Die österreichische Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie: Wird hier eine Chance verpasst?

04. Juli 2022

Spätestens seit den Fällen von Julian Assange und Edward Snowden ist Whistleblowing auch in der breiten Öffentlichkeit ein geläufiger Begriff. Weil Whistleblower:innen immer wieder Verfolgung und (arbeits-)rechtlichen Sanktionen ausgesetzt sind, soll eine EU-Richtlinie ein höheres Maß an Schutz bringen. Nun liegt der Entwurf des österreichischen Umsetzungsgesetzes zu dieser Richtlinie vor. Er entspricht zum Teil nicht den Mindestvorgaben der Richtlinie und ist auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Wird das Gesetz nicht deutlich ambitionierter, droht es zu einer verpassten Chance zu werden.

Whistleblowing – was ist das?

Whistleblower:innen sind Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses von Rechtsverletzungen oder anderem Fehlverhalten, wie etwa Bilanzfälschung, Missbrauch von öffentlichen Förderungen oder Unterschlagung von Firmengeldern, Kenntnis erlangen und über dieses Fehlverhalten Meldung erstatten. Diese Meldung bzw. der Hinweis über das Fehlverhalten kann bei einer Stelle im Unternehmen selbst erfolgen (interne Meldung), gegenüber einer öffentlichen Einrichtung wie z. B. der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (externe Meldung) oder an die Medien. Beim Wort Whistleblowing denkt man sofort an Namen wie Julian Assange und Edward Snowden. Nicht immer aber sind die Fälle von Whistleblowing so spektakulär. Wichtig sind sie dennoch, damit eine breitere Öffentlichkeit von rechtlich verbotenen oder unethischen Verhaltensweisen erfährt und gegengesteuert werden kann. Whistleblower:innen können also einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Missstände in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen abzustellen.

Whistleblower:innen werden jedoch selten als Held:innen gefeiert, denn das Aufzeigen von Fehlverhalten ist mitunter unerwünscht. Die Hinweisgeber:innen machen sich also aufgrund ihrer Meldungen bei ihren Arbeitgebern oft sehr unbeliebt und werden in der Folge häufig selbst rechtlich belangt, sanktioniert und abgestraft. Whistleblower:innen werden Karrierechancen verbaut, sie werden gekündigt oder gleich entlassen. Erfahren Arbeitnehmer:innen von einem Fehlverhalten in ihrer Organisation, verzichten sie aus Angst vor Konsequenzen daher häufig auf eine Meldung. Eine Richtlinie der EU hatte sich daher zum Ziel gesetzt, ein höheres Schutzniveau für Whistleblower:innen zu verankern.

Der europarechtliche Rahmen

Auf die Richtlinie zum Schutz von Whistleblower:innen („Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“) hatten sich EU-Parlament und -Rat bereits vor beinahe drei Jahren – im Oktober 2019 – geeinigt, nachdem einige Mitgliedstaaten bereits zuvor auf nationaler Ebene Regelungen getroffen hatten – Österreich gehörte nicht dazu. Die Richtlinie verfolgt den Zweck, auf europäischer Ebene einheitliche Mindeststandards zu schaffen, und will – auch vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Meinungsfreiheit – einen effektiven Schutz von Whistleblower:innen sicherstellen, soweit diese „im öffentlichen Interesse“ handeln.

Die Richtlinie schränkt den Schutz jedoch auf bestimmte Meldeinhalte ein. Es handelt sich dabei um Bereiche, in denen sekundäre Unionsrechtsakte erlassen wurden, wie etwa das öffentliche Auftragswesen, Verhütung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Produktsicherheit, Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz, öffentliche Gesundheit oder den Verbraucher:innenschutz. Zentrale strafrechtliche Bestimmungen, wie Betrug, Untreue, Bilanzfälschung, Korruption, Förderungsmissbrauch, Sozialbetrug von Unternehmen, Urkundenfälschung oder das Finanzstrafrecht, sind in der Richtlinie nicht angeführt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die EU keine Zuständigkeit dafür hat, eine allgemeine Regelung zum Whistleblowing zu erlassen, die auch die Verletzung rein innerstaatlicher Rechtsnormen (z.B. des nationalen Strafgesetzbuches) erfassen würde. So musste die Richtlinie den Anwendungsbereich auf europarechtliche Bestimmungen beschränken. In den Erwägungsgründen zur Richtlinie wird den Mitgliedstaaten jedoch nahegelegt, den Anwendungsbereich auch auf andere – nationale – Rechtsbereiche auszudehnen. Deutschland etwa ist dieser Anregung gefolgt. Der Referent:innenentwurf des deutschen Justizministeriums vom April 2022 erfasst alle Verstöße, die „straf- und bußgeldbewehrt“ sind, somit auch das gerichtliche Strafrecht und das Verwaltungsstrafrecht.

Die Richtlinie sieht nun vor, dass Unternehmen ab einer Größe von 250 Arbeitnehmer:innen – und ab 17.12.2023 ab einer Größe von 50 Arbeitnehmer:innen – interne Meldekanäle einrichten müssen. Auch im öffentlichen Sektor, also insbesondere bei den Behörden, sind interne Mechanismen, um Meldungen abzugeben, zu verankern. Darüber hinaus sind externe Meldekanäle einzurichten. Für diese Meldekanäle gibt es bestimmte Anforderungen in Bezug auf Sicherheit, Vertraulichkeit, Unparteilichkeit und Einhaltung eines bestimmten Verfahrens.

Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit ein Fehlverhalten in den von der Richtlinie erfassten Bereichen wahrnehmen und Hinweise an eine (interne oder externe) Meldestelle geben,  haben ein Recht auf Schutz ihrer Identität in der Öffentlichkeit und dürfen keine arbeitsrechtlichen Nachteile erleiden und keinen Vergeltungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin ausgesetzt werden. Hierbei müssen die Behörden angemessene Unterstützung (Information, Beratung, gegebenenfalls Verfahrenshilfe) leisten. Falls es trotzdem zu Vergeltungsmaßnahmen gegen Hinweisgeber:innen kommt, so sind dagegen von den Mitgliedstaaten im Zuge der Richtlinienumsetzung wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen vorzusehen. Erfolgt die Meldung nicht an eine (interne oder externe) Meldestelle, sondern an die Medien bzw. an die Öffentlichkeit, ist der Schutz nach der Richtlinie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gegeben. Etwa dann, wenn die Meldung vorher an eine Meldestelle erfolgte, von dieser jedoch keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden.

Der österreichische Umsetzungsentwurf: viele Delikte und Unternehmen nicht erfasst, Strafrahmen zu gering

Im Juni 2022 hat die österreichische Bundesregierung mit großer Verspätung einen Begutachtungsentwurf zur Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie mit dem Titel „HinweisgeberInnenschutzgesetz“ (HSchG) vorgelegt. Eigentlich hätte die Umsetzung bereits bis 17.12.2021 erfolgen müssen.

Die Bundesregierung lehnt sich in ihrem Entwurf beim Anwendungsbereich sehr stark an die Mindestanforderungen der Richtlinie an und erfasst darüber hinaus nur Korruptionsdelikte (§ 302 bis § 309 Strafgesetzbuch (StGB)). Damit ist der weitaus überwiegende Teil der strafrechtlichen Verfehlungen (etwa Untreue, Bilanzfälschung) nicht erfasst. Erfasst ist weiters auch nicht das Verwaltungsstrafrecht. Dies betrifft insbesondere Lohndumping, Verstöße gegen den Arbeitnehmer:innenschutz oder Schwarzarbeit. In Deutschland geht der aktuelle Entwurf wesentlich weiter (siehe oben). Dies würde – sollte der Entwurf in Österreich so Gesetz werden – eine wesentliche Ungleichbehandlung von Whistleblower:innen bedeuten. Hinweisgeber:innen, deren gemeldete Verfehlung in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt, wären dann gut geschützt, andere hätten nur einen sehr eingeschränkten Schutz. Dies wäre vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes nicht ausreichend begründbar und daher auch nicht verfassungskonform, wie ein Gutachten von Harald Eberhard, Professor für Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien, darlegt. Der Anwendungsbereich des Begutachtungsentwurfes ist also viel zu eng gefasst. Auch der Kreis jener Unternehmen, die unter das HinweisgeberInnenschutzgesetz fallen sollen, fällt richtlinienwidrig zu kurz aus. Der Entwurf erfasst nämlich nur Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen mit mehr als 50 Beschäftigten.  Arbeitnehmer:innen in Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen mit weniger als 50 Beschäftigten hätten daher nach dem Gesetz keinen Schutz. Den Schwellenwert von 50 Arbeitnehmer:innen gibt es zwar in der Richtlinie, dieser bezieht sich aber nur auf die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen, nicht jedoch auf den Anwendungsbereich an sich.

In der Richtlinie ist überdies eine klare Beweislastumkehr für jene Fälle vorgesehen, in denen Arbeitgeber gegen Whistleblower:innen vorgehen: Wird ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin etwa gekündigt und ist er oder sie zuvor als Whistleblower*in in Erscheinung getreten, so muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Kündigung rechtmäßig erfolgt ist. Besonders bedauerlich ist, dass diese Beweislastumkehr im nationalen Entwurf nun besonders stark abgeschwächt wurde und sich dort eine bloße Beweiserleichterung findet. Eine derartige Umsetzung wäre mit der Richtlinie jedenfalls nicht vereinbar.

Auch die festgelegten Verwaltungsstrafen sind viel zu niedrig angesetzt. Vorgesehen sind Geldstrafen bis zu maximal 20.000 Euro bzw. bis zu maximal 40.000 Euro im Wiederholungsfall. Diese drohen dann, wenn Hinweisgeber:innen im Zusammenhang mit der Abgabe einer Meldung behindert werden oder versucht wird, sie zu behindern, Whistleblower:innen durch mutwillige gerichtliche oder behördliche Verfahren unter Druck gesetzt werden oder wenn auf andere Weise Vergeltung geübt wird oder die Vertraulichkeit der Meldung verletzt wird. In der Praxis wird von den Behörden bei Verwaltungsstrafen der Strafrahmen äußerst selten ausgeschöpft. In der Regel liegen die tatsächlich verhängten Strafen unterhalb der Hälfte des maximalen Strafrahmens. Dass Strafen in dieser – vergleichsweise geringen – Höhe gerade für mittelgroße oder gar große und finanzstarke Unternehmen als wirksam, angemessen und abschreckend – so die Vorgabe der Richtlinie – anzusehen sind, wird wohl niemand ernsthaft behaupten.

Fazit

Künftig müssen Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeiter:innen verpflichtend Meldekanäle einrichten, um es Hinweisgeber:innen zu erleichtern, Rechtsverletzungen und andere Formen von Fehlverhalten aufzuzeigen. Die EU-Richtlinie über den Schutz von Whistleblower:innen gibt diesbezüglich, aber insbesondere auch hinsichtlich des Schutzes von Hinweisgeber:innen vor potenziellen Vergeltungsmaßnahmen ihrer Arbeitgeber:innen Mindeststandards vor. Der stark verspätet vorgelegte Umsetzungsentwurf der österreichischen Bundesregierung sieht einen verfassungsrechtlich höchst bedenklich engen Anwendungsbereich vor, baut den Schutz für Whistleblower:innen nicht wesentlich über den europäischen Mindeststandard hinaus aus und erfüllt in einigen wesentlichen Punkten nicht einmal die Vorgaben der Richtlinie. Der Entwurf des HinweisgeberInnenschutzgesetzes bleibt daher leider deutlich hinter den Erfordernissen und Erwartungen zurück. Es gilt daher jetzt, das Gesetz deutlich ambitionierter zu gestalten. Denn ansonsten liefe der Rechtsakt Gefahr, zu einer verpassten Chance zu werden.

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