Innovationsmotoren für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen? Zur Aktualität öffentlicher Beteiligungen

05. Mai 2021

Öffentliche Unternehmensbeteiligungen waren lange in Misskredit. Angesichts der großen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie Corona-Krise, Dekarbonisierung und Digitalisierung, sowie aufgrund der zunehmenden Konkurrenz um die globale Technologieführerschaft steht eine Neubewertung an. Vor allem die innovationsfördernde Wirkung von öffentlichen Beteiligungen ist von aktueller Relevanz.

Hohe Innovationsorientierung öffentlicher Beteiligungen – neue Erkenntnisse aus der Literatur

Im Unterschied zur unmittelbaren Nachkriegszeit ist die Bedeutung staatlicher Unternehmensbeteiligungen in den letzten drei Jahrzehnten zumindest in den OECD-Ländern deutlich gesunken. Während der Umfang des öffentlichen Unternehmenssektors in Österreich im Jahr 1998 noch deutlich über dem OECD-Durchschnitt lag, so ist dies aufgrund der Privatisierungspolitik seit den 1990er-Jahren heute nicht mehr der Fall. Nichtsdestotrotz sind staatliche Beteiligungen an produzierenden Unternehmen in globaler Perspektive nicht verschwunden: 14 Prozent der Anteile an den zehntausend größten börsennotierten Unternehmen befinden sich global weiterhin in öffentlicher Hand. Während dieser Anteil in den Schwellenländern bei 28 Prozent liegt – mit besonders hohen Anteilen in China (38 Prozent) und in anderen entwickelten asiatischen Ländern (23 Prozent) –, ist er in Europa mit 9 Prozent und den USA mit 3 Prozent relativ am niedrigsten (siehe „Owners of the World’s Listed Companies“).

Bis zu einem gewissen Grad spiegelt sich in diesen Zahlen auch eine mittlerweile wieder etwas differenziertere ökonomische Sichtweise zum Thema. War der starke Trend zur Privatisierung seit den späten 1980er-Jahren von der Überzeugung angetrieben, dass staatlicher Einfluss auf Unternehmen zu hohen Effizienzverlusten aufgrund schlechter Corporate Governance führt, so sieht die aktuellere Literatur eine Reihe von Gründen, welche staatliche Unternehmensbeteiligung als vorteilhaft erscheinen lassen. Dazu zählen etwa (i) die Erhaltung der Headquarter-Funktion im Inland, (ii) Vorteile eines staatlichen Kernaktionärs bei der Kontrolle der Unternehmensleitung im Vergleich zu Kleinaktionären, (iii) Vorteile bei der Abwehr feindlicher Übernahmen, (iv) Vorteile beim Zugang zu externem Kapital und dessen Finanzierungskonditionen sowie last, but not least (v) die wichtige Rolle des Staates bei der Unterstützung radikaler Innovation (siehe die Diskussion zum „entrepreneurial state“ im Gefolge der breit diskutierten Vorschläge von Mariana Mazzucato).

Zum Innovationsverhalten von Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung gibt es eine Reihe von rezenten Untersuchungen, die einen positiven Zusammenhang zwischen öffentlicher Beteiligung und Innovationsverhalten zeigen (siehe z. B. die Beiträge von Filippo Belloc, von Sergio Giovanetti Lazzarini, Luiz F. Mesquita, Felipe Monteiro und Aldo Musacchio und von Stefano Clo, Massimo Florio und Francesco Rentocchini). Gemäß diesen Untersuchungen zeigt sich, dass öffentliche Unternehmen höhere Innovationsraten haben als private und dass vor allem im Kontext von Privatisierungen – etwa von Telekom- oder Energieunternehmen – die F&E-Investitionen markant gesunken sind. Eine andere rezente Untersuchung belegt zum Beispiel, dass europäische börsennotierte Unternehmen mit staatlichen Minderheitsbeteiligungen deutlich mehr in Forschung und Entwicklung investieren als Unternehmen mit nur privaten Aktionären. Zudem sind die Investitionen von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung stärker an gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Kriterien ausgerichtet als jene rein privater Unternehmen. Mangels unmittelbaren Renditedrucks erweisen sich öffentliche Eigentümer in der Regel als „geduldige“ Investoren (patient capital), was speziell im Fall der Forschung & Entwicklung an grundlegend neuen Technologien, etwa im Kontext der sozial-ökologischen Transformation und digitaler Technologien, von entscheidendem Vorteil sein kann.

Die Renaissance staatlicher Entwicklungsfonds

Staaten können öffentliche Beteiligungen auf unterschiedlichem Weg eingehen, entweder direkt über hoheitliche Einrichtungen (z. B. Ministerien) oder indirekt über ausgelagerte und rechtlich selbstständige Einrichtungen, wie zum Beispiel Banken, Beteiligungsgesellschaften und Fonds. Ein während der letzten Jahrzehnte zunehmend bedeutender Akteur im Bereich öffentlicher Unternehmensbeteiligungen sind Staatsfonds. Während Sovereign Wealth Fonds überwiegend in ausländische Unternehmen investieren und dabei grundsätzlich eine kommerzielle Rendite anstreben, verfolgen Entwicklungsfonds (Sovereign Development Funds bzw. Strategic Development Sovereign Wealth Funds) explizit industriepolitische Ziele im Inland. Letztere finden sich vor allem in Schellenländer (siehe Grafik). In der EU bilden sie bislang die Ausnahme. Ein Beispiel für einen Staatsfonds mit relativ starker strategischer Ausrichtung in der EU ist der finnische Staatsfonds Solidium. Obgleich vom Umfang her eher klein – mit einem verwalteten Vermögen von rund 9,2 Mrd. Euro (Stand 16.4.2021) –, besteht das Ziel des Fonds darin, über Minderheitsbeteiligungen das strategische öffentliche Eigentum an Unternehmen von nationalem Interesse zu fördern. Der Begriff des nationalen Interesses inkludiert auch den Aspekt der Versorgungssicherheit. Das Beteiligungsportfolio umfasst neben Unternehmen aus dem Grundstoff- und Infrastruktursektor auch solche aus der verarbeitenden Industrie.

Abbildung 1: Entwicklungsfonds (Sovereign Development Funds)

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Während der COVID-19-Krise hat die wirtschafts- und entwicklungspolitische Rolle von Staatsfonds generell an Bedeutung gewonnen. Laut dem International Forum of Sovereign Wealth Funds beteiligten sich Staatsfonds an der Unterstützung für in finanzielle Schieflage geratene einheimische Unternehmen, kofinanzierter Forschung an COVID-19-Impfstoffen oder mussten den öffentlichen Haushalten ihrer staatlichen Eigentümer Liquidität zur Verfügung stellen. Die Wiederaufbaunotwendigkeiten im Gefolge der COVID-19-Krise werden absehbar zu einem Ausbau der nationalen Entwicklungsmandate von Staatsfonds führen. Darüber hinaus lässt sich auch feststellen, dass Staatsfonds allmählich stärker im Bereich der Klimafinanzierung tätig werden, auch wenn sich die diesbezüglichen Investitionsstrategien noch in einem frühen Stadium befinden und wenig systematisch sind.

Corona, Dekarbonisierung und geopolitische Rivalität als neue Treiber

Dieser Rollenwandel staatlicher Unternehmensbeteiligung hin zur stärkeren Berücksichtigung industrie- und innovationspolitischer Ziele hat im Zuge der politischen Debatten um die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie etwa die zunehmende geopolitische Konkurrenz, die notwendige sozial-ökologische Transformation, und im Zuge der COVID-19-Krise auch in der EU an Fahrt gewonnen. Die neue EU-Kommission plante offenbar zu Beginn ihrer Amtsperiode im Jahr 2019 die Gründung eines European Future Funds. Dieser mit 100 Mrd. Euro ausgestattete Fonds sollte mit strategischen Beteiligungen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige europäische Champions vor allem in High-Tech-Sektoren schaffen sowie die Übernahme strategisch bedeutsamer europäischer Unternehmen durch ausländische Unternehmen verhindern. Die Pläne zur Gründung des Fonds wurden allerdings nicht weiterverfolgt. Ähnliche Pläne zur Einrichtung eines staatlichen Transformationsfonds werden auch in Deutschland diskutiert, mit dessen Hilfe die zur Erreichung der Klimaziele notwendigen Investitionen deutscher Unternehmen unterstützt werden sollen. Andere europäische Länder wie Schweden mit dem Industrifonden und Finnland mit dem Innovationsfonds SITRA entwickeln die Mandate bestehender Beteiligungsfonds weiter – mit dem Ziel, in den ökologischen Umbau ihrer Volkswirtschaften zu investieren.

In der COVID-19-Krise hat die deutsche Bundesregierung auch auf direkte Unternehmensbeteiligungen im Wege der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zurückgegriffen. Hier zu nennen ist insbesondere die Minderheitsbeteiligung von 23 Prozent am mRNA-Impfstoffproduzenten Curevac, offenbar um strategische Interessen an einer ausreichenden Versorgung mit Impfstoffen sicherzustellen bzw. der Möglichkeit einer ausländischen Übernahme vorzubeugen. Mit der staatseigenen Förderbank KfW verfügt Deutschland über eine der global größten Förderbanken, die ihr Beteiligungsgeschäft in den letzten Jahren deutlich ausgebaut hat.

Österreich: vom passiven zum aktiven Beteiligungsmanagement?

Zwar von der Rechtsform her kein Fonds, erfüllt auch die ÖBAG (Österreichische Beteiligungs AG) die Funktion einer Beteiligungsverwaltung an inländischen Unternehmen mit dem gesetzlichen Auftrag, den Wirtschafts- und Forschungsstandort Österreich zu unterstützen und Arbeitsplätze in Österreich zu sichern. Im Unterschied etwa zu Solidium besteht das Beteiligungsportfolio der ÖBAG ausschließlich aus Grundstoff- und Infrastrukturunternehmen. Die ÖBAG ist gesetzlich auch ermächtigt, Beteiligungen an für den Standort Österreich relevanten Unternehmen einzugehen, muss dies aber aus den laufenden Erlösen finanzieren. Darüber hinausgehende Beteiligungen an anderen Unternehmen, die für den Wirtschaftsstandort Österreich von besonderer Bedeutung sind, brauchen einen Beschluss der Bundesregierung und sind grundsätzlich nur für einen vorübergehenden Zeitraum gedacht, insbesondere als Auffanglösung während einer Wirtschaftskrise (§ 7, Abs. 4 und Abs. 5, ÖIAG Gesetz 2000). Von diesen gesetzlichen Möglichkeiten zum aktiven Ausbau des Beteiligungsportfolios hat die ÖBAG in den letzten Jahren allerdings keinen Gebrauch gemacht. Ihre Tätigkeit beschränkte sich auf die Verwaltung der bestehenden Beteiligungen. Das im aktuellen Regierungsprogramm enthaltene Bekenntnis zu einem aktiven ÖBAG-Beteiligungsmanagement ließe hier zumindest potenziell einen größeren Spielraum zu.

Fazit: Öffentliche Beteiligungen als Innovationsmotoren nutzen!

Öffentliche Beteiligungen wurden während der letzten drei Jahrzehnte primär als nur restriktiv zu verwendendes Instrument zur Sicherung von für den Wirtschaftsstandort strategischen Unternehmen aus dem Infrastrukturbereich gesehen. Dementsprechend passiv fiel das Beteiligungsmanagement in den meisten europäischen Staaten – und auch in Österreich – aus. Die neuere Forschung unterstreicht aber auch das Potenzial eines aktiven Beteiligungsmanagements bei der Unterstützung von Innovation für die Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Klar ist, dass die hohen Anforderungen an Unternehmen und ArbeitnehmerInnen im Zuge der ökologischen Wende, der digitalen Transformation und der geopolitischen Rivalitäten umfassende öffentliche Unterstützung notwendig machen. Ein strategisches öffentliches Beteiligungsmanagement unter Einsatz bestehender bzw. neu zu schaffender öffentlicher Beteiligungsmodelle sollte jedenfalls zum dafür verwendeten Instrumentenmix gehören.

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