24-Stunden-Betreuung – die Ausbeutung muss beendet werden

21. Juni 2021

Die Lebenserwartung in Österreich steigt, die österreichische Bevölkerung wird immer älter – und das ist auch gut so. Doch mit der demografischen Entwicklung sind viele Herausforderungen verbunden. Immer mehr Menschen benötigen Pflege und Betreuung. Gerade bei einer intensiveren Pflege und Betreuung zu Hause kommen pflegende Angehörige oft an ihre Grenzen. Um diese Misere zu lösen, wurden in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts vornehmlich Frauen aus den Nachbarstaaten nach Österreich geholt. Beschäftigt wurden sie in der Regel illegal. 2006 startete der Gesetzgeber einen Versuch, diese Illegalität zu beenden. Doch an der tatsächlichen Arbeits- und Lebenssituation der BetreuerInnen hat sich nur wenig geändert: Sie arbeiten als (Schein-)Selbstständige in Österreich, haben kaum Rechte und werden nach wie vor ausgebeutet. Daran muss sich endlich etwas ändern.

Warum braucht(e) es die 24-Stunden-Betreuung?

Aktuell liegt die Lebenserwartung für Frauen bei 83,7 Jahren und jene für Männer bei 78,9 Jahren. Das steigert natürlich auch den Bedarf an Pflege- und Betreuungsleistungen. Untersuchungen zeigen, dass die große Mehrheit so lange wie möglich in der eigenen, gewohnten Umgebung gepflegt und betreut werden möchte. Die Pflege und Betreuung wird von Familienmitgliedern (in den allermeisten Fällen sind es Frauen) sowie von mobilen Pflegediensten übernommen. Wenn sich der Pflege- und Betreuungsbedarf erheblich erhöht und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung erforderlich wird, kommt auch die Familie an ihre Grenzen, und neue Lösungen müssen gefunden werden. Hier kommt dann oft die 24-Stunden-Betreuung ins Spiel. Überwiegend Frauen aus den EU-Oststaaten betreuen dann rund um die Uhr pflegebedürftige Menschen. Diese arbeiteten in Ermangelung einer eindeutigen gesetzlichen Regelung lange Zeit illegal. „Aufgeflogen“ ist der Skandal im Jahr 2006, als öffentlich berichtet wurde, dass die Schwiegermutter des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel illegal von einer slowakischen Pflegerin betreut wird. Der Gesetzgeber war damit gezwungen, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, um die Personenbetreuung aus der Illegalität herauszuholen.

Rechtliche Grundlagen für die 24-Stunden-Betreuung

Zunächst ist festzuhalten, dass die Begriffe Pflege und Betreuung streng zu trennen sind. In der öffentlichen Diskussion werden die Begrifflichkeiten immer wieder vermischt, wobei seltsame Konstruktionen wie die „24-Stunden-Pflege“ entstehen.

Entstanden ist das Hausbetreuungsgesetz (HBeG), das mit 1.7.2007 in Kraft getreten ist. Das Gesetz regelt die Betreuung von Personen in deren Privathaushalten folgendermaßen: Tätigkeiten für die zu betreuende Person, die in der Hilfestellung insbesondere bei der Haushaltsführung und der Lebensführung bestehen sowie sonstige aufgrund der Betreuungsbedürftigkeit notwendige Anwesenheiten. Darunter sind insbesondere Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Waschen etc. zu verstehen (§ 1 Abs 3 HBeG).

Nach Anleitung des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege haben PersonenbetreuerInnen darüber hinaus pflegerische Tätigkeiten durchzuführen. Bemerkenswert ist aber, dass PersonenbetreuerInnen keine Ausbildung für ihre Tätigkeit nachweisen müssen.

Die Tätigkeit kann sowohl im Rahmen einer selbstständigen als auch im Rahmen einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit durchgeführt werden:

  • Arbeitsverhältnisse im Rahmen des HBeG sind möglich zwischen einer Betreuungskraft, die das 18. Lebensjahr vollendet hat, und der zu betreuenden Personen bzw. einem/einer Angehörigen oder einer gemeinnützigen Trägerorganisation sozialer und gesundheitlicher Dienste präventiver, betreuender oder rehabilitativer Art (z. B. die Volkshilfe). Die zu betreuende Person muss einen Anspruch auf Pflegegeld ab der Pflegestufe 3 bzw. eine Demenzerkrankung (die eine höhere Pflegegeldeinstufung mit sich bringt) nachweisen. Eine Arbeitsperiode dauert 14 Tage. Nach dem 14-tägigen Arbeitsblock muss eine ununterbrochene Freizeit von 14 Tagen gewährt werden, die vereinbarte Arbeitszeit muss mindestens 48 Stunden pro Woche betragen, und die Betreuungskraft muss in den Haushalt der zu betreuenden Person aufgenommen werden. Wird das Dienstverhältnis zur betreuenden Person bzw. zu einem/einer Angehörigen geschlossen, kommt das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz (HGHAG) zur Anwendung. Damit verbunden sind arbeitsrechtliche Ansprüche sowie eine sozialrechtliche Absicherung.
  • Mit der Novelle 2007 wurde aber auch das freie Gewerbe „Personenbetreuung“ geschaffen (§ 159 GewO). Diese Bestimmung regelt haushaltsnahe Dienstleistungen wie Kochen, Reinigungstätigkeiten, Besorgungen, Botengänge etc. sowie Unterstützung bei der täglichen Lebensführung und das Gesellschaft-Leisten oder das Führen von Konversationen. Selbstständige genießen naturgemäß keine arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen.

Um die 24-Stunden-Betreuung leistbar(er) zu machen, wurde 2007 schließlich im Bundespflegegeldgesetz eine Förderung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen eingeführt (§ 21b BPGG).

Heftige Kritik an der rechtlichen Konstruktion

Die Gesetzesreform ist aber bereits damals auf massive Kritik gestoßen. Bezweifelt wurde insbesondere, dass die 24-Stunden-Betreuung als selbstständige Erwerbstätigkeit überhaupt ausgeführt werden kann.

Führende ExpertInnen des österreichischen Arbeits- und Sozialrechts (Siehe etwa Mazal, Hausbetreuung – kritische Aspekte, ecolex 2007, 580; Ivansits/Weißensteiner, Hausbetreuung aus sozialrechtlicher Sicht, DRdA 2008, 394; Panhölzl, Verlängerung des Pflege-Übergangsgesetzes und 24-Stunden-Betreuung auf selbständiger Basis, DRdA 2007, 422 oder Tomandl, Was ist selbständige Personenbetreuung?, ZAS 2007/32) kommen zu folgendem Ergebnis: Eine selbstständige Erwerbstätigkeit als PersonenbetreuerIn ist nach geltender Rechtslage für die allermeisten Fälle de facto ausgeschlossen. Ich schließe mich dieser Schlussfolgerung explizit an. An der rechtlichen Beurteilung hat sich auch 14 Jahre nach Inkrafttreten des HBeG nichts geändert.

Bekräftigt wird diese Rechtsansicht durch eine OGH-Entscheidung vom 24.10.2011. In diesem Fall kommt der OGH zum Schluss, dass es sich hierbei zweifelsfrei um eine Arbeitnehmerin handelt.

Wie sieht die Realität der BetreuerInnen aus?

Aktuell haben etwa 60.000 24-Stunden-BetreuerInnen eine Gewerbeberechtigung als PersonenbetreuerIn. Etwa die Hälfte der BetreuerInnen stammt aus Rumänien. Ein Drittel kommt aus der Slowakei. Viele kommen auch aus Kroatien, Ungarn, Bulgarien, Polen, Tschechien oder Slowenien. Nur 2 Prozent der selbstständigen PersonenbetreuerInnen sind aus Österreich. Zahlen von unselbstständig Beschäftigten in der Personenbetreuung sind hingegen nicht bekannt.

Als Selbstständige werden sie von (den mittlerweile fast 1.000) österreichischen Vermittlungsagenturen auch in den Herkunftsländern aktiv angeworben und an pflegebedürftige Personen vermittelt. Als Hauptproblem der in der Folge geschlossenen Verträge werden die Inkassovollmachten der Agenturen lokalisiert. Mit der Unterschrift erteilen die BetreuerInnen den Agenturen eine Vollmacht zur Eintreibung des Honorars, das ihnen als Selbstständigen zustehen muss. Im Streitfall verweigern die Agenturen allerdings regelmäßig die (volle) Auszahlung des Honorars und üben so Druck auf die Betroffenen aus.

Mit Erhalt der Gewerbeberechtigung sind die BetreuerInnen Mitglieder der Wirtschaftskammer (WK) und gehören dem Fachverband Personenberatung und Personenbetreuung an. Allerdings setzt sich der Fachverband ausschließlich aus VertreterInnen der besagten Vermittlungsagenturen zusammen, was zur Folge hat, dass die Interessen der BetreuerInnen in der gesetzlichen Interessenvertretung keine Berücksichtigung finden.

Unter Dauereinsatz üben sie eine physisch und psychisch anstrengende Tätigkeit aus und werden dafür mit durchschnittlich drei Euro pro Stunde entlohnt. Nicht selten sind sie körperlichem und sogar sexuellem Missbrauch ausgesetzt.

Da die BetreuerInnen keine Unterstützung erhalten, haben sich viele von ihnen selbst organisiert. Kürzlich wurde der Verein IG24 – Verband zur Förderung der Interessen der 24-Stunden-Betreuer_innen ins Leben gerufen. Die Problemfelder der 24-Stunden-BetreuerInnen sind auf der Homepage der neuen Interessenvertretung sehr gut zusammengefasst.

24-Stunden-Betreuung in Zeiten der Pandemie

Zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 wurden die BetreuerInnen eigens nach Österreich eingeflogen, weil befürchtet wurde, dass die Betreuung der älteren Bevölkerung nicht gewährleistet werden kann. Die rumänischen BetreuerInnen wurden in einem Hotel in Schwechat untergebracht, wo ihnen durch MitarbeiterInnen der Vermittlungsagentur die Reisepässe abgenommen wurden. Durch Intervention der Arbeiterkammer haben sie ihre Dokumente wieder zurückbekommen.

Aufgrund der COVID-19-Einreiseverordnung dürfen die BetreuerInnen aktuell nur gegen Vorlage eines negativen Corona-Tests nach Österreich einreisen. In den letzten Wochen ist es dennoch vermehrt vorgekommen, dass sie in Österreich mit Corona angesteckt wurden. Bei einem milden Verlauf müssen sie ihre zweiwöchige Quarantäne in der Wohnung der zu betreuenden Person verbringen – und natürlich weiterarbeiten. Sind die Symptome stärker, müssen sie ins Krankenhaus. In dieser Zeit können sie nicht arbeiten und werden nicht bezahlt. Anspruch auf Krankengeld haben Selbstständige erst ab dem 43. Tag der Krankheit. Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass sie gesund nach Österreich kommen, mit dem Virus angesteckt werden und ohne Bezahlung wieder nach Hause fahren. Eine Testverpflichtung der zu betreuenden Personen besteht nicht. Ein effektiver Schutz vor einer Ansteckung ebenso wenig. Erst im Mai 2021 hat die Stadt Wien mit der Impfung der BetreuerInnen begonnen.

Fazit

In den vergangenen Monaten wurde viel über die 24-Stunden-BetreuerInnen berichtet. An ihrer Situation und ihren Arbeitsbedingungen hat sich bis dato nichts geändert. Der Versuch des Gesetzgebers, die BetreuerInnen aus der Illegalität zu holen und ihre so wichtige Tätigkeit rechtlich abzusichern, ist leider gescheitert. Es existiert zwar eine Rechtsgrundlage, die BetreuerInnen wurden im Ergebnis allerdings in eine Scheinselbstständigkeit gezwungen – mit all ihren negativen Auswirkungen. Was es vor allem braucht, ist eine ordentliche arbeits- und sozialrechtliche Absicherung und eine effiziente Interessenvertretung. Das geht nur mit der Abschaffung der Scheinselbstständigkeit und echten Arbeitsverträgen.

Es erscheint der Eindruck, dass der Gesetzgeber versucht, die akute Pflegeproblematik mithilfe der BetreuerInnen zu lösen oder zumindest zu verringern. Oft übersehen wird dabei die Tatsache, dass sich nur ökonomisch Bessergestellte eine 24-Stunden-Betreuung überhaupt leisten können. Hier braucht es eine gesamtheitliche, leistbare Lösung, die eine klare Abgrenzung zwischen Pflege und Betreuung beinhaltet.

Vorschläge, wie die 24-Stunden-Betreuung für alle Parteien zufriedenstellend gelingen kann, liegen ausreichend am Tisch. Die Bundesländer Burgenland und Oberösterreich stellen pflegende Angehörige beim Land ein – warum nicht auch 24-Stunden-BetreuerInnen? Etablierte Organisationen wie die Volkshilfe könnten die Vermittlungstätigkeit der Agenturen übernehmen und die BetreuerInnen anstellen. Darüber hinaus existieren Überlegungen, eigene Genossenschaften zu gründen, um die Betreuung sicherzustellen. Nun ist die Politik gefordert.

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