Leben am Limit – Alltag von Alleinerzieherinnen

29. Januar 2021

Alleinerzieherinnen sind die großen Verliererinnen der Krise. Viele spüren die Folgen auf ganz harte Weise: kein Job, kein Geld, kein bis wenig Unterhalt, keine staatliche Unterstützung. Corona hat die finanziellen Probleme für viele Alleinerzieherinnen massiv verstärkt. Der Kindesunterhalt wurde bei vielen massiv gekürzt oder bleibt aus, weil Kindesväter, die die Arbeit verloren haben, nur mehr einen Teil des Unterhalts zahlen – manchmal auch, obwohl sie Vermögen haben. Aber auf das Vermögen des Geldunterhaltspflichtigen darf laut Gesetz nicht zugegriffen werden.

In Österreich gibt es laut Statistik Austria 206.500 Alleinerzieherinnen (2019), davon leben 127.000 mit Kindern unter 18 Jahren im Haushalt. Während der Anteil der Erwerbstätigen ähnlich hoch wie bei Müttern in Partnerschaften liegt, arbeiten Alleinerziehende häufiger in Vollzeit und sind auch häufiger arbeitslos. Allerdings ist bei der Interpretation zu berücksichtigen, dass Alleinerzieherinnen mit 19 Prozent seltener mit Kindern unter 6 Jahren zusammenleben als Mütter in Partnerschaften (34 Prozent). Alleinerziehende Väter machen mit 29.000 einen geringen Anteil aus, nur 10.000 davon leben mit einem Kind unter 18 Jahren im Haushalt. Da alleinerziehende Mütter die weit überwiegende Mehrheit, geht es in diesem Beitrag um Alleinerzieherinnen.

15-Stunden-Tag und trotzdem zu wenig Geld zum Leben

Eine Analyse zu den Auswirkungen der Corona-Krise hat gezeigt, dass Alleinerzieherinnen im Durchschnitt mit 15 Stunden Arbeit pro Tag die derzeit am stärksten Belasteten sind. Sie arbeiten mit rund neun Stunden Haus- und Kinderbetreuungsarbeit und zusätzlich sechs Stunden Erwerbsarbeit am meisten von allen. Berechnungen von WU und der AK zeigen, dass die unbezahlte Arbeit während des siebenwöchigen Lockdowns im Frühjahr 2020 einem Wert von fast 3.700 Euro entsprach. Die Berechnungen waren Anlass für den Verein Feministische Alleinerzieherinnen (FEM.A), der Frauenministerin eine fiktive Honorarnote für die geleistete Arbeit zu übermitteln.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Obwohl Alleinerzieherinnen besonders häufig in Vollzeit arbeiten, sind sie laut Statistik Austria mit 47 Prozent (2019) im Vergleich zu 17 Prozent bei Haushalten mit Kindern insgesamt überproportional stark von Armut und Ausgrenzung betroffen. Das bedeutet, dass die hohen Lebenshaltungskosten mit Kindern mit einem Einkommen oft nicht machbar sind.

Kontinuierliche Verschlechterung beim Kindesunterhalt

Einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Armut von Alleinerzieherinnen-Haushalten sollte der Kindesunterhalt leisten. Es gibt aber im Unterhaltsrecht seit ungefähr 20 Jahren kontinuierliche Verschlechterungen durch die Judikatur, wodurch sich derKindesunterhalt laufend verringert hat. Der Regelbedarf ist seit 50 Jahren nicht angepasst worden und daher nicht mehr zeitgemäß: Er basiert auf einer Kinderkostenstudie von 1964! Der Warenkorb hat sich seither enorm verändert. Der Regelbedarf von 1964 wird jedoch jährlich immer nur an die Inflation angepasst. Das erzeugt massive Kinderarmut. Der Regelbedarfssatz für ein 14-jähriges Kind beträgt 400 Euro. Laut einer Referenzstudie der Schuldnerberatung liegt der Bedarf eines 14-jährigen Kindes jedoch mit 840 Euro mehr als doppelt so hoch. Dem Kind fehlen also 440 Euro im Monat, um ein Leben ohne Armutsgefährdung und mit sozialer Teilhabe zu führen.

Dringend notwendig ist daher eine Kinderkostenstudie, die in einem zeitgemäßen Kindesunterhalt mündet. Es braucht eine staatliche Unterhaltssicherung, wenn der Kindesvater nicht genügend oder gar keinen Unterhalt zahlen kann oder ihn verweigert. Die durch die patriarchale Rechtsprechung festgelegten Normen müssen durch ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht für ein selbstbestimmtes und finanziell unabhängiges Leben von Müttern und Kindern abgelöst werden.

Alleinerzieherinnen haben seltener familienfreundliche Arbeitgeber

Nadja Bergmann, Lisa Danzer und Susanne Schmatz haben in einer repräsentativen Befragung zur Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung 2014 festgestellt, dass Alleinerzieherinnen mit 45 Prozent seltener gleitende Arbeitszeiten haben als Eltern in Paarbeziehungen (53 Prozent). Alleinerzieherinnen haben im Betrieb auch seltener Möglichkeiten, kurzfristig auf Kinderbetreuungsansprüche reagieren zu können: 55 Prozent der Alleinerzieherinnen und 63 Prozent der Partnerhaushalte geben an, dass sie diese Möglichkeit jederzeit haben.

Dementsprechend sind die Wünsche von Alleinerzieherinnen an den Betrieb auch ausgeprägter: 37 Prozent wünschen sich ein größeres Verständnis für Berufstätige mit Kind, 26 Prozent wünschen eine andere Gestaltung der Arbeitszeiten (bei Paaren 16 Prozent bzw. 11 Prozent).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Dass Alleinerzieherinnen, die am allermeisten auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen angewiesen sind, in der Praxis seltener bei solchen Arbeitgebern arbeiten, die ihnen entgegenkommen, ist alarmierend. Offenbar führt der ökonomische und zeitliche Druck dazu, dass bei der Auswahl des Arbeitsplatzes kaum Spielraum dafür vorhanden ist, auch solche Kriterien ins Kalkül zu ziehen.

Kinderbetreuung – der fehlende Schlüssel zu mehr Spielraum für Alleinerzieherinnen

In einer österreichweiten Online-Befragung von AK und ÖGB zu Kind & Job gaben Alleinerzieherinnen häufig an, dass die unzulänglichen Öffnungszeiten mit Zusatzkosten durch Babysitter verbunden sind. Zudem bilden sie auch eine Barriere für eine Vollzeitarbeit. Alleinerzieherinnen bemängelten insbesondere die Doppelmühle zwischen den Kosten für den Kindergarten, der Notwendigkeit mehr zu arbeiten, um sich den Kindergarten leisten zu können, und diese Kosten ohne Mehrarbeit nicht bezahlen zu können. Viele meinten, ohne Großeltern würde es nicht gehen. Sie wünschen sich längere Öffnungszeiten, volle Betreuung in den Ferien und keine Kosten.

Die Rückmeldungen spiegeln wider, vor welche Widersprüche Alleinerzieherinnen gestellt werden:

„Ich bin alleinerziehend und hetze nur vom Kindergarten zur Arbeit und wieder zurück.“

„(Der) Kindergarten für unter 5-Jährige ist voll zu zahlen. Als Alleinerziehende bin ich gezwungen, nun so viel mehr zu arbeiten, dass ich mir den Kindergarten leisten kann!“

„Ich arbeite in der Pflege, bin alleinerziehende Mutter und soll um 6 Uhr mit der Arbeit beginnen, aber wo soll das Kind hin, wenn der Kindergarten erst um 7 Uhr aufmacht?!“

Der Staat bietet Alleinerzieherinnen ohne Auffangnetz wenig strukturelle Unterstützung bei der Betreuung von Babys und Kleinkindern. Vor allem nun in der Pandemie, wo ihre Netzwerke wie Familie und Freunde ausfallen, ist das für Alleinerzieherinnen ein Riesenproblem.

Ein neues Konzept gesellschaftlicher Verantwortung für Kinder

Zu wenig Rücksichtnahme in der Arbeitswelt und Mängel beim Kinderbetreuungsangebot sowie beim Angebot von Ganztagsschulen sind eine große Last, insbesondere auf Kosten von Frauen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind nicht darauf ausgerichtet, ein eigenständiges Leben mit Kind zu führen. Während die Mehrzahl der Mütter in Partnerschaften den Weg von Teilzeit geht und ökonomische Nachteile (insbesondere auch im Alter) in Kauf nimmt, ist der Druck, ein existenzsicherndes Einkommen zu erwerben, bei Alleinerzieherinnen besonders groß.

Das Konzept der Arbeitsteilung innerhalb von Familien mit einem Ernährer mit dazuverdienender Mutter, die die Sorgearbeit für Kinder übernimmt, muss endlich abgelöst werden durch ein Konzept der gesellschaftlichen Verantwortung für Kinderbetreuung, Kinderbildung, familienfreundliche Arbeitsbedingungen und ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht. Dazu zählt ein Recht auf qualitätsvolle Kinderkrippen, Kindergärten und ganztägige Schulen, eine Verkürzung der Arbeitszeit, familienfreundliche Arbeitsbedingungen und ein existenzsichernder Unterhalt für Kinder.

Das Motto emanzipierter Familienpolitik muss sein: Eigenständige Existenzsicherung für Frauen mit Kindern ist machbar und zwar unabhängig vom privaten Netzwerk und ob sie in Partnerschaft leben oder alleinerziehend sind.

Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie weit wir von diesen Zielsetzungen noch entfernt sind. Wenn ein Virus ganze Wirtschaftsbereiche zum Stillstand bringen kann, so ist die Forderung nach familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und die Rücksichtnahme auf Betreuungspflichten ein Klacks dagegen. Auch die ausreichende Finanzierung von Kindergärten und Ganztagsschulen ist machbar. Wie schon die Bankenkrise gezeigt hat und nun noch mehr die Corona-Krise, kann der Staat enorme finanzielle Ausgaben stemmen, wenn es für notwendig erachtet wird. Ein Recht auf kostengünstige und hochwertige Kinderbetreuung, Ganztagsschulen und Unterhaltssicherung muss endlich in die Kategorie notwendige Finanzierung aufgenommen werden.

Der Titel des Blogs nimmt Bezug auf die Veranstaltung von AK, ÖGB, FEM.A und ABZ*Austria vom 1.12.2020: siehe Alleinerzieher*innen: „Wer nicht nach der Norm lebt, wird bestraft“ | Arbeiterkammer

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