Mindestsicherung Neu – schlechte Aussichten für arme Kinder (und ihre Eltern)!

14. Juni 2018

Kürzlich hat die Bundesregierung ihr Konzept zur Mindestsicherung Neu vorgestellt. Der konkrete Gesetzesvorschlag ist zwar noch ausständig, aber die Stoßrichtung ist klar: Die Koalition setzt an, zwei ihrer zentralen Vorhaben umzusetzen – Leistungsverschlechterungen für kinderreiche Familien und für Nicht-ÖsterreicherInnen.

Die Mindestsicherung Neu im Detail

Im Rahmen des Ministerratsvortrags vom 28.5.2018 wurden die Eckpunkte der angepeilten Neuregelung präsentiert. Sie inkludieren:

  • Eine maximale Leistungshöhe von 863 Euro für Alleinstehende pro Monat,
  • Den darin enthaltenen sogenannten Arbeitsqualifikationsbonus in der Höhe von 300 Euro,
  • Die restlichen 563 Euro können von den Bundesländern nach eigenem Ermessen auf die Leistung für den Lebensunterhalt und jene für den Wohnaufwand aufgeteilt werden.
  • Ergänzende Leistungen für weitere Erwachsene und Kinder im Haushalt, wobei für das erste Kind maximal 25 % des Alleinstehenden-Richtsatzes gezahlt werden (215 Euro), für das zweite 15 % (129 Euro) und für jedes weitere Kind nur mehr fünf Prozent (43 Euro). Paare sollen zukünftig maximal 140 % des Richtsatzes erhalten.
  • Maximal 100 Euro mehr für das erste Kind von AlleinerzieherInnen, 75 Euro für das zweite, 50 Euro für das dritte und 25 Euro für jedes weitere Kind,
  • Die Verknüpfung des Arbeitsqualifikationsbonus mit dem Erreichen des Pflichtschulabschlusses in Österreich oder, sofern dieser nicht nachgewiesen werden kann, mit Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1 (Hauptschulabschluss) oder Englischkenntnissen auf dem Niveau C1. Dazu kommen weitere Kriterien, wie Qualifizierungsmaßnahmen, eine unterschriebene Integrationsvereinbarung oder ein abgeschlossener Wertekurs.
  • Eine fünfjährige Wartefrist für EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörige, bevor sie Anspruch auf eine Leistung aus der Mindestsicherung haben.

Was bedeuten diese Regelungen im Detail? Obwohl das Gesetz noch nicht vorliegt und einige der Punkte des Ministerratsvortrags vage sind (z. B. wer ist gemeint mit „Menschen, die […] jahrelang den ihnen möglichen Beitrag für Österreich geleistet haben“?), ist das Ziel der Neuregelung offensichtlich: Es geht darum, zusätzlichen Druck auf die Schwächsten der Gesellschaft auszuüben. Dazu werden Leistungseinschränkungen für AusländerInnen vorgeschoben, um gleichzeitig die Mindestsicherung für alle zu kürzen.

Weniger Geld für alle – besonders für Kinder

Bewertet man die bereits konkretisierten Pläne, zeigt sich eine Reihe von Verschlechterungen für Betroffene:

Durch die Einführung einer festen Obergrenze von 863 Euro geraten jene Personen stark unter Druck, die aufgrund besonders hoher Wohnkosten bisher eine höhere Leistung erhalten haben. Das betrifft neben Wien vor allem Tirol, Vorarlberg und Salzburg. Daraufhin wurde seitens dieser „Westachse“ starke Kritik an den Plänen der Bundesregierung laut. In den darauffolgenden Tagen sicherte die Bundesregierung den Ländern zu, dass sie auch weiterhin die hohen Wohnkosten der Betroffenen abfedern können werden.

Ein zweiter wesentlicher Punkt ist die Schlechterstellung von Mehrkindfamilien. Sie verstärkt sich mit zunehmender Kinderzahl immer weiter. Das liegt nicht zuletzt an der in der bisherigen medialen Berichterstattung kaum beachteten Leistungskürzung für Paare. Bisher stand ihnen der 1,5-fache Alleinstehendenrichtsatz zu (= 150 %, angelehnt an die Regelung in der Pensionsversicherung). Nach den Plänen der Bundesregierung werden es zukünftig nur noch maximal 140 % sein (1.208 Euro statt 1.294 Euro). Zwar kann das erste Kind in der Mindestsicherung künftig stärker berücksichtigt werden (maximal 25 % des Richtsatzes statt bisher 18 %), die Schlechterstellung seiner Eltern ist damit aber nicht mehr ausgleichbar (siehe Tabelle). Da das zweite Kind zukünftig schlechter gestellt ist als bisher (maximal 15 % statt 18 %) und für jedes weitere nur noch maximal fünf Prozent des Richtsatzes vorgesehen sind, vergrößert sich der Unterschied mit der Anzahl der Kinder.

Während die Beträge und Richtsätze in der Mindestsicherung Neu immer als Obergrenze zu verstehen sind, sind jene der alten Mindestsicherung Untergrenzen. Das heißt, es war den Ländern bisher immer möglich, mehr auszahlen. Aufgrund dieses wichtigen Unterschieds ist es sehr wahrscheinlich, dass die Differenz zwischen bisheriger und zukünftiger Regelung noch größer ausfallen wird, als es auf den ersten Blick scheint.

Tabelle: Verschlechterungen für Familien in der Mindestsicherung Neu

Mindestsicherung altMindestsicherung neuUnterschied
Paar ohne Kindermindestens € 1.294,56höchstens € 1.208,26- € 86,30 oder mehr
Paar +1 Kindmindestens € 1.449,91höchstens € 1.424,02- € 25,89 oder mehr
Paar +2 Kindermindestens € 1.605,26höchstens € 1.553,47- € 51,78 oder mehr
Paar +3 Kindermindestens € 1.760,60höchstens € 1.596,63- € 163,98 oder mehr
Paar +4 Kindermindestens € 1.890,06höchstens € 1.639,78- € 250,28 oder mehr
Quelle: Mindestsicherung alt: HV der Sozialversicherungsträger, AK Wien; Mindestsicherung Neu: Ministerratsvortrag vom 28.5.2018; eigene Berechnungen.

Die neuen Richtsätze für Ein-Elternteil-Familien erlauben grundsätzlich zum Teil Spielraum für Verbesserungen. Alleinerziehende (hauptsächlich Frauen) sollen für ihre Kinder mehr Geld bekommen können. Das gilt aber tatsächlich nur für Länder, die für Kinder bisher sehr niedrige Leistungen vorgesehen haben, wie Niederösterreich, Oberösterreich oder Kärnten. In Wien, Tirol, Vorarlberg und Salzburg wurden bisher Kinderrichtsätze gewährt, die über jenen in der Mindestsicherung Neu liegen. Berücksichtigen müssen wir auch hier, dass es sich bei den zukünftigen Leistungen für Kinder von Alleinerziehenden um Maximalbeträge handelt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass gerade jene Länder, die Kinder schon bisher benachteiligt haben, es in der neuen Mindestsicherung anders machen werden. Sprich: Vorgaben für Maximalhöhen führen eher zu Leistungssenkungen und damit zu mehr Kinderarmut.

In welch prekärer Situation Kinder jetzt schon sind, die in Haushalten mit Mindestsicherungsbezug leben, zeigen die aktuellen Forschungsergebnisse von Statistik Austria: Diese Kinder leben viel öfter als ihre Altersgenossen in zu kleinen Wohnungen und können oft nicht an mit Kosten verbundenen Freizeit- oder Schulaktivitäten teilnehmen. Es ist für sie auch sehr oft nicht möglich, Freunde einzuladen oder neue Kleidung zu bekommen. Die Mindestsicherung Neu wird diese Situation weiter verschlimmern!

Leben mit 563 Euro im Monat

Absehbar war die Schlechterstellung von AusländerInnen. Sie sollen möglichst vom Anspruch auf die volle Mindestsicherung ausgeschlossen werden, indem er an einen österreichischen Pflichtschulabschluss gebunden wird. Personen, die keinen solchen haben, müssen Deutschkenntnisse auf B1-Niveau nachweisen oder Englischkenntnisse auf C1-Niveau. Zur Erreichung dieser Sprachkenntnisse soll ein umfassendes Kurspaket zur Verfügung gestellt werden, woran jedoch berechtigte Zweifel bestehen.

Alle, die keinen Kursplatz bekommen, weil das Angebot zu gering ist, und die deshalb die notwendigen Sprachkenntnisse nicht erlangen, erhalten lediglich eine um 300 Euro reduzierte Mindestsicherung. Von diesen verbleibenden 563 Euro wird der Großteil für Miete, Betriebskosten, Strom und Gas verwendet werden müssen. Sollten diese Kosten z.B. 400 Euro ausmachen – was leicht möglich ist –, bleiben den Betroffenen nur noch etwa 160 Euro im Monat – d. h. weniger als fünf Euro pro Tag –, um davon zu leben.

Dazu kommt, dass EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörige generell in den ersten fünf Jahren ihres rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich vom Mindestsicherungsbezug ausgeschlossen werden sein sollen. Inwieweit diese Regelungen einer verfassungs- oder europarechtlichen Anfechtung standhalten, wird von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzestexts abhängen.

Qualifizierungsanreize für MindestsicherungsbezieherInnen sucht man trotz des neuen Arbeitsqualifikationsbonus vergeblich. Die bisherige Strategie, erhebliche Ressourcen einzusetzen, um Betroffene langfristig wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, fehlt in der Mindestsicherung Neu ebenso. Offen bleibt, wie zukünftig mit österreichischen StaatsbürgerInnen ohne Pflichtschulabschluss verfahren wird. Sie werden zwar in der Regel ausreichende Deutschkenntnisse besitzen, diese aber nicht so einfach formal nachweisen können.

Fazit

Höchst unklar ist, wie die Bundesländer mit der im Ministerratsvortrag mehrfach betonten Möglichkeit umgehen werden, die angekündigte Leistungshöhe zu unterschreiten. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass jene Länder, die bisher schon einen sehr restriktiven Kurs gefahren sind, einen Betrag unter der Maximalhöhe wählen und damit bestehende Armutslagen noch verschlimmern werden.

Unklar ist auch, ob der endgültige Gesetzestext der Mindestsicherung Neu so formuliert sein wird, dass die Schlechterstellung von Nicht-ÖsterreicherInnen verfassungs- beziehungsweise europarechtlichen Anfechtungen standhält.

Weit weniger unklar ist, dass die Bundesregierung ganz offensichtlich AusländerInnen als Begründung vorschiebt, um die Mindestsicherung für alle – auch für die ÖsterreicherInnen – zu kürzen.

Und ganz klar ist, dass der Großteil der Leistungen verschlechtert und der Druck auf die Betroffenen erhöht wird. Und zwar ohne zusätzliche Qualifizierungsangebote und ohne Bekenntnis zur Arbeitsmarktinklusion. Das wird dazu führen, dass die Armutsgefährdung steigt und eine immer größere Zahl von Menschen um schlecht bezahlte, prekäre Arbeit konkurriert. Und damit wird in Zukunft auch der Druck auf die Beschäftigten steigen!