In Österreich und Europa ist die Live-in-Betreuung – alltagssprachlich: 24-Stunden-Betreuung – etabliert und umstritten. Agenturen bieten häusliche Dienste für Senior:innen an, indem sie Migrant:innen, oft Frauen aus Zentral- und Osteuropa, in Haushalte vermitteln. Dort arbeiten, wohnen, leben sie für Wochen oder Monate, bevor sie für einige Zeit in ihr Herkunftsland zurückpendeln. Der Beitrag diskutiert diese Betreuungsform und fragt, ob es nicht an der Zeit für Best Practice-Modelle ist.
Agenturvermittelte Live-in-Betreuung in Europa: breit gefächert mit gemeinsamem Kern
In den alternden Gesellschaften Europas und insbesondere in Ländern, in denen Betreuungsleistungen in erster Linie über den Markt oder durch die Familie bereitgestellt werden sollen, füllt die agenturvermittelte Live-in-Betreuung eine Lücke. Sie bietet dort häusliche Dienste gegen Bezahlung an, wo familiäre oder öffentliche Leistungen nicht hinreichend verfügbar oder gewollt sind. Wie Agenturen organisiert sind und arbeiten (von Ein-Personen-Unternehmen bis zu transnationalen Konzernbetrieben, privat- oder gemeinwirtschaftlich, staatlich registriert oder informell), welche Dienste sie anbieten, wie sie welche Arbeitskräfte vermitteln, wie das Live-in-Arrangement ausgestaltet ist und was daran umstritten ist, das unterscheidet sich von Land zu Land. Neben übergreifenden europäischen Regulierungen und Politiken (etwa mit Blick auf die Dienstleistungs- oder Arbeiternehmer:innenfreizügigkeit) unterliegt die Live-in-Betreuung den wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Einflussfaktoren in den Herkunfts- und Ankunftsländern. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Agenturleistungen (für die Haushalte wie für die Arbeitskräfte), der Arbeitsverhältnisse (z. B. Selbständigen-, Angestellten-, Entsendemodelle) oder der Organisation, der Interessenvertretung, der Agenturen und der Betreuer:innen.
Gleichwohl zeigen sich auch ähnliche Tendenzen. So hat sich in Deutschland, Irland, Österreich, Polen, Spanien, der Schweiz und Ungarn die Agenturvermittlung zusehends ausdifferenziert. In Italien und den Niederlanden hingegen führen Agenturen ein Nischendasein. Gemeinsamkeiten schließlich finden sich mit Blick auf das Kernstück des Geschäfts- und Betreuungsmodells: Nämlich, dass die Betreuer:innen selbst im Haushalt der Betreuten leben. Das ermöglicht es Migrant:innen einerseits durch Kost und Logis in Ländern zu arbeiten, in denen der Lebensunterhalt aufgrund der niedrigen Einkommen in der Live-in Betreuung ansonsten nicht zu stemmen wäre. Andererseits sorgt das Modell für eine hohe Verfügbarkeit der Arbeitskräfte am unterregulierten Arbeitsplatz Haushalt, der sie sich nur schwer entziehen können. Senior:innen verspricht es auf diese Weise eine bedarfs- und bedürfnisorientierte 1:1-Betreuung in ihrer gewohnten Umgebung, wobei Beispiele aus Belgien, Deutschland, Österreich, der Schweiz und Spanien zeigen, dass und wie die Anpassung der Arbeitskräfte an die bestehende Haushaltsordnung seitens der Agenturen, Betreuten und Angehörigen erwartet und befördert wird.
Agenturvermittelte Live-in-Betreuung in Österreich: etabliert und kritisiert
Wie auch in anderen Ländern Europas hatte sich in Österreich die Live-in-Betreuung mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der massenhaften Freisetzung von Arbeitskräften in Zentral- und Osteuropa zunächst als informelles Arrangement entwickelt. Migrant:innen suchten und fanden Arbeit in österreichischen Haushalten, die sie durch Pendelmigration mit ihren Arbeits- und Betreuungsbelangen in ihrem Herkunftsland vereinbaren konnten. Mit der Legalisierung und Anerkennung der Personenbetreuung im Hausbetreuungsgesetz 2007 hat Österreich den Weg für die Formalisierung der Live-in-Betreuung freigemacht, ihr damit trotz Kritik an den Arbeitsbedingungen zugleich Legitimität verschafft und zur Bildung eines rasant gewachsenen Marktes für Vermittlungsagenturen beigetragen. Während Österreich somit einen Teil des Versorgungsbedarfs über die Rekrutierung vergleichsweise billiger Arbeitskräfte abdecken kann, entstehen in den Herkunftsländern und den Familien der Migrant:innen Versorgungslücken.
Geschaffen wurde zum einen das vorherrschende Selbstständigenmodell, in dem Agenturen Betreuer:innen vermitteln, die Personenbetreuung als Gewerbe betreiben, womit beide Parteien durch die Wirtschaftskammer vertreten werden. Zum anderen wurde ein Angestelltenmodell geschaffen, das in den Zuständigkeitsbereich der Arbeiterkammer fällt und unselbstständige Beschäftigung im Haushalt oder bei einem Wohlfahrtsträger vorsieht (siehe Abb. 1). Die Live-in-Betreuung wurde in den österreichischen Sozialstaat als Säule im Pflegesystem integriert, indem sie indirekt durch die freie Verfügbarkeit des Pflegegeldes subventioniert wird und direkt staatlich bezuschusst werden kann. Die 2015 erfolgte gesetzliche Unterscheidung von Vermittlung und Betreuung hat zudem Möglichkeiten eröffnet, die Dienstleistungsqualität der Agenturen zu beeinflussen (z. B. Selbstverpflichtung auf Standes- und Ausübungsregeln, das staatliche Gütesiegel ÖQZ 24 – Österreichisches Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen in der 24-Stunden-Betreuung).