Betrieb”, wo die Bildung weiter geht!