Lehrlinge wollen in den Tourismus – werden dort aber wieder vergrault

11. November 2022

Bauberufe, Metall- und Elektroberufe oder Tourismus – das sind die Lehrberufsgruppen, für die sich besonders viele Jugendliche ganz bewusst entscheiden. Eine Sonderauswertung des vierten Lehrlingsmonitors von AK, ÖGJ und ÖGB hat gezeigt, dass gerade in diesen drei Lehrberufsgruppen zwischen 34 Prozent und 38 Prozent der Jugendlichen ihren Wunschberuf gefunden haben. Im Vergleich zum Gesamtdurchschnitt von 31 Prozent sehr gute Werte. Nur unterdurchschnittlich schneiden im Vergleich die Büroberufe ab (26 Prozent), während Lehrberufe im Handel und Verkehr nur für 17 Prozent der Befragten auch den Wunschlehrberuf darstellen.

Gefragt nach dem Wunsch, im erlernten Beruf nach Ende der Ausbildung zu verbleiben, zeigt sich allerdings ein anderes Bild. Mit rund 80 Prozent, die verbleiben wollen, haben Bauberufe, Metall- und Elektroberufe sowie Büroberufe klar die Nase vorne. Im Handel und Verkehr sind es nur 64 Prozent, im Tourismus (trotz hoher Wunschberufswerte) nur 72 Prozent. Damit liegen sie deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt von 76 Prozent. Die Gründe, warum fertig ausgebildete Lehrlinge gerade aus der Tourismusbranche vergrault werden, sind vielfältig und zeigen eine Menge hausgemachter Probleme.

Intrinsische Motivation wird ausgetrieben

Niedrige Bezahlung, Überstunden, Saisonarbeit – das sind Arbeitsbedingungen im Tourismus, welche Jugendlichen schon vor der Wahl ihres Lehrberufs bekannt sind und viele davon abhalten, sich überhaupt für eine Lehre in diesem Bereich zu entscheiden. Dementsprechend gibt es bei den Tourismus-Lehrberufen seit Jahrzehnten einen massiven Überhang an offenen Lehrstellen. Übrig bleiben jene Jugendlichen, für die Koch/Köchin oder Hotel- und Gastgewerbeassistent/in den Traumberuf darstellen. Leider wird die hohe intrinsische Motivation der Lehrlinge durch die schlechten Arbeitsbedingungen in den Ausbildungsbetrieben ausgetrieben.

So berichten fast drei von vier Lehrlingen im Fremdenverkehr von Problemen, die sie in der Ausbildung belastet haben. Ähnlich hoch sind die Zahlen im Handel und Verkehr. Im Vergleich dazu geht es den Lehrlingen in den Bauberufen sowie Metall- und Elektroberufen sehr gut, und nur wenige berichten von ernsten Problemen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Dementsprechend häufig plagen Abbruchgedanken die Lehrlinge in Tourismus und im Handel. Jeweils 54 Prozent haben schon einmal daran gedacht, ihre Ausbildung abzubrechen. Ein scharfer Kontrast, verglichen mit gerade einmal 39 Prozent in den Bauberufen, 38 Prozent in den Büroberufen oder 36 Prozent in den Metall- und Elektroberufen.

Geringe Zufriedenheit im Handel und Tourismus

Dies spiegelt sich auch in einer besonders unterdurchschnittlichen Zufriedenheit mit den Ausbildungsbedingungen wider. Während im Gesamtschnitt die befragten Lehrlinge zu 41 Prozent mit den Bedingungen sehr zufrieden waren, lag dieser Wert im Handel und Verkehr bei nur 33 Prozent; im Fremdenverkehr sogar nur bei 31 Prozent. Die Lehrlinge in den Metall- und Elektroberufen waren mit 46 Prozent bzw. in den Bauberufen mit 49 Prozent deutlich zufriedener.

Auch haben die Lehrlinge im Tourismus den Eindruck, nur unzureichend ausgebildet zu werden – lediglich 34 Prozent fühlen sich auf die spätere Arbeit als Fachkraft gut vorbereitet. Ein harter Kontrast zu den rund 48 Prozent in den Bauberufen, die sich durch ihre Ausbildung gut auf die Herausforderungen der künftigen Arbeitswelt vorbereitet fühlen.

Die Folge dieser unterdurchschnittlichen Arbeitsbedingungen sind bereits oben beschrieben – nur verhältnismäßig wenige Lehrlinge wollen nach Abschluss der Ausbildung im Handel bzw. im Fremdenverkehr bleiben.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Das Gesamtbild der betrieblichen Rahmenbedingungen (= Indexwert, errechnet auf der Basis diverser Indikatoren zur Qualität im Ausbildungsbetrieb; je höher desto besser) bestätigt, was sich in den Einzelergebnissen bereits abgezeichnet hat – während der Gesamtmittelwert der betrieblichen Rahmenbedingungen bei 73,8 liegt, erreicht der Handel hier nur 72,0; der Fremdenverkehr kommt sogar nur auf 70,1. Im Gegensatz dazu liegen die Bauberufe mit 74,3 deutlich darüber, die Büroberufe erreichen 74,8 und die Metall- und Elektroberufe kommen sogar auf 75,2.

Rahmenbedingungen verbessern statt jammern

Die Sonderauswertung des vierten Lehrlingsmonitors streicht zwischen den verschiedenen Branchen klar unterschiedliche Trends heraus – während im Handel und im Tourismus die Bedingungen mangelhaft sind, die Lehrlinge sich schlecht ausgebildet fühlen und nach der Ausbildung schnell den Beruf wechseln wollen, zeigen andere Branchen, dass es auch besser gehen kann. Gerade in den technisch anspruchsvollen Bauberufen bzw. Metall- und Elektroberufen fühlen sich die Lehrlinge nicht nur von Anfang an gut aufgehoben, sie fühlen sich auch als gut qualifizierte Fachkräfte und wollen in den erlernten Berufen bleiben.

Dies hat auch etwas mit der besseren Bezahlung in diesen Berufen zu tun, der besseren Planbarkeit der Arbeitszeiten und den langfristig guten Beschäftigungsaussichten.

Im direkten Vergleich zwischen Tourismus und Handel kann Letzterer zumindest mit stabilen Arbeitszeiten aufwarten, weshalb in den vergangenen Jahren der Andrang von Lehrstellensuchenden trotz ähnlicher Rahmenbedingungen im Handel deutlich höher war.

Tourismus-Lehrberufe stellen für viele den Wunschberuf dar – es ist also kein Imageproblem oder mangelndes Interesse der Jugendlichen, welche zum chronischen Personalmangel in dieser Branche führen. Es sind die mangelhaften Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, welche die Jugendlichen vergraulen. Wollen die Tourismus- und Gastronomiebetriebe also nicht bloß jammern, sondern tatsächlich aktiv gegen ihren hausgemachten, chronischen Fachkräftemangel etwas unternehmen, dann müssen sie bei den Bedingungen im Betrieb, der Bezahlung und den langfristigen Jobaussichten anfangen. Denn die Konkurrenz um Lehrlinge ist härter geworden. Tourismusbetriebe konkurrieren nicht bloß untereinander um die Jugendlichen, sondern auch mit den Handels- und Industriebetrieben in der näheren Umgebung, die bessere Bedingungen bieten.

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