Gewerkschaftliche Bildung versteht sich selbst als notwendigerweise Lebenslanges Lernen – gleichzeitig verkörpern die Grundprinzipien gewerkschaftlicher Lernprozesse das Gegenteil des gängigen Verständnisses von lebenslangem Lernen.
Lebenslanges Lernen ist ein Schlagwort, das aus der bildungspolitischen Diskussion nicht mehr wegzudenken ist, seit der Europäische Rat im Frühjahr 2000 beschlossen hat, die EU zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“. Dieses Ziel ist ohne massive Bildungsoffensive nicht zu erreichen – die Vision von lebenslangem oder lebensbegleitendem Lernen beschreibt „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen, bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt“.
Lebenslang eindimensional
In der Praxis gelebt wird meist aber nur der letzte Aspekt: die beschäftigungsbezogene Perspektive. Lebenslanges Lernen wird als permanente Anpassung und Ergänzung der Qualifikationen des Einzelnen verstanden, um das individuelle Überleben am Arbeitsmarkt zu sichern. Die oder der Lernende wird nicht als Individuum mit dem Recht auf persönliche oder gar politische Weiterentwicklung gesehen, sondern als latent defizitärer Faktor, der sich an den sich immer rascher ändernden Erfordernissen des Arbeitsmarktes auszurichten hat. Lernen wird so zu einer defensiven Strategie, es erfolgt nicht aus eigenem Antrieb und Interesse, sondern um eine Beeinträchtigung der Lebensqualität zu vermeiden (Klaus Holzkamp). Dem gegenüber steht eine Form von selbstbestimmtem, interessengeleiteten, sinnhaften Lernen, das Klaus Holzkamp expansives Lernen nennt.
Gewerkschaftliche Bildung, als ArbeiterInnenbildung, stellt den Anspruch, nicht nur expansives, sondern auch kollektives und solidarisches Lernen zu sein, das zu politischer Analyse und kollektivem Handeln ermächtigt. Doch wie soll diese Lernen stattfinden, wie muss politische Bildung organsiert sein, um Phänomenen wie Individualisierung und Entsolidarisierung in der modernen Arbeitswelt entgegenzuwirken und zu deren Demokratisierung beizutragen? Wie können unterschiedlichste Zielgruppen erreicht und für politische Bildung begeistert werden? Welche Rolle kann der Betrieb dabei als Ort des (informellen) Lernens spielen und wo findet dieses Lernen in Arbeitsrealitäten statt, in denen es keinen (fixen) Betrieb gibt?
Mit diesen Fragen haben sich Anfang Dezember 2013 rund 130 Personen aus Gewerkschaften, Arbeiterkammern sowie verschiedensten Erwachsenenbildungseinrichtungen im Rahmen der Tagung „GegenBewegungen bilden! Politische Bildung im Kontext moderner Arbeitswelt“ auseinandergesetzt. Anhand von Ausschnitten aus Erwin Wagenhofers aktuellem Film „Alphabet“ wurden in sechs Arbeitsgruppen Themen wie „Lernort Betrieb“ oder „Politische Bildung, Lebenslanges Lernen und Ökonomisierung“ diskutiert und vertieft.
Bewusstsein entwickeln, um das Sein zu verändern
Im Rahmen gewerkschaftlicher Bildung sind politische Analysefähigkeit, Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit zentrale Themen. Ziel ist es nicht Wissen anzuhäufen, sondern dieses Wissen im Interesse der ArbeitnehmerInnen einsetzen zu können. Es geht darum sich selbständig durch kritische Beobachtung der Realität eine Meinung bilden und daraus gewerkschaftliche, solidarische Handlungsoptionen ableiten zu können. Damit ist gewerkschaftliche Bildung untrennbar mit Praxis und der Gestaltung eigener Lebenszusammenhänge, insbesondere der Arbeitswelt verknüpft. Dieser Praxisbezug muss sich auch im Bildungsalltag, in den Lernsituationen wiederfinden. Er ist ihr Ausgangs- und Endpunkt zugleich. Gilt es doch im Bildungsprozess an den individuellen Erfahrungen und Praxen anzusetzen, diese in Lernschleifen zu bearbeiten, mit Wissen und Theorie zu bereichern und einen Transfer des Gelernten in die Praxis zu unterstützen. Gewerkschaftliche Bildung darf daher auch nicht in den Bildungseinrichtungen halt machen, sondern muss gerade den Betrieb als Ort des (informellen) Lernens wahr und ernst nehmen. Das stellt an Bildungsverantwortliche, Lehrende und Teilnehmende hohe Anforderungen, gilt es ja gemeinsam ein Lernumfeld zu schaffen, in dem die eigenen Praxis reflektiert und bearbeitet werden kann. (Die ReferentInnen Akademie von AK und VÖGB bietet dabei als interne Aus- und Weiterbildungsstätte zahlreiche Unterstützungsangebote.) Nicht die oder der Einzelne soll sich Markterfordernissen anpassen, um individuell überleben zu können, sondern gemeinsam soll Gesellschaft verändert werden, um ein gutes Leben für Alle zu ermöglichen.
Gewerkschaftliches Lernen ist daher immer kollektives Lernen und setzt sich so gegenwärtigen Tendenzen von Individualisierung und Entsolidarisierung entgegen. Ein solches kollektives Lernen zu planen bedeutet, bewusst Konkurrenzsituationen zu vermeiden und gemeinsame Ziele in den Mittelpunkt der Lernprozesse zu stellen. Es beinhaltet eine dezidierte Abkehr von der, in unserem Bildungssystem so stark vertretenen Defizitorientierung. Sie führt dazu, dass gesellschaftlich und individuell Unmengen an personellen, zeitlichen und finanziellen Mitteln (Stichwort Nachhilfe) investiert werden, um in Bereichen, in denen Menschen im Vergleich zu anderen schlechter abschneiden/ bewertet werden, Verbesserungen zu erzielen. Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung hingegen fokussiert sich auf ein Miteinander Lernen, dem konstruktiven Umgang mit Differenz sowie das Nutzbarmachen und Fördern von den verschiedenen Stärken und Potentialen, die die TeilnehmerInnen mitbringen. Politisches Handeln braucht Begeisterung, diese gilt es zu wecken und zu fördern. Und Lernen im Gewerkschaftskontext ist notwendigerweise lebenslanges Lernen, da an und in sich ständig und immer schneller verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen gelernt wird.
Autorinnen
Pia Lichtblau, VÖGB, pädagogische Leitung der ReferentInnen Akademie und der Betriebsräte Akademie
Elisabeth Steinklammer, AK Wien, pädagogische Leitung der ReferentInnen Akademie und der Betriebsräte Akademie