Das massive Lobbying der Energieindustrie beim Thema Wasserstoff

07. November 2022

Wasserstoff hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre von einem kaum beachteten Thema zum vermeintlichen Schlüssel der Energiewende entwickelt. Welchen Einfluss hatten Interessengruppen dabei, welche Positionen vertreten diese und wie nachhaltig ist Wasserstoff? Verschiedenste Interessengruppen mischen in der EU-Wasserstoffdebatte mit, um den Entscheidungsprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die bedingungslosen Befürworter:innen von Wasserstoff, allen voran Hydrogen Europe, Erzeuger fossiler Energie und Gasnetzbetreiber, konnten dabei viele ihrer Wünsche durchsetzen.

Wasserstoff = nachhaltig?

75 Prozent der derzeitigen EU-Treibhausgasemissionen entstehen durch die Erzeugung und Nutzung von Energie. Ein Übergang zu einem sauberen Energiesystem ist demnach unabdingbar. Wasserstoff gilt hier als Hoffnungsträger, denn er verbrennt emissionsfrei, er kann im Gegensatz zu Strom langfristig gespeichert werden und hat das Potenzial, Sektoren wie die Schwerindustrie, den Schwerlastverkehr, die Schiff- und Luftfahrt zu dekarbonisieren.Also jene Bereiche, in denen eine Elektrifizierung, soweit machbar und daher vorzuziehen, technisch unmöglich ist. Allerdings kommt Wasserstoff in der Natur nicht isoliert, sondern nur in gebundener Form vor. Um ihn also zu nutzen, müssen die Verbindungen zunächst getrennt werden. Und obwohl Wasserstoff mit erneuerbaren Energien mit erheblichen Energieverlusten erzeugt werden kann (grüner Wasserstoff), wird er derzeit zu 96 Prozent mit fossilen Energien erzeugt (grauer Wasserstoff). Fängt man dabei die entstehenden Kohlenstoffemissionen durch „Carbon Capture Storage and Utilisation“-(CCSU-)Technologien ab, spricht man von blauem Wasserstoff. Diese Technologie ist jedoch umstritten, da sie noch nicht im kommerziellen Maßstab erprobt ist und produziert wird. Zudem zeigen Studien, dass blauer Wasserstoff über die gesamte Lieferkette hinweg mehr Emissionen verursacht als die direkte Verbrennung von Erdgas.

Wasserstoff polarisiert

Das Thema Wasserstoff bewegt und spaltet die verschiedenen Interessengruppen. Während die einen in Wasserstoff den Energieträger der Zukunft sehen, warnen andere davor, dass die fossile Energiewirtschaft Wasserstoff als Chance nutzen könnte, ihr traditionelles Geschäftsmodell fortzuführen. Sie verweisen dabei auf mögliche Lock-in-Effekte von grauem oder blauem Wasserstoff.

Umwelt-NGOs und Erzeuger:innen erneuerbarer Energie sehen nur grünen Wasserstoff als Option und stellen sich eindeutig gegen blauen Wasserstoff und den Einsatz von CCSU-Technologien. Sie befürworten einzig die Verwendung von Wasserstoff in schwer dekarbonisierbaren Sektoren.

Die anderen Interessengruppen, allen voran Hydrogen Europe, Erzeuger fossiler Energie und Gasnetzbetreiber, fordern, dass sowohl grüner als auch blauer Wasserstoff zumindest in der Anfangsphase durch eine EU-Wasserstoffstrategie unterstützt wird. Weiters sehen sie einen breiteren Markt für Wasserstoff und befürworten ausdrücklich dessen Nutzung in Wohn- und Gewerbegebäuden, im Straßenverkehr und im Stromsektor.

Ungleicher Zugang zur Kommission

Da der Erfolg von Unternehmen maßgeblich davon abhängt, wie sich die Kommission zu Wasserstoff positioniert, bemühen sich Interessengruppen, den Entscheidungsprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Dabei unterscheiden sich diese erheblich im Zugang zur Kommission. So sind die Interessengruppen der Erzeuger:innen fossiler Energie und Hydrogen Europe gleich in mehreren beratenden EU-Gremien zu Wasserstoff vertreten und hatten während des Beobachtungszeitraums (Dezember 2019 bis Mai 2022) jeweils 32 und 21 Treffen mit Mitgliedern der Kommission zum Thema Wasserstoff. Im Gegensatz dazu sind Umwelt-NGOs und Produzent:innen erneuerbarer Energie nur in einem einzigen Beratungsgremium vertreten und hatten jeweils nur 13 und 12 Treffen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Ambitionierte Ziele

Obwohl Wasserstoff derzeit weniger als zwei Prozent im EU-Energiemix ausmacht, setzt die Kommission große Hoffnungen in Wasserstoff. Dies ist zum Teil der Lobbyarbeit fossiler Energiekonzerne und Hydrogen Europe geschuldet, deren permanente Bewerbung Wasserstoff prioritär auf die EU-Agenda hievte.

Im Juli 2020 stellte die Kommission die Wasserstoffstrategie samt ambitionierter Ziele vor: Bis 2024 soll die Erzeugung von grünem Wasserstoff in der EU auf 1 Mio. Tonnen und bis 2030 auf bis zu 10 Mio. Tonnen ansteigen und so fossilen Wasserstoff im großen Maß ersetzen. Die Kommission befürwortet und unterstützt eindeutig blauen Wasserstoff bis 2030, was sich auch in der Investitionsagenda der Wasserstoffstrategie klar widerspiegelt. Bezüglich der Frage, wo Wasserstoff eingesetzt werden soll, hält sich die Kommission weitgehend bedeckt. Einerseits sieht sie die Schwerindustrie und den Verkehr als die wichtigsten Endverbraucher:innen, andererseits lässt sie die Tür offen für die Nutzung von Wasserstoff bei der Beheizung von Wohn- und gewerblichen Gebäuden.

Coronakrise als Booster für Wasserstoff

Wasserstoff erfuhr auch durch NextGenerationEU, das wichtigste EU-Instrument zur Bewältigung der Coronakrise, starken Auftrieb. Die Analyse der nationalen Aufbau- und Sanierungspläne zeigt: Während einige Länder ausschließlich auf grünen Wasserstoff setzen, fokussieren andere Länder Wasserstoff aus fossilen Quellen und planen die Verwendung von Wasserstoff in Sektoren, die jedoch leicht mit erneuerbarem Strom dekarbonisierbar wären. Die prominente Stellung von Wasserstoff in den nationalen Plänen ist ganz im Sinne von Hydrogen Europe und den fossilen Energiekonzernen. Diese wurden nicht müde, Wasserstoff als doppelten Problemlöser hervorzuheben. Wasserstoff setze nicht nur die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise in Gang, er löse auch die Klimakrise.

Fazit

Die EU-Debatte zu Wasserstoff hat sich zunehmend auf die Interessen der Wirtschaft verlagert. Dabei konnten sich die bedingungslosen Befürworter:innen von Wasserstoff, allen voran Hydrogen Europe, Erzeuger fossiler Energie und Gasnetzbetreiber, dank massiven Lobbyings weitgehend durchsetzen: Wasserstoff wurde als saubere Energiequelle etabliert und auch blauer Wasserstoff wird durch die Kommission mittelfristig unterstützt. Die intensiven Austauschbeziehungen zwischen der EU-Kommission und diesen Interessengruppen legen nahe, dass ihre Einflussnahme erfolgreich war. Umwelt-NGOs und Erzeuger:innen erneuerbarer Energien waren hingegen bei der Durchsetzung ihrer Interessen weniger erfolgreich.

Warum sich die verschiedenen Interessengruppen so stark für Wasserstoff einsetzen, ist fraglich, allerdings drängt sich der Vergleich mit dem Trojanischen Pferd auf. Es bleibt zu hoffen, dass fossile Energiekonzerne Wasserstoff nicht nur in der Absicht vorantreiben, ihre Geschäftsmodelle wie bisher weiterführen zu können. So ist die Verwendung von grünem Wasserstoff in schwer dekarbonisierbaren Sektoren richtig und wichtig. Bei grauem und blauem Wasserstoff stellt sich die Situation jedoch grundlegend anders dar. Die EU darf sich nicht vom Wasserstoff-Hype der Unternehmen verleiten lassen, Wasserstoff als Allheilmittel für ein klimaneutrales Energiesystem zu halten.

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