Neue Gentechnik: Leere Versprechen statt echter Problemlösung?

16. November 2018

Seit einigen Jahren läuft die Debatte, ob sogenannte „Neue Züchtungstechniken“ als Gentechnik eingestuft werden sollen oder nicht. Der EuGH hat dazu Klarheit geschaffen: Die neuen Techniken CRISPR und Co müssen durch das EU-Gentechnik-Gesetz reguliert werden. Zum Schutz der Umwelt, der menschlichen Gesundheit und für eine echte Wahlfreiheit der KonsumentInnen und der LandwirtInnen. Doch der Kampf um die Neue Gentechnik und ihre Deregulierung geht weiter und wird bei der großen UN-Biodiversitätskonferenz ab 17. November in Ägypten intensiv diskutiert.

2017 startete die Saatgutindustrie eine umfassende Kampagne, um zu verhindern, dass die von ihnen so benannten „neuen Züchtungstechniken“ als Gentechnik reguliert werden. WissenschafterInnen, u. a. des European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER), aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen pochten auf eine Regulierung unter der EU-Gentechnikrichtlinie.

Die einen sagen „Neue Züchtungstechniken“, die anderen nennen es „Gentechnik– was denn nun?

Die „alte“ Trans-Gentechnik ist, so scheint es, kaum noch Thema. Auf den Äckern der meisten EU-Länder konnte sie sich nicht durchsetzen und in Österreich war nach dem Gentechnik-Volksbegehren so etwas wie ein Konsens hergestellt: Hier wird keine Gentechnik im Anbau verwendet. Das war 1997. Gut 20 Jahre später meldet sich die Gentechnik zurück und zwar mit neuen Methoden, die – so wird versprochen – präziser und schneller seien als jene der „alten“ Gentechnik. Und, so die VerfechterInnen dieser Techniken: Obwohl sie in das Erbgut von Pflanzen und Tieren eingreifen und dort das Genom verändern, sollen sie nicht „Gentechnik“ genannt und auch nicht als solche reguliert werden. Zu präsent sind noch die Debatten über die „alte“ klassische Trans-Gentechnik. Das sollte mit der „neuen“ nicht noch einmal passieren. Daher wurde in den vergangenen Jahren, v. a. seit die entsprechenden Techniken ihren Weg auf die Patentämter gefunden haben, bewusst von „Neuen Züchtungstechniken“ gesprochen und nicht von Gentechnik (siehe die Kampagne der Saatgutindustrie und die Analyse von CEO dazu: #EmbracingNature)

Französische zivilgesellschaftliche und bäuerliche Organisationen wollten endlich Klarheit. 2016 wurde der EuGH angerufen und seit 25. Juli 2018 liegt das Urteil vor: Neue Techniken wie CRISPR, ODM, ZFN, TALEN sind als Gentechnik zu bewerten und fallen als solche unter die EU-Gentechnik-Richtlinie 2001/18 zur „absichtlichen Freisetzung genetisch veränderter Organismen (GVO) in die Umwelt“. Das Urteil besagt, dass mit den neuen Gentechnikverfahren ähnliche Risiken verbunden sind wie mit der klassischen Trans-Gentechnik. Außerdem würde eine Ausnahme dieser Techniken, wie von der Industrie gefordert, dem Zweck der Gentechnik-Richtlinie zuwiderlaufen, nämlich „(…) schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern. Ferner würde dieser Ausschluss dem Vorsorgeprinzip zuwiderlaufen (…).

Dann ist ja jetzt alles klar – CRISPR ist Gentechnik und muss reguliert werden, oder?

Das sollte man meinen. Doch die Industrie und mit ihr einige WissenschafterInnen, die seit Jahren für das Projekt „Neue Züchtungstechniken“ umworben werden, kritisieren das EuGH-Urteil heftig und wollen, dass „Gentechnik“ neu definiert wird, also dass die neuen Techniken doch von den nationalen Regelungen und EU-Gentechnik-Gesetzen ausgenommen werden. Auch Interessensverbände wie die LKOÖ setzen sich dafür ein. Der wesentlichste Aspekt des EuGH-Urteils wird übersehen oder einfach ignoriert, weil wirtschaftliche Interessen über alles gestellt werden. Die teilweise irreführende und sehr einseitige Berichterstattung wird in einem Paper von ENSSER genauer untersucht. Im EuGH-Urteil wurde im Sinne der seit 2001 bestehenden Richtlinie entschieden, dass es zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit eine Regulierung der neuen Techniken als Gentechnik braucht, um mögliche Schäden für diese abzuwenden. Das bedeutet: Prüfung der Risiken für Umwelt und Gesundheit, Zulassungsverfahren, Kennzeichnung als Gentechnik. Dem liegt das Vorsorgeprinzip zugrunde. Das Urteil bringt Rechtssicherheit für die Biolandwirtschaft und es ermöglicht den Schutz der Ökosysteme und der Artenvielfalt, die immer mehr unter Druck geraten. Mit Zulassungsverfahren und Kennzeichnungspflicht ist auch Transparenz und echte Wahlfreiheit für KonsumentInnen und LandwirtInnen geschaffen.

Leere Versprechen damals wie heute

BeobachterInnen der Debatte über die Trans-Gentechnik in den 1990er-Jahren werden sich denken: „Alles schon einmal gehört …“. Die neuen Techniken seien präziser und schneller als die Trans-Gentechnik (wenigstens wird jetzt eingeräumt, dass die Trans-Gentechnik alles andere als präzise ist). Sie könnten die Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft abfedern und würden den Pestizideinsatz drastisch reduzieren. Wahr ist vielmehr, dass es zu keinem dieser Versprechen Belege gibt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Anpassung an Trockenheit oder starke klimatische Schwankungen ist dermaßen komplex und die biochemischen Mechanismen noch viel zu wenig verstanden, als dass man in absehbarer Zeit damit rechnen könnte, durch CRISPR und Co Sorten zu entwickeln, die tatsächlich an den Klimawandel angepasst wären.

Hier sei noch angemerkt: Präziser ist noch lange nicht sicher. Denn was gerne unter den Tisch gekehrt wird, sind die bereits bekannten und die vielen noch nicht einmal erforschten sogenannten „off-target“-Effekte, also die unerwünschten Nebenwirkungen auf die Pflanze selbst, aber vor allem auf die Umwelt und die Menschen.

Gene Drive – der „Drive“ muss jetzt international gestoppt werden

Nach dem klaren EuGH-Urteil wäre der nächste Schritt, diese Erkenntnisse auf eine höhere Ebene zu tragen und ihnen möglichst umfassende Geltung zu verschaffen. Am 17. November startet die 14. COP (Conference ot the Parties) der Vereinten Nationen zu Biologischer Vielfalt in Sharm El-Sheikh, Ägypten. Bis 29. November wird dort aus ganz aktuellem Anlass über die Neue Gentechnik (engl. Genome Editing) diskutiert werden. Es wäre hilfreich und bahnbrechend, wenn die durch neue Techniken gentechnisch veränderten Organismen auch unter dem internationalen Protokoll für biologische Sicherheit (Cartagena Protokoll) als gentechnisch veränderte Organismen klassifiziert werden. Die Klarheit, die durch das EuGH-Urteil vom 25. Juli 2018 geschaffen wurde, sollte auch auf UN-Ebene gelten (selbst wenn es dann noch immer sehr unterschiedliche Regulierungen geben würde). Außerdem muss man sich mit einem noch viel umfassenderen Thema in diesem Zusammenhang auseinandersetzen.

Denn während der EuGH CRISPR und Co keinesfalls als von Haus aus sicher ansieht, wird bereits an Techniken gearbeitet, die mit CRISPR ganze Populationen von Pflanzen oder Tieren ausrotten können. Die Technik dazu heißt Gene Drive. Mithilfe von CRISPR werden Gene so verändert, dass die manipulierte Eigenschaft sich binnen weniger Generationen auf alle Nachkommen überträgt, die Vererbungslehre wird damit außer Kraft gesetzt. Mit massiven ökologischen, aber auch sozialen und potenziell geopolitischen Folgen.

Zum Schutz der Artenvielfalt und nicht zuletzt der menschlichen Gesundheit wäre es absolut notwendig, diesem beschleunigten gentechnischen Verfahren jetzt Einhalt zu gebieten und ein Moratorium zu beschließen.

Österreich kommt bei der COP dieses Jahr eine besondere Rolle zu, weil es die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Gerade unter dem Vorsitz eines Landes, das eine derart lange gentechnikfreie Tradition hat, sollte die EU dafür Sorge tragen, dass Gentechnik die Biodiversität nicht unwiederbringlich zerstört.

Die EU sollte, gestärkt durch das EuGH-Urteil, ihre Vorreiterrolle ernst nehmen und mit gutem Beispiel voran in die Verhandlungen zur COP gehen: Eine Klassifizierung und Regulierung der Neuen Gentechnik ist im Sinne der Menschen und der Umwelt. Und das kann nicht nur regional oder für einen Erdteil gelten.