Pflichtpraktikum: Hackeln für ein Packerl Tschick?

29. Mai 2018

Die Arbeiterkammer Wien hat die Einführung des neuen Pflichtpraktikums für HAK/HAS-SchülerInnen mit zwei österreichweiten Studien begleitet. Damit liegen erstmals verlässliche und umfangreiche Daten über die Situation von PflichtpraktikantInnen vor. Ein kurzer Blick darauf genügt, um zu erkennen: SchülerInnen lernen beim Pflichtpraktikum leider auch die Schattenseiten der Arbeitswelt kennen.

Hauptsache, ich hab das Praktikum!

Insgesamt arbeitet ein nicht unbeträchtlicher Teil der kaufmännischen PraktikantInnen ohne Bezahlung. In der HAK sind es zwar nur sechs Prozent, bei den HAS-Pflichtpraktika erfolgt jedoch über ein Viertel ohne Bezahlung – und das, obwohl ihre Beschäftigung in der Regel die Merkmale eines echten Arbeitsverhältnisses aufweist:

  • sie sind organisatorisch in den Betrieb eingegliedert
  • sie sind persönlich weisungsgebunden,
  • sie müssen sich an Arbeitszeiten halten und
  • die ArbeitgeberInnen können ihre Arbeitsleistung wirtschaftlich verwerten.

Um in die Abschlussklasse aufsteigen zu können, müssen SchülerInnen ihre absolvierten Praktikumszeiten belegen. Deshalb ist der Druck, eine Stelle zu finden, so groß, dass SchülerInnen auch über unbezahlte Praktikumsmöglichkeiten froh sind.

Illiana: „Ich habe eineinhalb Monate in einem Lebensmittelsupermarkt gearbeitet, weil ich sonst nichts bekommen habe. Von Anfang an hat es geheißen, dass ich kein Geld für das Praktikum bekomme. Die Filialleiterin war auf dem Standpunkt, dass sie Praktikanten nichts zahlen muss. Ich habe Regale abräumen und die Waren schlichten müssen. (…) Hauptsache, ich habe das Pflichtpraktikum.“

Die Suche nach einem Praktikumsplatz erweist sich für 36 Prozent der SchülerInnen als schwierig, besonders aufgrund eines Mangels an freien Stellen. Da die Zahl der PflichtpraktikantInnen steigt, ist zu erwarten, dass sich dieses Problem in den nächsten Jahren weiter verschärft.

Der ultimative Tipp unter HAK/HAS-SchülerInnen ist, beim Bewerben keinesfalls das Wort „Pflichtpraktikum“ zu verwenden. „Es ist besser, sich für einen Ferialjob zu bewerben, dann ist die Frage nach der Bezahlung kein Problem“, weiß Vera. Damit bestätigen sich die Befunde, die auch schon aus der Studierenden-Sozialerhebung 2015 hervorgehen: Die Wahrscheinlichkeit einer Bezahlung sinkt, sobald eine Arbeitserfahrung im Ausbildungsplan verpflichtend vorgeschrieben ist. Dabei ist klar: PraktikantInnen leisten echte Arbeit, deshalb müssen sie korrekt bezahlt werden.

Ein Drittel der Befragten hat weder Arbeitsvertrag noch Lohnzettel bekommen. Bei einem Pflichtpraktikum sollte immer ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen werden, allein schon als Nachweis für die Schule. Die Arbeiterkammer empfiehlt auch eine genaue Dokumentation der Arbeitszeit! Hier hilft die AK Zeitspeicher App.

Hintergrundwissen
Alle berufsbildenden Schulen sehen mittlerweile Pflichtpraktika im Lehrplan vor. In einzelnen Branchen wie z.B. der Gastronomie ist die Bezahlung durch die Regelung im Kollektivvertrag geklärt, in anderen Bereichen ist sie offen. Eigentlich handelt es sich um befristete Arbeitsverhältnisse, wie bei einem "Ferialjob" - denn die Merkmale eines Arbeitsverhältnisses sind in der Regel gegeben.

Vitamin B hilft – Schulen können aber wesentlich unterstützen

Dabei sind die HAK/HAS-SchülerInnen durchwegs engagiert bei der Stellensuche und starten damit – von den Schulen unterstützt – bereits im Herbst. Wie in vielen Lebensbereichen zeigt sich, dass es manche SchülerInnen schwerer haben. Denn persönliche Netzwerke dominieren die Suche nach Praktikumsplätzen: Vor allem über Eltern/Familie (57 %) und Bekannte/Freunde (26 %) werden Praktikumsstellen gefunden. Dies erklärt auch, warum acht Prozent der Jugendlichen ihre Stelle ohne Bewerbung bekommen, weitere 35 % der SchülerInnen bereits mit einer einzigen Bewerbung erfolgreich sind.

Im Schnitt werden drei Bewerbungen benötigt, um eine Stelle zu erlangen. Dem stehen aber wenige SchülerInnen gegenüber, die auch mit mehr als 20 Bewerbungen nicht erfolgreich sind. Kinder von Alleinerziehenden oder aus Familien mit nur einem erwerbstätigen Elternteil haben weniger Zugriff auf Netzwerke und finden schwerer Praktikumsstellen.

Am schwierigsten ist es für SchülerInnen aus Oberösterreich und Wien, Stellen zu ergattern (27 % schreiben mehr als zehn Bewerbungen).

SchülerInnen, die bei der Praktikumssuche auf sich allein gestellt sind, brauchen von der Schule Unterstützung beim Bewerbungsprozess. Wie man Bewerbungsunterlagen verfasst, wie man telefonisch beim Betrieb nachfragt und wie Bewerbungsgespräche geführt werden – all das sollte in der Schule geübt werden. Manche Schulen können über ihre Partnerschaften auch Praktikumsstellen vermitteln. LehrerInnen tun das allerdings eher für „handverlesene“ SchülerInnen, um den guten Ruf der Schule und die Kooperation mit den Betrieben nicht zu gefährden.

Mehr arbeiten, weniger Erholung. Was ist das für 1 Life?

HAS-SchülerInnen haben es schwieriger, Praktikumsstellen im Sommer zu finden. Sie arbeiten häufiger zusätzlich zum Schulbesuch am Wochenende, denn in den kaufmännischen Schulen ist es auch möglich, geringfügige Beschäftigung während des Schuljahres als Praktikumszeiten anerkennen zu lassen. Ein Drittel der HAS-SchülerInnen arbeitet geringfügig (bis zehn Stunden pro Woche), hingegen absolvieren 75 % der HAK-SchülerInnen im Sommer (mit über 35 Wochenstunden) ihr Pflichtpraktikum. Neben der Schule zu arbeiten ist eine zusätzliche Belastung, besonders für schwache SchülerInnen.

Das entspricht den Ergebnissen diverser Jugendstudien: Junge Menschen sind unter Druck, eine unbeschwerte Jugend passt eher nicht mehr ins Bild unserer Zeit. Die Auswirkungen der gesellschaftlichen Beschleunigung (Hartmut Rosa) sind bereits im Schulalter angekommen: immer MEHR müssen Teenager GLEICHZEITIG leisten. Im Mittelpunkt stehen das “Funktionieren” und Weiterlaufen im Konkurrenz-Hamsterrad einer Leistungsgesellschaft, in der sich junge Menschen mit dem Sammeln von Praktika, Zertifikaten und Zusatz-Qualifikationen bestmöglich am Arbeitsmarkt platzieren müssen, um ihre Chancen zu wahren.

Was das Praktikum den SchülerInnen bringt – wenn es passt!

Dabei stehen hinter einem stärkeren Mix aus Schulbildung und Praxiserfahrung sinnvolle Überlegungen: Mit dem Praktikum sollen die SchülerInnen in die Arbeitswelt hinein schnuppern und Erfahrungen sammeln. Dadurch können sie Theorie und Praxis leichter verbinden. Das in der Schule Gelernte wird besser verstanden und aus der Verwertbarkeit des Schulwissens lässt sich weitere Motivation für das künftige schulische Lernen ziehen. Soweit die Theorie. Unserer quantitativen Studie zufolge, arbeitet fast die Hälfte der SchülerInnen allerdings in einem Fachbereich, der nichts mit der beruflichen Ausbildung zu tun hat.

Sara: „Ich weiß jetzt, nach dem Praktikum, was mich interessiert. Wenn man das Pflichtpraktikum macht, das mit unserer Ausbildung in der Schule zu tun hat, profitiert man enorm viel. Wenn man aber in einem anderen Bereich arbeitet, dann hat man nichts vom Praktikum.“

Bei der Einführung des Praktikums 2014/15 wurde gerade von den kaufmännischen Schulen sehr darauf geachtet, das Praktikum sinnvoll in den Lehrplan einzubinden: durch festgeschriebene Vor- und Nachbereitung ist eine Verbindung von Theorie- und Praxislernen berücksichtigt. Beispielsweise soll vor dem ersten Praktikumssommer im Unterricht Arbeitsrecht durchgenommen werden. Die Erfahrungen des Praktikums werden mit einem gut durchdachten Praxisportfolio aufgearbeitet. Sie bilden nun auch die Basis für die schriftliche Abschlussarbeit, die die SchülerInnen im letzten Schuljahr anfertigen müssen. Pädagogisch betrachtet, kann das kaufmännische Pflichtpraktikum durchwegs als Vorbild für andere BMHS-Typen bezeichnet werden. Die kaufmännischen Schulen nutzten die Ergebnisse beider Studien für ihre laufende Qualitätsverbesserung.

Wie bewerten SchülerInnen das neue Pflichtpraktikum?

Die SchülerInnen bewerten ihre Erfahrung in erster Linie nach inhaltlichen Qualitäten: Waren die Aufgaben abwechselnd, facheinschlägig und eigenständig ausführbar? Dem gegenüber stellen sie die Bezahlung und Rahmenbedingungen wie Arbeitsort/-zeit. Beide Studien fanden – unabhängig voneinander – eine Einteilung in vier Gruppen:

  1. Die Zufriedenen:
    Sie bewerten alle Dimensionen als gut, für sie war ihr Pflichtpraktikum ein Erfolg (41 % lt. quantitativer Studie).
  2. Die „Unbezahlt-aber-Glücklichen“:
    SchülerInnen in diesem Cluster sind unzufrieden mit der Bezahlung, bewerten aber die anderen Dimensionen als gut (14 %).
  3. Die inhaltlich Unzufriedenen:
    SchülerInnen bewerten die inhaltliche Qualität als schlecht (bemängeln etwa fehlende Facheinschlägigkeit), waren aber mit Bezahlung und Rahmenbedingungen zufrieden (32 %).
  4. Die Unzufriedenen:
    Weder Bezahlung noch Tätigkeiten passten, deshalb sind 13 % mit dem Praktikum unzufrieden.

Interessantes Detail: Je besser sich die Jugendlichen von der Schule vor dem Pflichtpraktikum unterstützt fühlen, desto eher befinden sie sich später im ersten Cluster.

Fazit: PflichtpraktikantInnen haben fairen Umgang verdient!

Die Studienergebnisse haben die Skepsis bezüglich der Verfügbarkeit von Praktikumsplätzen leider bestätigt. SchülerInnen stehen unter enormem Druck und sehen sich sogar gezwungen, ohne Bezahlung zu arbeiten – obwohl sie echte Arbeit leisten! Junge Menschen so abzuspeisen, ist ein ungerechter Einstieg in das Arbeitsleben. Während Betriebe in manchen Branchen angeblich händeringend um Lehrlinge bemühen, schildern SchülerInnen unwürdige Behandlung am Arbeitsplatz. Extrembeispiel ist die Erzählung einer minderjährigen Person, die ein Päckchen Zigaretten als Anerkennung für ihre unbezahlt geleistete Arbeit erhalten hat.

Demgegenüber stehen aber auch die positiven Einschätzungen zahlreicher SchülerInnen, dass sich ihr Praktikum gelohnt hat. 41 % der SchülerInnen sind mit ihrem Pflichtpraktikum vollauf zufrieden. Nur: Diese Zufriedenheit ist an die Erfüllung arbeitsrechtlicher Standards gebunden. Werden die PflichtpraktikantInnen von den ArbeitgeberInnen nicht gut behandelt, werden sie sich nach Schulabschluss eher auf andere Berufsfelder konzentrieren. Die Jungen verlieren wertvolle Ausbildungszeit und die Wirtschaft verliert die Fachkräfte, die sie so dringend sucht. Es ist daher ein vorrangiges Anliegen, die Rechtsposition der PflichtpraktikantInnen zu verbessern. Dafür muss die Wirtschaft der Regelung von Praktika in den Kollektivverträgen zustimmen. Erfreulicherweise sehen immer mehr Kollektivverträge Regelungen und Standards auch für (Pflicht-)PraktikantInnen vor. Die UnternehmerInnen haben stark auf die Einführung der Pflichtpraktika gedrängt, jetzt sollten sie sich auch am Funktionieren der Pflichtpraktikasuche beteiligen. Etwa durch die Einrichtung und Unterstützung regionaler Praktikumsbörsen, Werbung unter den Betrieben, Information der Betriebe. Hier wäre künftig auch eine stärkere Kooperation mit Arbeiterkammer (Checkliste|Broschüre|Unterrichtsmaterial)und GPA-djp (Angebote|Watchlist) gewinnbringend, die SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen rund um das Pflichtpraktikum bereits mit vielfältigen Angeboten unterstützen.

 

Wie viele PflichtpraktikantInnen gibt es?
Insgesamt müssen rund 280.000 SchülerInnen und Studierende im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihres Studiums ein verpflichtendes Praktikum absolvieren:
- ca. 180.000 SchülerInnen der BMS/BHS
- ca. 70.000 Uni-Studierende
- ca. 30.000 FH-Studierende

 

Zur weiterführenden Beschäftigung mit dem Thema:

https://www.facebook.com/hak.has.cc/videos/1691421600950246/