Wertpapier-KESt und private Vorsorge: Das große Missverständnis

17. Februar 2022

Vonseiten der Regierung wird geplant, Kursgewinne bei Aktien und anderen Wertpapieren nach einer Behaltefrist steuerfrei zu stellen. Dass es dabei um die Altersvorsorge der „kleinen“ Leute geht, ist ein großes Missverständnis. In diesem Fall würden wir über die Förderung kleiner Ansparpläne diskutieren, nicht über Steuermaßnahmen, die vor allem Millioneninvestments begünstigen.

Für die breite Masse spielen Aktien keine große Rolle

Wertpapiere unterliegen in Österreich seit 2012 einer umfassenden Renditebesteuerung durch die Kapitalertragsteuer, die sogenannte Wertpapier-KESt. Diese Reform soll nun zurückgedreht und die alte Spekulationsbesteuerung mit Behaltefrist wieder eingeführt werden. Die Banken- und Fondswirtschaft zeigt sich darüber erfreut, würde das doch auch eine neue Ära der Aktionärskultur bedeuten. Endlich könnten auch die „kleinen“ Leute vernünftig vorsorgen und sich am Kapitalmarkt ein kleines Vermögen aufbauen, so der Tenor. Überzeugend ist das nicht. Nur weil die Wertpapier-KESt auch bei Kleinanlegern anfällt, muss eine Abschaffung noch lange kein sinnvoller Beitrag zur Stärkung ihrer Altersvorsorge sein.

Ein erstes Indiz für das Missverständnis liefern die Vermögensdaten der Nationalbank. Sie zeigen, dass Wertpapiere für die breite Masse keine große Rolle spielen. Während im reichsten 1 % der Haushalte fast jeder zweite Haushalt Aktien oder Fondsanteile besitzt, sind es in der unteren Hälfte der Verteilung gerade einmal 5 %. Die Erwartung, dass sich durch die Abschaffung der Wertpapier-KESt das Anlegerverhalten ändern könnte, lässt sich durch nichts belegen. Dass es vor allem die „kleinen“ Leute sein werden, die in die Aktienmärkte hineingehen werden, ist noch viel unwahrscheinlicher. Der breiten Masse fehlen schlicht die Mittel für größere Veranlagungen. Sicherheit und Liquidität sind hier oft wichtiger als die Rendite.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Gerne kommt dann das Argument, dass heute Fondssparen auch schon mit 50 Euro monatlich möglich sei. Das stimmt, aber dann würden wir darüber diskutieren, ob bzw. wie wir solche kleinen Ansparpläne fördern können, nicht über die Abschaffung der Wertpapier-KESt, die auch Millioneninvestments begünstigt. Eine ehrliche Diskussion über die private Vorsorge würde auch die bestehenden steuerlichen Förderungen wie z. B. die Prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge und die Verwaltungskosten der Finanzwirtschaft berücksichtigen. Gerade letztere sind häufig ein viel größeres Problem als Steuern oder Inflation. Laut FMA liegen die durchschnittlichen Verwaltungskosten der österreichischen Fonds bei 1,2 % des veranlagten Kapitals. Dazu kommen Depotgebühren und Vertriebsprovisionen. Selbst bei guten Renditen sind wegen der Kosten schnell 25–30 % des Gewinns dahin.

Sozialstaat statt Steuergoodies

Was gerne vergessen wird: Vorsorge ist mehr als Finanzveranlagung. Ein guter Job, eine sichere staatliche Pension und eine leistbare Gemeinde- oder Genossenschaftswohnung sind für die Altersvorsorge der Bevölkerung viel wichtiger als Steuergoodies für Wertpapierdepots. Eine Abschaffung der Wertpapier-KESt wäre da sogar schädlich, weil sie eine Stange Geld kostet, die dann zur Finanzierung des Sozialstaats fehlt. Schon jetzt haben wir das Problem, dass der Steuerkuchen zu stark am Faktor Arbeit hängt. Wenn wir die demographiebedingten Kostensteigerungen bei den Sozialausgaben gerecht finanzieren wollen, brauchen wir einen größeren Steuerbeitrag von Kapitalerträgen und Vermögen, keinen geringeren.

Auch wenn es manche nicht glauben wollen: Die Skepsis gegenüber einer Abschaffung der Wertpapier-KESt hat nichts mit einer Skepsis gegenüber Aktien zu tun. Sondern damit, dass die Maßnahme für die Altersvorsorge der breiten Masse wenig bringt und vor allem dem reichsten 1 % der Haushalte zugutekommt. Notwendig wäre eine ehrliche Diskussion mit zielgerichteten Lösungen, die – als ein Element – natürlich auch den Kapitalmarkt einschließt.

Der Beitrag ist in einer ähnlichen Fassung in der Tageszeitung „Die Presse“ erschienen.

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