Arbeitslosigkeit ist stark segmentiert

04. März 2015

Arbeitslosigkeit ist, wie auch der Arbeitsmarkt insgesamt, stark segmentiert. Ein Teil der Arbeitslosen ist nur kurz und vorübergehend von Arbeitslosigkeit betroffen, während andere lange und häufig arbeitslos sind. Zudem ist in Österreich die Gruppe von kurz, aber häufig wiederkehrend Arbeitslosen bedeutend. Traditionelle Indikatoren zur Messung der Dauer und Häufigkeit von Arbeitslosigkeit – wie etwa die Langzeitarbeitslosigkeit – sind nicht ausreichend in der Lage diese Segmentierung innerhalb der Arbeitslosigkeit zu erfassen. Eine neu entwickelte Typologie von Arbeitslosen macht es möglich, verschiedene Formen und Ausmaße der Betroffenheit von Arbeitslosigkeit zu unterscheiden und zu quantifizieren. Sie zeigt auch, dass längerfristige und wiederkehrende Arbeitslosigkeit in den Jahren seit der Finanzkrise deutlich zugenommen haben.

Die Situation am Arbeitsmarkt bleibt schwierig

Die Arbeitslosigkeit hat in den Jahren seit der Finanzkrise 2009 deutlich – und mit Ausnahme einer kurzen Erholung im Jahr 2010 – stetig zugenommen. Neben dem schwachen Wirtschaftswachstum ist dafür vor allem das steigende Arbeitskräfteangebot verantwortlich, das aufgrund des längeren Verbleibs älterer Arbeitskräfte im Erwerbsleben und des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte in den letzten Jahren markant zugenommen hat. Eine derartige Entwicklung erschwert die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, da die Konkurrenz um relativ wenige Arbeitsstellen zunimmt, und es steigt die Gefahr dauerhafter Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt.

Eine aktuelle Studie von WIFO und AMS („Eine Typologie Arbeitsloser nach Dauer und Häufigkeit ihrer Arbeitslosigkeit 2010-2013“) zeigt auf, dass sich hinter der großen Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen sehr unterschiedliche Erwerbssituationen und Problemlagen verbergen. Während gängige Arbeitsmarktindikatoren oftmals auf kurze Zeitfenster fokussieren, werden für dieses Segmentierungsraster fünfjährige Erwerbshistorien betrachtet, um die unterschiedlichen Muster der Arbeitslosigkeit und insbesondere längerfristige Probleme bei der Arbeitsmarktintegration besser aufspüren und quantifizieren zu können.

Gruppierung Arbeitsloser anhand von Dauer, Häufigkeit und Gesamtausmaß der Arbeitslosigkeit

Herzstück der Studie ist eine Typologie der Arbeitslosen der Jahre 2010 bis 2013: Dabei werden sieben Gruppen von Arbeitslosen gebildet, die sich hinsichtlich der Dauer und Häufigkeit von Arbeitslosigkeitsphasen sowie der Gesamtsumme der in Arbeitslosigkeit verbrachten Zeit innerhalb der jeweils betrachteten Fünfjahreszeiträume unterscheiden.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Auswertung entsprechend dieser Typologie beschreibt die Struktur der Arbeitslosen, die im Laufe eines Jahres mindestens einen Tag beim AMS vorgemerkt oder in Schulung waren. Nach dem in der Studie umgesetzten (breiten) Konzept von Arbeitslosigkeit, waren dies im Jahr 2013 959.360 Personen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren. Dies entspricht einem Anteil von 19,6% an insgesamt 4.887.680 Erwerbspersonen.

Die im Jahr 2013 16- bis 65-jährigen, von Arbeitslosigkeit Betroffenen verteilen sich wie folgt auf die sieben unterschiedenen Typen:

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Grob zusammengefasst, waren im Jahr 2013:

  • 39% selten und insgesamt wenig arbeitslos (Typen 1 und 2).
  • Insgesamt 21% zählten zu den „Drehtürarbeitslosen“ mit kurzer, aber häufig wiederkehrender Arbeitslosigkeit (Typen 3 und 4). Davon waren 12% insgesamt wenig und 9% insgesamt viel arbeitslos.
  • 40% der von Arbeitslosigkeit Betroffenen waren (zumindest einmal) lang und insgesamt viel arbeitslos (Typen 5, 6 und 7), knapp die Hälfte davon (18%) sogar mehr als 2,5 Jahre im Zeitraum von fünf Jahren.

Wiederkehrende Arbeitslosigkeit – ein “österreichisches Phänomen”

Mit einem guten Fünftel nimmt kurze, wiederkehrende Arbeitslosigkeit (Drehtürarbeitslosigkeit, Typen 3 und 4) einen erheblichen Anteil an den von Arbeitslosigkeit Betroffenen ein. Dieses Phänomen steht in Zusammenhang mit dem hohen Arbeitskräfteumschlag am österreichischen Arbeitsmarkt, der durch einen relativ lockeren Kündigungsschutz und die große Bedeutung saison- und witterungsabhängiger Branchen, insbesondere Tourismus und Bauwirtschaft, begünstigt wird. Damit einher geht die weit verbreitete betriebliche Praxis, sich in Zeiten geringer Auslastung vorübergehend von Arbeitskräften zu trennen, um sie anschließend bei verbesserter Auftragslage wieder einzustellen („Recalls“). Viele dieser Arbeitskräfte sind in den auslastungsschwächeren Zeiten arbeitslos.

Die Typologie deckt weiters auf, dass starke Ausgrenzung am Arbeitsmarkt über die Zeit an Bedeutung gewonnen hat

Der Anteil von Arbeitslosen mit sehr viel und langer Arbeitslosigkeit (Typ 7) ist – trotz überlappender Beobachtungszeiträume in den betrachteten Fünfjahreszeiträumen – um knapp ein Viertel von 15,1% im Jahr 2010 auf 17,9% im Jahr 2013 gestiegen (die Zahl der insgesamt von Arbeitslosigkeit Betroffenen hat im selben Zeitraum nur um 3,9% zugenommen). Dieses Ergebnis weist deutlich auf zunehmende Ausgrenzungs­probleme im Gefolge der Finanzkrise 2009 und der seit 2011 zunehmenden Arbeitslosigkeit hin.

Wiederholt und dauerhaft Arbeitslose dominieren im Durchschnittsbestand der Arbeitslosen

Die Darstellung Arbeitsloser nach Typen folgt bisher einer Betroffenheitssicht, stellt also alle in einem Jahr – eventuell auch nur kurz – beim AMS auftretenden Personen dar. Dieser Betroffenheitsbetrachtung lässt sich eine Bestandssicht gegenüberstellen, welche die beim AMS registrierten Personen an einem durchschnittlichen Tag erfasst. In dieser Perspektive, die mit den regelmäßig vom AMS veröffentlichten Arbeitslosenzahlen zu Stichtagen am Monatsende vergleichbar ist, kommt die nach Arbeitslosen-Typen unterschiedliche Dauer der Arbeitslosigkeit im Auswertungsjahr zum Tragen.

Typologie der Arbeitslosen, Betroffene versus Bestand, 16-65 Jahre, 2013

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Q: AMS-Bericht, WIFO INDI-DV auf Basis Arbeitsmarktservice Österreich, Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und WIFO.

Im Jahr 2013 gehörte ein Drittel der an einem durchschnittlichen Kalendertag erfassten arbeitslosen Personen (33,6%) dem Arbeitslosentyp 7 an, in dem Personen mit mehr als 2,5 Jahren Arbeitslosigkeit innerhalb von fünf Jahren zusammenfasst sind. Mehr als zwei Drittel des durchschnittlichen Arbeitslosenbestands waren in einem Fünfjahreszeitraum in Summe mehr als ein Jahr lang arbeitslos (Typen 4 bis 7).

Übergänge aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung

Analysen von Übergangsmustern belegen ein hohes Maß an Persistenz in der Segmentierung der Arbeitslosigkeit. Dies gilt in besonderem Maß für Drehtürarbeitslose mit wieder­kehrender Kurzzeitarbeitslosigkeit. Sie schaffen zwar häufiger als alle anderen Typen Arbeitsloser einen Übergang zurück in Beschäftigung. Ihre Erwerbslaufbahn ist aber sehr oft dauerhaft durch ein hohes Maß an Instabilität geprägt.

Erwartungsgemäß sind die Reintegrationschancen für ältere Arbeitskräfte und vor allem für gesundheitlich eingeschränkte Personen vergleichsweise niedrig und für höher Qualifizierte relativ günstig.

Personen mit viel Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit haben ein vergleichs­weise hohes Risiko, auch in Zukunft arbeitslos zu sein. Dennoch zeigt sich, selbst für Personen mit langer Arbeitslosigkeit, dass realistische Chancen auf Wiederbeschäftigung und auch eine stabile Reintegration in den Erwerbsprozess bestehen. Immerhin schaffen es 11,5% der Personen, die in den letzten fünf Jahren mehr als die Hälfte der Zeit arbeitslos waren, zurück in mindestens ein Jahr durchgängig stabile Beschäftigung; unter allen von Arbeitslosigkeit Betroffenen sind es knapp 30%.

Fazit

Arbeitsmarktpolitik steht vor der Herausforderung, Arbeitslose mit sehr heterogenen Erwerbssituationen und Problemlagen dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die dargestellten Analysen zeigen einerseits, wie groß die Segmente der Arbeitslosigkeit sind, in denen langfristige Integrationsprobleme in den Arbeitsmarkt bestehen. Andererseits weisen sie, auch mit Blick auf gerade diese Segmente, darauf hin, dass auch Langzeitarbeitslose eine durchaus realistische Chance auf eine dauerhafte Rückkehr in Beschäftigung haben. Arbeitsmarktpolitik kann also trotz Verfestigungstendenzen in der Arbeitslosigkeit in allen dargestellten Segmenten die Reintegrationsperspektiven verbessern; ein ermutigendes Zeichen in Zeiten einer angespannten Arbeitsmarktsituation.

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Dieser Blogbeitrag beruht auf dem Spezialteil “Dauerhafte und wiederkehrende Arbeitslosigkeit in Österreich: eine Typologie der Arbeitslosen” der neuesten Ausgabe von “Arbeitsmarkt im Fokus”.

Die Langfassung der Studie von Wifo und AMS „Eine Typologie Arbeitsloser nach Dauer und Häufigkeit ihrer Arbeitslosigkeit 2010-2013“ wird in Kürze auf der Homepage des AMS-Forschungsnetzwerks erscheinen.