Nur ein flexibles und inklusives Staatsbürgerschaftsrecht kann den Anforderungen moderner Gesellschaften gerecht werden. Davon ist Österreich aber weit entfernt: Im internationalen Vergleich sind lediglich zwei Länder noch restriktiver als Österreich: Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Dieser Artikel thematisiert die Herausforderungen und Reformen in Wien. Im Zentrum steht die Rolle des Beratungszentrums für Migranten und Migrantinnen, das gemeinsam mit der Abteilung Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35) zum Ziel hat, den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern und die gesellschaftliche Teilhabe von Migrant:innen zu fördern.
Status quo und aktuelle Debatte in Österreich
Die Einbürgerungspolitik eines Landes ist ein wesentliches Element der Integrationspolitik, vor allem für Länder, die von Einwanderung und Niederlassung demografisch geprägt sind. Zu diesen Ländern zählt auch Österreich. Nichtsdestotrotz gehört Österreich in Sachen Staatsbürgerschaft zu den restriktivsten Ländern Europas. Gemeinsam mit Bulgarien erhält es im MIPEX-Ranking, das 56 Länder weltweit hinsichtlich der Zugänglichkeit zur Staatsbürgerschaft vergleicht, nur 13 von 100 möglichen Punkten.
Das Staatsbürgerschaftsrecht ist eine heißt diskutierte Konstante in der politischen Debatte. Zuletzt unternahm die SPÖ einen neuen Vorstoß und forderte die Senkung der Einkommensgrenzen sowie die Abschaffung der hohen Gebühren. Zudem möchte sie die Staatsbürgerschaft für in Österreich geborene Kinder erleichtern und fordert das bedingte Ius soli – das Geburtsortsprinzip. Erstmals zeigt sich auch die ÖVP bereit, Erleichterungen bei den Einkommensgrenzen zu unterstützen, fordert jedoch intensivere Prüfungen durch den Staatsschutz, um die Integration der Antragsteller:innen zu gewährleisten. Die NEOS setzen sich für die Einführung einer allgemeinen Doppelstaatsbürgerschaft ein. Auch die Grünen fordern eine Erleichterung des Prozesses, um den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu vereinfachen.
Junge Menschen sind von Stigmatisierung und Identitätsproblemen betroffen
Der Zugang zur Staatsbürgerschaft ermöglicht Einwander:innen nicht nur gesellschaftliche und politische Teilhabe, sondern trägt auch zu einer stärkeren Identifikation mit dem Staat bei. Für viele Menschen ist die Staatsbürgerschaft mehr als eine juristische Zugehörigkeit – sie verkörpert ein Gefühl der Verbundenheit und ist ein Teil ihrer Identität. Kinder und Jugendliche, die zwar in Österreich geboren wurden oder seit frühester Kindheit hier leben, werden vom Gesetz oft als „Fremde“ betrachtet – eine Bezeichnung, die nicht nur bis zum Erreichen des Erwachsenenalters bestehen bleibt, sondern auch über diesen Zeitpunkt hinaus andauert. Dies führt zu Ungleichbehandlung: Rechte werden eingeschränkt, die demokratische Beteiligung wird blockiert und Integration sowie Zugehörigkeitsgefühle werden erheblich gehemmt. Diese jungen Menschen erfahren oft eine doppelte Entfremdung – sowohl innerhalb Österreichs als auch auf internationaler Ebene. Ohne österreichische Staatsbürgerschaft sind ihre Möglichkeiten, sich innerhalb der EU oder global frei zu bewegen, stark begrenzt. Da die Staatsbürgerschaft nicht nur nationale, sondern auch internationale Rechte und Freiheiten sichert, bleibt ihnen der uneingeschränkte Zugang zur globalen Gemeinschaft verwehrt. Dies beeinträchtigt nicht nur ihre persönliche und berufliche Entwicklung, sondern auch ihre Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben.
Bürokratische Hürden des Staatsbürgerschaftsrechts
Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht zeigt eine deutliche soziale Selektivität und benachteiligt insbesondere Menschen mit niedrigen Einkommen. Das betrifft Menschen in bestimmten Berufen, Frauen mit Betreuungspflichten und Alleinerziehende, die ohnehin häufig unter strukturellen Nachteilen leiden. Zusätzlich müssen alle Bewerber:innen zahlreiche Anforderungen gleichzeitig erfüllen, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Diese Bedingungen erschweren es vielen, die notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen.
Die Berechnung der benötigten Einkommensgrundlage, die von der persönlichen Lebenssituation der antragstellenden Person abhängt und sehr kompliziert ist, stellt im Staatsbürgerschaftsprozess mitunter die größte Hürde dar. Es muss immer das Einkommen der letzten sechs Monate vor dem Antrag nachgewiesen werden. Darüber hinaus müssen aus den letzten sechs Jahren die 30 höchsten Gehaltseingänge berücksichtigt werden, um den Lebensunterhalt zu ermitteln. Viele Antragsteller:innen haben jedoch Schwierigkeiten, die bestbezahlten 30 Monate herauszufinden. Dabei sind Einkünfte aus dem Ausland oft schwer nachzuvollziehen und erfordern einen hohen Zeitaufwand. Zusätzlich muss je nach Situation geprüft werden, ob ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch besteht. Auch gibt es Berechnungen für das Existenzminimum, die mit bestimmten Richtlinien abgeglichen werden müssen. Selbst in Österreich geborene Kinder müssen über ihre Eltern nachweisen, dass sie die Einkommensvoraussetzungen erfüllen, um überhaupt eine Chance auf die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Eine Erleichterung besteht nur für in Österreich geborene staatenlose Personen im Alter zwischen 18 und 21 Jahren. Staatenlos sind Personen, die nach dem Recht keines Staates eine Staatsangehörigkeit besitzen, das bedeutet, kein Staat betrachtet diese Personen als seinen Staatsbürger:innen.
Wenn junge Menschen mit Familienangehörigen zusammenleben, die auf Mindestsicherung angewiesen sind, hat das auch Auswirkungen auf ihr eigenes Verfahren: Sie erfüllen damit die Einkommensvoraussetzungen für eine Einbürgerung nicht, selbst wenn diese jungen Menschen erwerbstätig sind und ein gutes Einkommen über 36 Monate nachweisen können. Und nach wie vor werden uneheliche Kinder, die von einem Vater mit österreichischer Staatsangehörigkeit und einer Mutter ohne österreichische Staatsangehörigkeit abstammen, anders behandelt, als wenn die Mutter die österreichische Staatsbürgerschaft hat und der Vater nicht. Erstere erwerben die österreichische Staatsbürgerschaft mit Geburt nur dann, wenn der Vater innerhalb von acht Wochen die Vaterschaft anerkennt. Obwohl Studien zeigen, dass ein langwieriger Weg zur Staatsbürgerschaft oft kontraproduktiv sein kann, betonen der Migrations- und Integrationsforscher Rainer Bauböck von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Politikwissenschaftler Gerd Valchars, dass in Österreich die Staatsbürgerschaft erst „am Ende eines abgeschlossenen, erfolgreichen Integrationsprozesses“ steht.
Trotz steigender Staatsbürgerschaftsverfahren sinkt die Anzahl der Einbürgerungen in Wien
Laut SOS Mitmensch besitzen mehr als 260.000 in Österreich geborene Menschen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Zusätzlich sind mehr als 80.000 Personen, die seit ihrer Kindheit in Österreich leben, bisher nicht eingebürgert. Im Jahr 2024 haben bis September insgesamt 15.824 Personen die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Laut vorläufigen Daten von Statistik Austria entspricht dies einem Anstieg von 43,4 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres, in dem 11.033 Einbürgerungen verzeichnet wurden. Unter den im Jahr 2024 bis September eingebürgerten Menschen befanden sich 6.133 Personen (38,8 Prozent) mit Wohnsitz im Ausland.
Der Anstieg der Einbürgerungszahlen im Jahr 2024 ist hauptsächlich auf die gestiegene Zahl der Einbürgerungen von NS-Opfern und deren Nachkommen zurückzuführen. Eine Gesetzesänderung ermöglichte es den Nachkommen von NS-Opfern, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben, was von vielen Betroffenen aktiv in Anspruch genommen wurde. Besonders hohe Zuwächse bei der österreichischen Einbürgerung im Jahr 2024 gab es in Oberösterreich (+50,2 Prozent auf 1.869 Einbürgerungen), gefolgt von der Steiermark (+40,4 Prozent auf 1.271). In Wien hingegen gab es einen Rückgang von 2,9 Prozent auf 2.777 Einbürgerungen, ebenso im Burgenland, wo die Zahl um 2,7 Prozent auf 143 zurückging.
Ein genauer Blick nach Wien
Inlandseinbürgerung Personen | 1–9/2023 | 1–9/2024 | Veränderung in % |
Antragstermine Inlandseinbürgerung | 3.899 | 6.727 | +72,5% |
Erledigungen gesamt | 4.183 | 4.881 | +16,7% |
Einbürgerungen lt. Statistik Austria Wien | 2.859 | 2.777 | -2,9% |
Quelle: https://www.statistik.at/fileadmin/announcement/2024/11/20241113Einbuergerungen2024Q3.pdf
Trotz der steigenden Zahl von Bearbeitungen bei den Staatsbürgerschaftsverfahren in Wien werden weniger Personen eingebürgert. Das liegt daran, dass viele Antragsteller:innen in Wien die hohen Einkommensvoraussetzungen nicht erfüllen. Diese Verfahren werden dann negativ entschieden, wobei die meisten Personen den Antrag nach der Verständigung vom Ergebnis zurückziehen, um sich zumindest die Bescheidgebühren zu sparen.
Reformprozesse in Wien
Im Jahr 2020 sah sich die Abteilung Einwanderung und Staatsbürgerschaft der Stadt Wien mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Die Corona-Krise verstärkte den Druck auf die Behörde zusätzlich: Persönliche Termine waren nur eingeschränkt möglich, was zu einer Vielzahl von Anfragen per E-Mail und Telefon führte. Die Mitarbeiter:innen der Abteilung Einwanderung und Staatsbürgerschaft gaben trotz dieser schwierigen Bedingungen ihr Bestes, waren jedoch häufig aufgrund der enormen Arbeitslast überfordert. Dies führte immer wieder zu Kritik seitens der Kund:innen sowie der Wiener:innen. Während die Erreichbarkeit der Behörde stark eingeschränkt war, stiegen die Anfragen gleichzeitig deutlich an, insbesondere im Bereich der Staatsbürgerschaft. Um auf diese Herausforderung schnell zu reagieren, initiierte das Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen eine Kooperation zwischen der Abteilung Integration und Diversität (MA 17) und der Abteilung Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35), um neue Informationstermine anzubieten.
Ziel der Informationstermine ist es, schnell potenzielle Staatsbürgerschaftsantragsteller:innen zu identifizieren. Denn die Voraussetzungen für die Staatsbürgerschaft sind in den letzten Jahren immer vielfältiger und komplexer geworden, was einen höheren zeitlichen Aufwand und mehr fachliches Wissen für die Verfahrensbearbeitung erfordert. Aus diesem Grund sind interkulturelle Kompetenzen sowie fundierte Kenntnisse in angrenzenden Rechtsbereichen der Berater:innen unabdingbar. Bei den monatlichen Großveranstaltungen werden jeweils rund 1.350 Menschen zur Staatsbürgerschaft informiert. Diese Veranstaltungen sind Teil der Reformprozesse der MA 35 in Wien, die darauf abzielen, die zuvor genannten gesetzlichen Hürden zu verringern. Allein im Jahr 2024 konnten etwa 13.000 Personen informiert und beraten werden. Der Andrang ist groß: Die Wartezeit für einen Platz zu einer der Erstinformationsveranstaltungen beträgt derzeit bis zu fünf Monate.
Fazit
Eine Reform des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes ist dringend notwendig. Angesichts der globalen Mobilität, der gesellschaftlichen Diversität und der steigenden Zahl an Menschen, die in Österreich geboren oder aufgewachsen sind, aber weiterhin ohne österreichische Staatsbürgerschaft leben, besteht dringender Handlungsbedarf. Nur durch eine flexible und gerechte Gesetzgebung, die bürokratische Hürden reduziert und soziale Barrieren abbaut, kann eine moderne Einbürgerungspolitik gestaltet werden, die gesellschaftliche Teilhabe und Integration nachhaltig fördert.