Wie geht es jungen WienerInnen und was braucht es zum Aufholen von Corona-Defiziten?

07. Juli 2021

Die Corona-Krise hat die Karten für junge Menschen völlig neu gemischt. Es gilt, den negativen Entwicklungen der Pandemie jetzt gegenzusteuern. Wird nicht investiert, besteht die Gefahr, dass eine Generation junger Erwachsener mit deutlich weniger Chancen in der Ausbildung, am Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche heranwächst. Ohne Unterstützung werden sich jene durchsetzen, die mehr Ressourcen und bessere soziale Netzwerke haben.

Während in Österreich das Durchschnittsalter der Bevölkerung immer mehr ansteigt, wird Wien immer jünger. Die Stadt Wien ist ein wichtiger Lebensmittelpunkt vieler junger Menschen. Im mittlerweile jüngsten Bundesland Österreichs leben momentan mehr als 410.000 junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren. Jugendliche und junge Erwachsene sind eine wichtige Bevölkerungsgruppe, in diesem Alter formen sich Grundsteine und Werte unserer Gesellschaft der Zukunft. So vielfältig wie die Gesamtbevölkerung der Stadt ist auch die Gruppe der jungen Wienerinnen und Wiener. Neben dem Alter sind Geschlecht, sozioökonomischer Hintergrund, formale Schulbildung, Migrationshintergrund sowie die Art der Tätigkeit ausschlaggebend dafür, wie junge Menschen ihre eigene Lebenssituation einschätzen. Individuelle Lebensbedingungen treffen auf eine dynamische gesellschaftliche Entwicklung, die grundlegende Veränderungen von Bildungswegen und Karriereverläufen zur Folge hat. Die Stadt bietet eine sehr hohe Lebensqualität für all diese unterschiedlichen Lebensentwürfe. Allerdings steht Wien auch vor der Herausforderung, diese hohe Lebensqualität aufrechtzuerhalten und allen jungen Menschen gleiche Chancen zu ermöglichen.

Die vom SORA-Institut verfasste Studie „Junge Menschen in Wien“ zeigt Veränderungen in der Zufriedenheit von jungen WienerInnen im Zeitverauf. Als Datenbasis dienten die sozialwissenschaftlichen Grundlagenstudien der Stadt Wien aus den Jahren 2003–2018, ergänzt durch ExpertInnen-Interviews über spezifische Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Arbeit & Ausbildung – Unterstützung beim Aufholen von Corona-Defiziten

Die junge Generation befindet sich in einem Lebensabschnitt, in dem Chancen für Beruf, Einkommen und folglich für viele weitere Lebensbereiche vergeben werden. Laut Studie sind drei Viertel der jungen WienerInnen mit ihrer Arbeitssituation zufrieden. Seit 2013 ging diese Zufriedenheit allerdings um 8 Prozentpunkte zurück. Entscheidend für diese Entwicklung ist unter anderem die Verschlechterung der finanziellen Lage für viele WienerInnen. Nur 59 Prozent sind eher oder sehr zufrieden mit der Höhe ihres Einkommens. Auch der Anteil junger WienerInnen, die gut mit ihrem Haushaltseinkommen auskommen, ist seit 2008 um 11 Prozentpunkte auf 74 Prozent gesunken. Durch die Pandemie wurde deutlich, wie vielfältig sich finanzielle Probleme auswirken. Unter anderem wird etwa die Gründung eines eigenen Haushaltes erschwert und verzögert sich infolge der fehlenden Leistbarkeit. Besonders bei jungen Haushalten mit Kindern hat sich die finanzielle Situation bereits infolge der Wirtschaftskrise 2008 kontinuierlich verschlechtert. Umso wichtiger ist es, jetzt entsprechende Maßnahmen zu setzen, um ähnlichen Effekten durch die Corona-Pandemie gegenzusteuern.

Wohnen – Einstieg in den Wohnungsmarkt für junge Menschen erleichtern

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Hier werden Folgen der verstärkten Spekulation aufgrund der Niedrigzinspolitik und der Finanzialisierung des Wohnens sichtbar. Viele junge WienerInnen befinden sich in schwierigen Wohnsituationen, Wohnkostenbelastung, Befristungen und Überbelag steigen. 2018 machten Wohnkosten im Schnitt 30 Prozent des Haushaltseinkommens aus. Besonders in jungen Haushalten mit Kindern fehlt es an ausreichend Wohnraum. Mehr als 40 Prozent solcher Wohnungen sind überbelegt. Immer mehr junge Menschen müssen bei ihrer Haushaltsgründung auf Wohnformen abseits des geförderten Wohnbaus ausweichen. Wohnten ein Drittel der jungen WienerInnen mit ihren Eltern in Gemeindewohnungen, sind es nach dem Auszug in einen eigenen Haushalt nur noch 16 Prozent. Es braucht dringend qualitative Alternativen zum privaten Segment des Wohnungsmarktes, damit junge Menschen nicht nur vor der Wahl zwischen Elternhaushalt und überteuerter, befristeter Privatwohnung stehen.

Leben in Wien – mehr Grün und Freizeitangebote

In Summe werden die Wiener Freizeitangebote von 84 Prozent der jungen WienerInnen als gut bewertet. Freizeit in öffentlichen Grünräumen ist den jungen StadtbewohnerInnen dabei besonders wichtig. Die Nutzung von Erholungsräumen und Parks in der Stadt sowie Erholungsgebieten am Stadtrand sind die beiden häufigsten Freizeitaktivitäten.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Mehr als die Hälfte der jungen WienerInnen wünscht sich die Neugestaltung öffentlicher Räume. Grünflächen und angenehme Freiräume stehen dabei im Vordergrund. Besonders die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie zentral solche öffentlichen Freiräume für die Lebensqualität in einer Stadt sind. Der Verlust von Freizeiträumen, wie die Sperrung von Plätzen oder Parks, birgt das Risiko von Vereinsamung. Öffentliche Räume für alle sind wichtig – nicht nur für diejenigen, die es sich leisten können, im bewirteten Schanigarten zu sitzen. Besonders in den dicht bebauten Stadtregionen muss die Zugänglichkeit und Vorsorge von attraktiven Erholungsräumen mit Sitzgelegenheit, wettergeschützten Bereichen und viel Grün sichergestellt sein.

Mit 45 Prozent wünscht sich annähernd die Hälfte der jungen WienerInnen mehr Möglichkeiten, um Sport in ihrer Wohnumgebung zu machen. Große Parks mit geeigneten Sportanlagen fehlen innerstädtisch oder sind nahezu immer belegt. Zusätzlich zum Ausbau von Sportmöglichkeiten im öffentlichen Raum – etwa Volleyballplätzen im Park –, sollten Schulen ihre Sportplätze und Turnhallen öffnen und in der schulfreien Zeit zur Verfügung stellen. Für junge Menschen aus der Nachbarschaft könnten so wichtige Bewegungsräume als Grundsteine für eine lebenslange Begeisterung für Sport geschaffen werden.

Mobilität – Ausbau von umweltfreundlichen Mobilitätsmöglichkeiten lohnt sich

Für die Fortbewegung in der Stadt wird der Umweltverbund immer wichtiger. 72 Prozent der jungen WienerInnen nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel für tägliche Arbeits- und Ausbildungswege. Seit 2013 konnte sich der Anteil der RadfahrerInnen am jungen Modal Split sogar auf 6 Prozent verdoppeln – und das bereits vor der Corona-Krise, die einmal mehr aufgezeigt hat, wie zentral eine gute Qualität der Fuß- und Radwegenetze ist. 42 Prozent wünschen sich einen weiteren Ausbau der Radinfrastruktur. 46 Prozent der jungen StadtbewohnerInnen wünschen sich jeweils eine bessere Anbindung an den öffentlichen Verkehr sowie mehr Verkehrsberuhigung. Attraktive Angebote für umweltfreundliche Mobilität in jungen Jahren prägen das Mobilitätsverhalten von morgen. Von einem Ausbau des Öffi-Netzes sowie einer höheren Qualität der Fuß- und Radwegenetze profitieren unser Klima und unsere Gesundheit noch viele Jahre später.

Gesundheit – Wohlergehen junger WienerInnen darf nicht vom Einkommen abhängen

Die Beurteilung der Lebenssituation äußert sich auch in der Bewertung des Gesundheitszustands. Ein Zusammenhang mit dem Haushaltseinkommen ist auffällig. Während sich fast neun von zehn jungen Menschen mit ausreichendem Haushaltseinkommen als gesund bezeichnen, sind es nur zwei Drittel jener, die nur knapp mit ihrem Einkommen auskommen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Besonders seit der Corona-Krise in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten ist die psychische Gesundheit, zeigen bereits zahlreiche Forschungsergebnisse. Aber bereits vor der Pandemie mussten 20 Prozent der jungen WienerInnen mit Gefühlen wie Angst, Depression oder Traurigkeit klarkommen. Die Krise trifft nicht alle gleich. Besonders junge Menschen in eingeschränkter Wohn- und Lebenssituation haben unter der Pandemie zusätzlich gelitten – soziale Ungleichheit bedingt den Gesundheitszustand. Eine Verfestigung der entstandenen Belastung muss verhindert werden.

Investitionen für junge WienerInnen sind dringend notwendig

Die Studie zeigt besondere Qualitäten und Potenziale des Stadtraums auf, aber auch gesellschaftliche Herausforderungen und soziale Schieflagen in Wien, die durch die Pandemie weiter verstärkt wurden. Besonders junge Menschen in prekären Lebenslagen müssen mit gezielten Maßnahmen unterstützt werden. Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch. Die jüngsten Erkenntnisse der Studie leisten einen Beitrag für die Diskussion von kommunalpolitischen Handlungsmöglichkeiten und zeigen Strategien auf, wie eine gerechte, soziale Stadtentwicklung für junge WienerInnen realisiert werden kann.

Unterstützung beim Aufholen von Corona-Defiziten in Arbeit und Ausbildung:

Einstieg in den Wohnungsmarkt für junge Menschen erleichtern

  • rasche Umsetzung des Corona-Hilfsfonds für MieterInnen
  • hohe geförderte Neubauleistung für weitere Jahre halten
  • Verbesserung der Zugangspfade in den geförderten und kommunalen Wohnbau für junge Menschen

Mehr Grün- und Freizeitangebote:

Gesundheit darf nicht vom Einkommen abhängen:

  • Ausbau von psychosozialen Einrichtungen wie Jugendarbeit oder psychische Behandlungen
  • flächendeckende Versorgung mit niederschwelligen Gesundheitsangeboten
  • Angebote zur Förderung der Gesundheitskompetenz bereits in Ausbildungs- und Jugendeinrichtungen

Die Langfassung des Artikels ist in der Zeitschrift AK Stadt: „Jugend in Wien“, Ausgabe 02/2021 erschienen.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung