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Quelle: EurostatVon Krugman bis Summers: Aktuelle Theorien der Säkularen Stagnation
Paul Krugman hat sich in den Brookings Papers on Economic Activity schon 1998 mit der anhaltenden Stagnation in Japan beschäftigt und diese als Keynessche Liquiditätsfalle beschrieben. Deshalb war er zu einem frühen Zeitpunkt der internationalen Finanzkrise imstande, deren zentrale Charakteristika zu beschreiben: Haushalte, Unternehmen und Finanzanleger halten das reichlich vorhandene Geld zurück, statt es nachfragewirksam auszugeben und einer expansiv ausgerichteten Geldpolitik gelingt es in dieser Situation zwar die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft weiter zu verbessern, aber sie ist nicht in der Lage einen Nachfrageimpuls zu erzwingen, der die Konjunktur aus der Stagnation hebt. Krugman empfahl eine anhaltend expansive Geldpolitik, vor allem aber einen expansiven Impuls der Fiskalpolitik um eine langfristige Stagnation zu vermeiden.
Richard Koo hat am Beispiel Japans vorgeführt wie verheerend der gleichzeitige Versuch der Unternehmen, der Haushalte und des Staates wirkt, ihre krisenbedingte Verschuldung zu verringern: Er mündet in einer balance sheet recession, die in ein anhaltendes Unterbeschäftigungsgleichgewicht übergeht, aus der es kaum einen realistischen Ausweg gibt. Koos Schlussfolgerungen: Wenn Unternehmen und Haushalte danach trachten, ihre Verschuldung zu reduzieren, dann muss der Staat rechtzeitig seine Ausgaben und Schulden erhöhen, um das Abgleiten in eine anhaltende Stagnation zu vermeiden.
Larry Summers gilt heute als der prominenteste Vertreter des age of secular stagnation. Die Industrieländer leiden seiner Interpretation nach unter einem Ungleichgewicht zwischen steigender Sparneigung und fehlenden produktiven Investitionsmöglichkeiten. In seiner neoklassischen Interpretation wäre der Realzinssatz, der Sparen und Investieren zum Ausgleich bringt, so stark negativ, dass er durch geldpolitische Maßnahmen nicht erreichbar ist. Seine, dann doch wieder keynesianischen Schlussfolgerungen: Das Problem kann nicht durch Zinssenkungen gelöst werden, sondern nur durch expansive Fiskalpolitik.
Keynesianische und marxistische Theorien zur Stagnation
Summers greift in seinen Darstellungen auch auf das keynesianische Konzept der säkularen Stagnation zurück, das Alvin Hansen in den 1930er Jahren entwickelt hat. Hansen sah die Kombination aus ungenützten Ersparnissen auf der einen und geringen Investitionsmöglichkeiten, die durch schwaches Bevölkerungswachstum und fehlenden technischen Fortschritt beeinträchtigt werden, auf der anderen Seite als Ursache der Stagnation, aus der nur kreditfinanzierte öffentliche nachfrage herausführen kann.
John Maynard Keynes selbst hat in der General Theory und in den der langen Frist gewidmeten Aufsätzen aus den 1940er Jahren dieses anhaltende Unterbeschäftigungsgleichgewicht beschrieben, das aus permanent über den Investitionsplänen liegenden Sparabsichten resultiert. Er maß den steigenden Einkommen und der zunehmenden Ungleichheit ihrer Verteilung entscheidende Rollen für die Zunahme der Sparneigung zu. Seine Schlussfolgerungen für die Wirtschaftspolitik konzentrierten sich deshalb auf expansive Fiskalpolitik, aber auch Umverteilung von Einkommen und Arbeitszeit.
In der Stagnationstheorie gibt es auch eine wertvolle marxistische Tradition, die etwa im wichtigen 1973 erschienen Essay von Paul Baran und Paul Sweezy Monopolkapital dargestellt wurde. In diesem Beitrag wird die politische und wirtschaftliche Rolle der multinationalen Konzerne in den Mittelpunkt der Stagnationserklärung gestellt.
Der bedeutende österreichische Ökonom Josef Steindl vereinte als Kaleckianer keynesianische und marxistische Zugänge. In Maturity and Stagnation in the US arbeitete er 1952 den zunehmenden Konzentrationsprozess, der den Auslastungsgrad und die Investitionstätigkeit reduziert und nach einer Rezession eine längerfristige Wachstumsschwäche auslöst, als wichtigste Determinante der Stagnation heraus. Die von ihm für die Nachkriegsjahrzehnte erwartete säkulare Stagnation trat aber nicht ein, weil der wachsende Anteil des öffentlichen Sektors, technologische Innovationen, internationale Kooperation und ein günstiges politisches und ökonomisches Klima expansiv wirkten. Dies änderte sich ab den 1970er Jahren mit dem Abbau internationaler Kooperation (etwa durch das Ende des Bretton-Woods-Systems) und dem Übergang zu angebotsseitiger Wirtschaftspolitik. Steindl sprach 1979 von Stagnationspolitik: „This policy of stagnation is likely to continue, since governments are preoccupied with inflation and the public debt“.
John Maynard Keynes schrieb aber auch über die langfristigen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Enkelkinder bei fortgeschrittenem technologischen Niveau, hohen Einkommen und Ersparnissen – trotz stagnativer Grundtendenz. Das hohe Produktivitätsniveau könnte dann nicht für die Anhäufung weiteren finanziellen Reichtums, sondern für ein besseres Leben genutzt werden. Diese Keynesschen Visionen wären möglicherweise auch mit den Postwachstumsvorstellungen der Ökologiebewegung vereinbar.
Wirtschaftspolitische Ansatzpunkte zur Überwindung der Stagnation
Aus den verschiedenen Facetten historischer und aktueller Stagnationstheorien sowie den unterschiedlichen Erfahrungen in der derzeitigen Finanzkrise ergeben sich eine Reihe von wirtschaftspolitischen Empfehlungen:
- Impuls durch öffentliche Investitionen: Unmittelbar unterstützen die meisten ÖkonomInnen einen kräftigen Impuls seitens sinnvoller öffentlichen Investitionen, die begünstigt von niedrigem Zinsniveau sowohl einen dringend benötigten kurzfristigen Nachfrageschub für die Konjunktur, als auch eine Verbesserung des langfristigen angebotsseitigen Produktionspotentials mit sich bringen würden. Dabei wurden jüngst konkrete Vorschläge für eine Ausweitung des Spielraumes für öffentliche Investitionen im Rahmen der europäischen Fiskalregeln dargelegt. Sie wurden jüngst vom österreichischen Bundeskanzler Christian Kern aufgenommen und um Ideen zu einem europäischen Fonds öffentlicher Investitionen erweitert.
- Realinvestitionen gegenüber Finanzinvestitionen fördern: Der öffentliche Investitionsimpuls zielt auch darauf ab, eine Belebung der privaten Investitionstätigkeit auszulösen und so eine starke Multiplikatorwirkung in Gang zu setzen. Dies wird allerdings wohl nicht ausreichen, um die volkswirtschaftlich sinnvollen Realinvestitionen gegenüber den oftmals schädlichen Finanzinvestitionen zu stimulieren. Dazu bedürfte es einer politischen Beschränkung der auf Finanzmärkten erzielbaren Gewinne, durch eine generelle Eindämmung der Finanzaktivitäten mittels strenger Regulierung ebenso wie einer Schlechterstellung von Gewinnausschüttungen gegenüber realen Investitionen. Das Steuersystem kann hierbei wichtige Weichenstellungen vornehmen.
- Bildung, Technologie, Innovation, Forschung: Gerade die österreichischen KeynesianerInnen wie Josef Steindl und Teddy Prager haben immer wieder auf die Notwendigkeit einer angebotsseitigen Ergänzung expansiver Nachfragepolitik hingewiesen. Diese Überlegungen waren auch in den letzten beiden Jahrzehnten wirkungsmächtig, in denen es etwa gelungen ist, die F&E-Quote von 2% auf 3% des BIP anzuheben, wobei Österreich den mit Abstand die höchsten staatlich finanzierten F&E-Ausgaben aller EU-Länder aufweist.
- Soziale Innovation: Über der Betonung technischer Innovationen darf allerdings das Potential sozialer Innovationen nicht vergessen werden. Die Pflege von gesellschaftlichen Institutionen, die soziale Innovationen ermöglichen, ist von höchster Bedeutung. Ein Beispiel bilden die Kollektivverträge, in deren Rahmen es in den letzten Jahren gelungen ist, ganz neue Wege der innovativen Verkürzung der Arbeitszeit zu beschreiten (Freizeitoption).
- Gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen: In der internationalen Debatte wird oft übersehen, in welch bedeutendem Ausmaß die die wirtschaftliche Stagnation prägende Schwäche der Konsumnachfrage mit der zunehmenden Ungleichheit der Verteilung von Einkommen und Vermögen zu tun hat. Die kurzfristige Konsumneigung des unteren Einkommensdrittels der Haushalte liegt bei 80%, jene des oberen Drittels bei nur 40%. Die Umverteilung von Einkommen durch Steuern und Transfers, noch viel mehr aber eine egalitäre Verteilung der Primäreinkommen würde deshalb entscheidend helfen, die säkulare Nachfrageschwäche zu überwinden. Die wichtigsten Ansatzpunkte hierfür bilden eine aktive Mindestlohnpolitik der forcierten Anhebung der Einkommen im unteren Bereich und eine Eindämmung der Vermögenseinkommen, die primär an der absoluten Spitze der Verteilung anfallen, überwiegend gespart und risikoreich auf den spekulativen Finanzmärkten veranlagt werden.
- Verbreiterung der Ziele der Wirtschaftspolitik: Doch bei aller Notwendigkeit, die Nachfrageschwäche zu überwinden, dürfen die Keynesschen Mahnungen aus den frühen 1930er Jahren zur menschlichen Nutzung des hohen technologiebedingten Wohlstandes nicht ungehört verhallen. Das Niveau des wirtschaftlichen Wohlstandes ist im Durchschnitt heute in den Industrieländern so hoch, dass gerade in stagnativen Phasen viel mehr über die Form seiner gesellschaftlichen Nutzung debattiert werden muss, noch dazu wo die ökologischen Grenzen des Material- und Ressourcenverbrauchs sowie des Schadstoffausstoßes dies ohnehin nahelegen. Die Nutzung des Produktivitätsfortschritts in vermehrter Freizeit, der Ausbau sozialer Dienstleistungen im Rahmen des Sozialstaates, die Besteuerung von Vermögensbeständen und –übertragungen sowie umweltschädlicher Produktion und Verbrauchs zugunsten der steuerlichen Entlastung der Arbeitseinkommen wären Elemente einer Strategie, die selbst bei geringerem Wachstum der Wirtschaft ein gutes Leben für alle Menschen ermöglichen würde.
Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Kurzfassung des Editorials in der Ausgabe 4/2016 der Zeitschrift Wirtschaft und Gesellschaft.