Warum die Eurozone auf dem Weg aus der Corona-Krise eine Jobgarantie braucht

01. Juli 2020

Die Diskussionen zur Wiederbelebung der Wirtschaft im Einklang mit den pandemiekonformen Lockerungen laufen auf allen Ebenen auf Hochtouren. Da viele Unternehmen von der Corona-Krise hart getroffen wurden und ein großes Maß an Unsicherheit besteht, bedarf es für den Neustart staatlicher Impulse. Angesichts der Tiefe der Rezession und der anstehenden Herausforderungen der Klimakrise erscheint eine Jobgarantie als jene Reform, die die notwendigen fiskalischen Impulse zur Ankurbelung der Wirtschaft liefern, unfreiwillige Arbeitslosigkeit schnellstmöglich abbauen und die ökologische Wende unterstützen kann.

Arbeitslosigkeit als makroökonomisches Problem

Spätestens seit den 1980er-Jahren hat sich das ökonomische Paradigma grundlegend gewandelt. Das betrifft auch und vor allem den Bereich der Beschäftigung. Die Verantwortung für Vollbeschäftigung wird seitdem nicht mehr länger beim Staat, sondern auf individueller Ebene verortet und als Ausdruck mangelnder individueller Wettbewerbsfähigkeit deklariert. Die Corona-Krise, die die Wirtschaft in vielen Teilen stillgelegt und Arbeitssuchenden jede Aussicht auf Anstellung genommen hat, sollte endgültig aufgedeckt haben, dass diese Ansicht argumentativ nicht haltbar und für die Lebensschicksale vieler Menschen gar unverantwortlich ist.

Unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist allen voran ein makroökonomisches Problem, das als Evidenz für eine unzureichende gesamtwirtschaftliche Nachfrage gesehen werden kann. Wie weit die neoliberale Ansicht von der ökonomischen Realität entfernt ist, zeigt wahrscheinlich kein anderes Beispiel besser als die Lohnkürzungen zwischen 2010 und 2012 in Griechenland. Dort wurden im Zuge der Krise die Löhne auf breiter Front in Höhe von 20 Prozent gekürzt, um – gemäß neoliberalem Verständnis – die individuelle Wettbewerbsfähigkeit der ArbeitnehmerInnen zu stärken und so die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Krux: Wenn die Einkommen um 20 Prozent gesenkt werden, werden die Personen zu Ausgabenkürzungen in Höhe von 20 Prozent gezwungen und die Unternehmen machen entsprechend weniger Umsatz. Bei weniger Umsatz benötigen die Unternehmen allerdings wenigerund nicht mehr Personal, sodass es in der Folge zu Entlassungen kam und die Arbeitslosenquote in Griechenland von 11 Prozent (Q1 2010) auf 28 Prozent (Q3 2013) in die Höhe schoss. Die Lehre: Um unfreiwillige Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, braucht es eine höhere Nachfrage. Hier ist die Wirtschaftspolitik des Staates gefordert.

Arbeitslosigkeit in der Eurozone: eine Bestandsaufnahme

Unfreiwillige Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung waren schon vor der Corona-Krise ein zentrales Problem in der Eurozone, das durch die Corona-Krise weiter verschärft wurde. Die offizielle Arbeitslosigkeit für die Eurozone lag vor der Corona-Krise bei 7,3 Prozent. Die Mai-Zahlen für Deutschland, Spanien und Österreich, in denen die Arbeitslosenquote im Vergleich zum Vorjahresniveau um 1,2 Prozentpunkte bzw. 4 und 4,7 Prozentpunkte angestiegen ist, verdeutlichen die Auswirkungen der Krise.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Ähnliche Größenordnungen sind für die übrigen Länder der Eurozone anzunehmen. Dazu kommen die durch die Pandemie bedingte Ausweitung der Kurzarbeit. Zur Einordnung: Ende Mai waren in Deutschland etwa 7,3 Millionen Arbeitsplätze von Kurzarbeit betroffen, in Spanien 3 Mio. und in Österreich 1,3 Mio. Darüber hinaus muss noch die in den Statistiken fehlende Berücksichtigung von Unterbeschäftigung einbezogen werden, sodass von einer deutlich höheren Zahl an Menschen, die weniger arbeiten, als Ihnen beliebt, auszugehen ist.

Unfreiwillige Arbeitslosigkeit als Belastung für Gesellschaft und Individuum

Aus makroökonomischer Sicht ist unfreiwillige Arbeitslosigkeit der Beweis für eine Unterauslastung der verfügbaren Ressourcen. Dadurch bleiben potenzielle Wohlstandsgewinne unrealisiert, was üblicherweise überproportional zulasten derjenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung geht. Arbeit lässt sich nun mal nicht sparen. Wer ein Jahr gar nicht arbeitet, der kann nicht im nächsten Jahr doppelt so viel arbeiten und damit die „aufgesparte“ Arbeit wieder investieren.

In der Eurozone gibt es allerdings einen massiven Bedarf an Arbeit, um die öffentliche Daseinsvorsorge auszuweiten oder auch soziale und ökologische Missstände zu korrigieren. Gleichzeitig sucht eine Vielzahl von Menschen nach Arbeit. Ein Widerspruch, den Keynes im nachfolgenden Zitat in pointierter Weise verdeutlicht.

„There is work to do; there are men to do it. Why not bring them together?“ – John Maynard Keynes

Neben den makroökonomischen Gründen ist unfreiwillige Arbeitslosigkeit allerdings auch mit diversen sozialgesellschaftlichen Problemen verbunden. Unter SoziologInnen besteht dabei weitgehender Konsens, dass die sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit weit über den bloßen Einkommensverlust hinausgehen. So wird unfreiwillige Arbeitslosigkeit zum Beispiel mit sozialem Ausschluss, Frustration, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühlen sowie Verringerung der Selbstachtung assoziiert und geht mit gesellschaftlichen Phänomenen wie Kriminalität, regionalen Entwicklungsdisparitäten, Gesundheitsproblemen, Familienproblemen und Schulabbrüchen einher.

Wie könnte eine Jobgarantie aussehen?

Der Staat macht ein bedingungsloses Jobangebot an jeden, der zu einem sozialverträglichen Lohn inkl. Sozialleistungen arbeiten möchte. Die Jobgarantie basiert auf der Grundidee, dass es die Verantwortung des Staates ist, die nötigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, wenn der Privatsektor hierzu nicht in der Lage ist (siehe auch „Jobgarantie als Chance für Langzeitarbeitslose“). Das Jobgarantie-Programm ist demnach als Pufferbestand an bezahlten Jobs zu verstehen, der expandiert (kontrahiert), wenn die privatwirtschaftliche Aktivität zurückgeht (steigt).

Idealerweise wird das Programm dabei als Bottom-up-Ansatz organisiert, das den individuellen Wunsch nach kontinuierlicher Beschäftigung mit den Bedürfnissen von Städten und Gemeinden kombiniert. Daher erfolgt der Großteil der Verwaltung auf Stadt- bzw. Gemeindeebene und zielt auf die Schaffung von lokalen Jobs ab, die dem Gemeinwohl dienen. Die TeilnehmerInnen der Jobgarantie können so in die Wahl der geförderten Projekte einbezogen und der Sozialstaat als Gemeinschaftsprojekt im Sinne des Gemeinwohls erlebt werden. Eine Befragung der TeilnehmerInnen des temporären und im Umfang begrenzten Jobgarantieprogramms, das Anfang der 2000er-Jahre in Argentinien implementiert wurde, ergab, dass die Zufriedenheit mit dem Job vor allem mit der Möglichkeit, etwas zum Gemeinwesen beizutragen, verbunden war.

Die Vorteile einer Jobgarantie

Neben den offensichtlichen Vorteilen, die sich aus der Korrektur der oben genannten Probleme durch die Auslastung der vorhandenen Ressourcen und der Ermöglichung kontinuierlicher Beschäftigung für den Einzelnen ergeben, wirkt die Jobgarantie zudem als antizyklischer Stabilisator, Preisanker und Instrument zur Nachfragesteuerung. Aus Platzgründen sei hier nur auf Ersteres eingegangen.

Im wirtschaftlichen Abschwung erhöhen sich die Zahl an Jobgarantie-TeilnehmerInnen und damit die Staatsausgaben, während im wirtschaftlichen Aufschwung die Zahl an Jobgarantie-TeilnehmerInnen und folglich die damit verbundenen Staatsausgaben zurückgehen. Gerade während einer Rezession sind die zusätzlichen Staatsausgaben genau der Stimulus, den es zur Erholung vom wirtschaftlichen Tief benötigt. In dieser Hinsicht ist die Jobgarantie mit dem Konzept des Arbeitslosengeldes, welches den Verlust an Einkommen zwecks Stabilisierung der Nachfrage während einer Rezession kompensiert, vergleichbar – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Jobgarantie nicht nur den Einkommens-, sondern auch den Beschäftigungsverlust kompensiert. Das Merkmal der Jobgarantie, dass die Ausgaben automatisch im Einklang mit dem Konjunkturzyklus angepasst werden, hilft zudem, das Preislevel zu stabilisieren und inflationären sowie deflationären Tendenzen entgegenzuwirken. Angesichts der bisherigen und nicht zuletzt auch pandemiebedingten Unterauslastung der Wirtschaft in der Eurozone sind auch bei der Einführung keine nennenswerten Inflationseffekte zu erwarten.

Zur Finanzierungsfrage in der Eurozone

Wie die derzeit viel beachtete Modern Monetary Theory (MMT) deutlich macht, ist der originäre Zweck des Geldsystems, die Mobilisierung der verfügbaren Ressourcen zu ermöglichen. Im Zentrum des Geldsystems steht die staatliche Währung, die der Währungsherausgeber theoretisch unbegrenzt und kostenfrei (auf Knopfdruck) erzeugen kann. Unter welchen Umständen und in welchen Grenzen das passieren kann (soll), wird durch politische Regeln festgelegt. Diese Regeln können mehr oder weniger sinnvoll sein, wie das Beispiel der Eurozone zeigt.

In der Eurozone ist die Europäische Zentralbank (EZB) die Schöpferin des Euros und könnte theoretisch Mittel in entsprechender Höhe für die Umsetzung einer Jobgarantie bereitstellen. Für die konkrete Ausgestaltung gibt es mehrere Optionen, von denen einige allerdings einer institutionellen Reform bedürften. Angesichts der Notwendigkeit einer schnellen Einführung empfiehlt sich also, mit dem gegenwärtigen Regelkonstrukt zu arbeiten.

Da die Europäische Kommission den Stabilitäts- und Wachstumspakt ausgesetzt hat und die EZB über das Anleihekaufprogramm „PEPP“ („Pandemic Emergency Purchasing Program“) sicherstellt, dass die Mitgliedsländer über den Kapitalmarkt zu verhältnismäßig günstigen Konditionen an die benötigten Euro gelangen, bietet sich kurzfristig an, dass die Euroländer die für die Jobgarantie benötigten Mittel über die Ausgabe von Staatsanleihen beschaffen.

Mittelfristig sollte eine Reform der Fiskalregeln sowie eine Überführung des Anleihekaufprogramms in eine ständige Ausfallgarantie für Staatsanleihen durch die EZB angestrebt werden. Die Alternative hierzu wäre eine fiskalische Instanz auf Eurozonenlevel, etwa ein europäisches Finanzministerium. Unter dem Strich braucht es einfach sinnvolle politische Regeln, die es ermöglichen, die Möglichkeiten des Geldsystems im Sinne des Gemeinwohls auszuschöpfen.

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