Mitbestimmung: Jeden Tag neu erkämpfen

21. November 2014

 „Ihr habt es gut“, sagte ein ungarischer Kollege über die Mitbestimmungsrechte in Österreich.  „Eure Regierung verhandelt mit euch über Gesetzesänderungen, für fast alle ArbeitnehmerInnen gelten Kollektivverträge und eure Betriebsräte haben echte Mitspracherechte.“ Verglichen mit den Bedingungen der ungarischen Gewerkschaften unter der Orban-Regierung scheint unsere Situation paradiesisch.

Doch wie gut sind unsere Mitbestimmungsrechte tatsächlich abgesichert? Haben sie mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt gehalten? Sind sie gegen massiven Widerstand durchsetzbar? Bei genauer Betrachtung ist einiges verbesserungsbedürftig, anderes muss von den Gewerkschaften immer wieder verteidigt werden. Selbstverständlich ist im heutigen neoliberalen Umfeld fast nichts.

Einschränkungen beim Mitbestimmungsrecht

Schauen wir nur einige Jahre zurück. „Speed kills“ war ab 2000 das Motto einer Politik, die das Begutachtungsrecht von ÖGB und AK schlicht ignorierte. Gesetzesänderungen mit Kürzungen im Sozialbereich wurden nicht sozialpartnerschaftlich verhandelt, sondern als Initiativanträge im Parlament eingebracht, und schon waren die Möglichkeiten der Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen erheblich eingeschränkt. GewerkschafterInnen, die gegen diese Politik auftraten, wurden durch Gesetzesänderungen aus einflussreichen Positionen entfernt. Die Zusammensetzung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger wurde geändert, um den damaligen Hauptverbandspräsidenten und Regierungskritiker Hans Sallmutter aus dieser Position zu entfernen. Der AK wurde mit der Halbierung des Beitrags gedroht und die gesetzliche Mitgliedschaft immer wieder zum Thema gemacht. Erst durch massiven gewerkschaftlichen Widerstand, Streiks und Demonstrationen kam die Regierung zurück an den Verhandlungstisch. Ohne dieses entschlossene Auftreten wären die gewerkschaftlichen Möglichkeiten, Einfluss auf für ArbeitnehmerInnen wesentliche Gesetze zu nehmen, wohl für lange Zeit verloren gewesen.

Einiges ist verbesserungsbedürftig, nichts mehr selbstverständlich

Unabhängig von der jeweiligen Zusammensetzung der Regierung wird auch der Ton zwischen den Kollektivvertrags-Verhandlern rauer. Sozialpolitische Fortschritte durch Verbesserung des Rahmenrechts sind immer schwieriger zu erreichen. Die Arbeitgeberseite hat sich in die Forderung nach Arbeitszeitflexibilisierung verrannt. Und das, obwohl die ArbeitnehmerInnen in Österreich noch immer alle Aufträge in der Zeit erledigt haben. Zeichen eines härter werdenden Verteilungskampfs. Der früher selbstverständliche Konsens, den ArbeitnehmerInnen einen fairen Anteil am Unternehmenserfolg zuzugestehen, ist vielfach nicht mehr gegeben. Dividenden sind wichtiger als Investitionen oder das Wohl der Beschäftigten, die die Gewinne erarbeiten. Immer öfter müssen zur Durchsetzung von Lohnerhöhungen Kampfmaßnahmen ergriffen werden. Wenn es bei der Gewinnmaximierung hilft, wird auch einmal eine andere Gewerbeberechtigung angenommen, um einen „billigeren“ Kollektivvertrag anwenden zu können. Die rechtlichen Mittel, dagegen vorzugehen, sind inzwischen unzureichend und müssen verbessert werden.

In die Trickkiste greifen

Auch das Leben der BetriebsrätInnen wird härter. Mit den Instrumenten der 1970er-Jahre im heutigen Umfeld die Belegschaft bestmöglich zu vertreten ist eine Herausforderung. Die VerfasserInnen des Arbeitsverfassungsgesetzes konnten sich Umstrukturierungen und Ausgliederungen im heutigen Ausmaß nicht vorstellen. BertriebsrätInnen müssen, unterstützt von Gewerkschaften und Arbeiterkammern, schon hart arbeiten und manchmal auch tief in die Trickkiste greifen, um die Interessen der Belegschaft gegenüber dem Unternehmen durchzusetzen. Auch hier ist eine Verbesserung des rechtlichen Handwerkszeugs nötig.
„Jammern auf hohem Niveau“, sagt Karoly, unser ungarischer Kollege. Eine Herausforderung und der Auftrag, sich nicht mit Erreichtem zufriedenzugeben, sage ich. Mitbestimmung ist durch starke und aktive Gewerkschaften und Betriebsräte jeden Tag neu zu erkämpfen.

Dieser Beitrag stammt aus “Arbeit & Wirtschaft”. Die November-Ausgabe beschäftigt sich ausführlich mit den Themen Mitgestaltung, Mitbestimmung, Mitsprache.
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