Endlich stellt sich die Regierung dem Problem der Rekordarbeitslosigkeit. Ein nur symbolischer Gipfel würde allerdings weder den vielfältigen Ursachen der inakzeptablen Lage auf dem Arbeitsmarkt, noch der schwierigen sozialen Lage der Betroffenen gerecht werden. Eine neue Strategie gegen Arbeitslosigkeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie mehrere Instrumente kombiniert.
Kurz zusammengefasst: Welche Elemente braucht eine erfolgreiche Strategie gegen die Arbeitslosigkeit?
- Dazu zählen ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik der Europäischen Union,
- die Ausrichtung der österreichischen Wirtschaftspolitik auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Investitionen in den Wohnbau, den öffentlichen Verkehr und die Energienetze, sowie
- den weiteren Ausbau von Kindergärten, Schulen und Pflege, wo der Bedarf an zusätzlichen öffentlichen Leistungen und der Beschäftigungseffekt besonders hoch sind;
- zudem wird ohne eine neue Verteilung des Arbeitsvolumens durch aktive Arbeitszeitpolitik ein Rückgang der Arbeitslosigkeit in Österreich nicht zu erreichen sein;
- rasche Maßnahmen gegen die dauerhafte Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt etwa durch bessere Prävention, Weiterbildung und den Aufbau eines „zweiten Arbeitsmarktes“, sowie
- die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeitslosen sind unabdingbar.
Es braucht einen Gipfel mit einer Neuausrichtung in der Beschäftigungspolitik
Die Regierung hat einen Arbeitsmarktgipfel noch vor dem Sommer angekündigt. Angesichts der Rekordarbeitslosigkeit in Österreich ist das ein absolut naheliegendes Vorhaben. Die Frage ist freilich, was der Gipfel bringen kann. Ginge es nur darum, mit einem Event symbolischer Politik Handlungswillen vorzutäuschen, so wäre ein solcher Gipfel nicht nur entbehrlich, sondern auch eine Provokation für die vielen hunderttausend von Arbeitslosigkeit Betroffenen und ihre Familien. Für sie nämlich wird die Lage immer bedrückender. Wer einmal arbeitslos wird, für den sinken die Chancen zunehmend, rasch wieder eine angemessen bezahlte Stelle zu erhalten. Natürlich: Die Regierung kann weder Wunder wirken, noch hat sie die dramatische Lage auf dem Arbeitsmarkt verschuldet. Diese ist vor allem das Ergebnis der „entfesselten“ Finanzmärkte, deren wiederkehrende Krisen wir alle ausbaden müssen. Was wir allerdings von der Regierung erwarten, ist sich diesem Treiben aktiv entgegen zu stellen.
Was wir also brauchen, das wäre ein Arbeitsmarktgipfel mit dem Ergebnis einer neuen strategischen Ausrichtung der Beschäftigungspolitik, zu deren raschen Umsetzung sich beide Regierungsparteien verpflichten. Ausgangspunkte sind eine genaue Analyse der tatsächlichen Ursachen von Arbeitslosigkeit und das Ernstnehmen der schwierigen sozialen Lage der von Arbeitslosigkeit Betroffenen. Hingegen ist ein neuerliches Aufkochen altbekannter Schuldzuweisungen an die Arbeitslosen verbunden mit der Forderung nach einer weiteren Verschärfung von Sanktionen und Leistungskürzungen verzichtbar. Wenn nämlich eines sicher ist, dann dass die Arbeitsmarktkrise nicht von den Arbeitslosen verursacht wurde.
Vorerst kein Hoffnungsschimmer auf dem Arbeitsmarkt
Die Zahl der registrierten Arbeitslosen wird laut WIFO auf 350.200 im Jahr 2015 und 369.000 im Jahr 2016 ansteigen. Inklusive der SchulungsteilnehmerInnen wird sie damit um 170.000 höher liegen als vor Ausbruch der von den Banken und Finanzmärkten verursachten Wirtschaftskrise. Über die dramatische Lage auf dem Arbeitsmarkt können auch die steigenden Beschäftigungszahlen (+ 3,4% seit 2008) nicht hinwegtrösten. Gestiegen ist nämlich nur die Zahl der Teilzeitstellen (+ 214.200 seit 2008), während die Zahl der Vollzeitstellen seit 2008 um 83.300 zurückging. Wer eine Existenz sichernde Arbeit braucht, dem ist meist nicht geholfen, wenn er eine Teilzeitstelle gefunden hat.
Arbeitslosigkeit trifft immer mehr Menschen, manche landen in der „Drehtür“
Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 ist der Bestand der registrierten Arbeitslosen um +50% explodiert: nämlich von 212.253 (2008) auf 319.357 (2014) im Jahresdurchschnitt. Damit nicht genug: Immer mehr Menschen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Zahl der Betroffenen ist von 776.194 im Jahr 2008 um fast ein Fünftel (auf 922.387 im Jahr 2014) gestiegen. Arbeitslosigkeit ist also kein Randgruppenphänomen mehr.
Allerdings trifft es manche doch ganz besonders nachhaltig: Ein gutes Fünftel aller Erwerbspersonen wird so regelmäßig arbeitslos, dass von einem Drehtüreffekt und der Gefahr der dauerhaften Arbeitsmarktausgrenzung gesprochen werden muss. Immer zahlreicher werden zudem Wiedereinstellungsverträge der Arbeitgeber; viele Firmen versuchen einerseits die ArbeitnehmerInnen vertraglich an sich zu binden, lagern sie aber in Zeiten geringerer Auslastung an das AMS aus. Die Arbeitslosenversicherung (und damit die Allgemeinheit) übernehmen die Kosten dieser externalisierten Personalvorhaltung.
Ursachen der Arbeitslosigkeit: Wirtschaftsschwäche und Angebotsüberhang bei Arbeitskräften
Hauptursachen der aktuellen Arbeitsmarktprobleme in Österreich sind
- die anhaltend schwache Wirtschaftsentwicklung und
- ein Angebotsüberhang bei Arbeitskräften.
Die seit sieben Jahren anhaltende Wirtschaftskrise in Europa hat die Zahl der Arbeitslosen zwei Mal kräftig nach oben getrieben: Zum ersten in der unmittelbaren Finanzkrise 2008/09 als das Bruttoinlandsprodukt und damit die Beschäftigung drastisch schrumpften; zum zweiten ab 2011 als die Sparpolitik (erfolglos) versuchte, den Anstieg der Staatsschulden zu bekämpfen und dabei keine Rücksicht auf die hohen soziale Kosten nahm. Österreich ist wirtschaftlich deutlich besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen EU-Länder, leidet als außenhandelsorientierte Wirtschaft aber dennoch unter der anhaltenden Wirtschaftsschwäche bei wichtigen Handelspartnern.
Gleichzeitig ist Österreich ein sehr attraktiver Arbeits- und Wohnort: Seit 2008 ist die Bevölkerung im Erwerbsalter um 2,3% gestiegen, während sie etwa in Deutschland im selben Zeitraum um 2,5% gesunken ist. Deshalb führte ein ähnlich starkes Wachstum der Beschäftigung von jeweils 2,7% in Deutschland zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit, in Österreich aber nicht. Der starke Anstieg an Arbeitssuchenden hängt mit der erfreulichen Zunahme der Erwerbsneigung der Frauen, der schrittweisen Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters, der Einschränkung des Zugangs zur Invaliditätspension und mit der regen Zuwanderung aus Deutschland und Osteuropa zusammen.
Gleichzeitig ist das Arbeitsvolumen in Österreich sehr ungleich verteilt: Während einerseits die Teilzeitquote mit rund 27% sehr hoch ist, gilt dies auf der anderen Seite auch für die Zahl der Überstunden: Jährlich fallen 271 Mio. Überstunden an.
Ziele des Arbeitsmarktgipfels
Eine neue, ernst gemeinte, Strategie gegen Arbeitslosigkeit sollte sich daher auf fünf Kernbereiche konzentrieren: Einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik, die Stärkung der Arbeitskräftenachfrage, eine sinnvolle Verteilung des Arbeitsvolumens, den Kampf gegen dauerhafte Arbeitsmarktausgrenzung und eine verbesserte Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit:
- Kurswechsel in der EU-Wirtschaftspolitik: Die europäische Sparpolitik ist in der Verringerung der Staatsschulden gescheitert und hat Massenarbeitslosigkeit verursacht. Sie muss durch eine Investitionspolitik ersetzt werden, die rasch Beschäftigungsprogramme für Jugendliche mit einem besonderen Schwerpunkt in den Krisenländern startet, das EU-Budget den sozialen Anforderungen anpasst, den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft vorantreibt und die Fiskalregeln modernisiert, indem eine „goldene Investitionsregel“ geschaffen wird, die eine sinnvolle Defizitfinanzierung langfristig wirkender Infrastrukturinvestitionen ermöglicht. So können die Wirtschaft belebt und Staatsschulden sowie die Arbeitslosigkeit gesenkt werden.
- Stärkung der Arbeitskräftenachfrage in Österreich: Der Ausbau sozialer Dienstleistungen ist dringend notwendig – weiterhin fehlen Krippenplätze, Ganztagsschulen, Pflegeplätze und ausreichendes Angebot an Sozialarbeit; mit besserem Leistungsangebot in diesen Bereichen sind besonders hohe Beschäftigungseffekte verbunden. Auch wichtige Infrastrukturvorhaben im sozialen Wohnbau, den Energienetzen und im öffentlichen Verkehr stärken den Wirtschaftsstandort, erhöhen den Wohlstand und schaffen als Nebeneffekt Arbeitsplätze.
- Sinnvolle Verteilung des Arbeitsvolumens durch moderne Arbeitszeitpolitik: Verhinderung unfreiwilliger Überstunden (Straftatbestand bei systematischer Vorenthaltung von Über- und Mehrstundenentlohnung) und Verteuerung der Überstunden für ArbeitgeberInnen (+ 1 Euro pro Überstunde), Einschränkung für All-In-Verträge, neue Möglichkeiten zur individuellen Arbeitszeitverkürzung durch Weiterentwicklung der Kurzarbeit und des kollektivvertraglichen Erfolgsprojekts der Freizeitoption, Schaffung einer neuen Pflichtleistung der Arbeitslosenversicherung (Zusammenführen von Fachkräftestipendium, Bildungsteilzeit und Bildungskarenz zu einer sinnvollen neuen Leistung mit Rechtsanspruch; kofinanziert aus Steuermitteln), sechste Urlaubswoche für alle ArbeitnehmerInnen, Recht auf bezahlten Papamonat.
- Kampf gegen dauerhafte Arbeitsmarktausgrenzung: Das AMS muss endlich in die Lage versetzt werden, individuell abgestimmte Betreuungsschritte für seine KundInnen setzen zu können, statt sie innerhalb weniger Minuten „abfertigen“ zu müssen. Zu diesem Zweck muss der Betreuungsschlüssel von derzeit durchschnittlich 1 (BetreuerIn): 250 (KundInnen) auf höchstens 1:140 herabgesetzt werden (EU-Benchmark) und das aktive AMS-Budget wenigstens auf dem Niveau des Jahres 2014 erhalten bleiben (fiktive Förderquote pro Kopf der Arbeitsuchenden), der Mitteleinsatz für Ältere muss flexibilisiert werden und darf nicht nur für Lohnsubventionen und Transitarbeitsplätze verfügbar sein. Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sind ebenso auszubauen wie Präventionsmaßnahmen (zB Gesundheitsschutz) und Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem „zweiten Arbeitsmarkt“. Das Bonus-Malus-System, das laut Regierungsprogramm die eklatante Diskriminierung Älterer auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen und sanktionieren soll, muss endlich umgesetzt werden.
- Existenzsicherung Arbeitsloser ernst nehmen: Die materielle Lage vieler Arbeitsloser ist bedrückend. Eine IFES/SORA-Studie im Auftrag der AK zeigt nicht nur, dass fast jede(r) zweite Arbeitslose außerstande ist, mit der ALV-Leistung die laufenden Kosten zu decken, sie zeigt auch, dass Frauen wegen des ungerechten Notstandshilfesystems besonders an die Wand gedrückt werden: 82% jener , die wegen der sogenannten Partnereinkommensanrechnung keine Leistung erhalten, sind Frauen. Hier braucht es Abhilfe, und zudem braucht es auch eine Erhöhung der Ersatzrate von 55% auf wenigstens 60% beim Arbeitslosengeld und die Verlängerung der Bezugsdauer. Schließlich ist auch das Trittbrettfahren vieler Unternehmen ernsthaft zu bekämpfen: Münden Arbeitserprobung, Arbeitstraining und Lohnsubventionen nicht in Arbeitsverhältnisse, die über den Förderzeitraum hinausreichen, so soll dies zu einem Förderausschluss führen. Ebenso ist darauf zu achten, dass sich ArbeitgeberInnen an den Kosten betrieblicher Schulungen, die auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnitten sind, auch angemessen beteiligen. Außerdem sind sie an den Kosten der Arbeitslosenversicherung zu beteiligen, wenn sie diese nur als Personalvorhalte-Pool missbrauchen.