Kolumbien: Kein Ende der Gewalt in Sicht

11. Januar 2019

Seit Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der kolumbianischen Regierung und der ehemaligen Guerillaorganisation FARC-EP im November 2016 tobt eine neue Welle staatlicher und parastaatlicher Gewalt gegen AktivistInnen sozialer Bewegungen. Davon sind vor allem auch Gewerkschaften betroffen.

Von 1. Jänner bis 17. November 2018 wurden in Kolumbien nach NGO-Angaben 226 AktivistInnen sozialer Bewegungen ermordet. Damit haben die Hoffnungen auf den Friedensvertrag und ein Ende der Gewalt einen herben Rückschlag erfahren.

Alle großen kolumbianischen Gewerkschaftsverbände unterstützten die Friedensverhandlungen und den Friedensvertrag mit der FARC-EP aktiv. Dies geschah insbesondere in der Hoffnung, dass durch die Beendigung der Kampfhandlungen zwischen den ehemaligen Kriegsparteien auch die Gewalt an GewerkschafterInnen und AktivistInnen anderer sozialer Bewegungen beendet werden würde.

Während die FARC-EP, unter Aufsicht der Vereinten Nationen, ihre Demobilisierung und Entwaffnung umsetzte, haben andere staatliche und nicht-staatliche Konfliktakteure den Friedensvertrag zum Anlass genommen, die Gewalt gegen AktivistInnen sozialer Bewegungen systematisch auszuweiten und zu intensivieren. Darüber hinaus gefährdet die Wahl von Iván Duque, dem politischen Ziehsohn von Álvaro Uribe und entschiedenen Gegner des Friedensprozesses, zum Präsidenten Kolumbiens das ohnehin fragile Friedensabkommen.

Im August 2017 tötete die Polizei drei Personen im Rahmen der brutalen Repression eines monatelangen Streiks von über 20.000 BergarbeiterInnen im Nordwesten Kolumbiens gegen den kanadischen Bergbaukonzern Gran Colombia Gold. Wenige Wochen später verübten Militär- und Polizeieinheiten im Südwesten Kolumbiens ein Massaker an protestierenden KleinbäuerInnen. Noch immer stürmen kolumbianische Polizei- und Militäreinheiten Dörfer in ländlichen Gebieten und morden ungestraft. Im Jahr 2018 kam es wiederholt zum Einsatz tödlicher Gewalt seitens staatlicher Sicherheitskräfte gegen protestierende Bevölkerungsgruppen.

Auch die Gewalt gegen GewerkschafterInnen reißt nicht ab. Im Jahr 2018 verzeichnete Kolumbien noch immer die weltweit höchste Mordrate an GewerkschafterInnen. Und auch die massive Straflosigkeit von Gewaltverbrechen im Allgemeinen und Gewaltverbrechen an GewerkschafterInnen im Besonderen hat sich nicht geändert.

Umkämpfter Friedensprozess

Für ein besseres Verständnis dieses gewaltförmigen „Friedens“ braucht es eine Rückblende auf die Vorgeschichte des Friedensvertrages: Im September 2016 unterzeichneten die damalige kolumbianische Regierung unter Juan Manuel Santos und die größte kolumbianische Guerillaorganisation FARC-EP nach vierjährigen Verhandlungen einen Friedensvertrag, der in einem anschließenden Referendum mit 50,21 Prozent abgelehnt wurde. Im November 2016 ratifizierte das kolumbianische Parlament schließlich den nachverhandelten Vertragstext.

Während sich wichtige Teile der wirtschaftlichen Eliten Kolumbiens, insbesondere in den kapitalintensiven Exportbranchen, durch den Friedensvertrag mehr Stabilität und Rechtssicherheit erhofften, fürchteten rechte und rechtsextreme PolitikerInnen, Militär- und Polizeiangehörige sowie zahlreiche Unternehmen und GroßgrundbesitzerInnen, die aktiv an Finanzierung und Aufbau paramilitärischer Einheiten mitgewirkt hatten, eine mögliche Strafverfolgung im Rahmen der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP). Im Rahmen der Nachverhandlungen des Vertragstextes wurden die Möglichkeit, nicht-staatliche Konfliktakteure – wie Unternehmen und Konzerne – im Rahmen der Sondergerichtsbarkeit anzuklagen, und die Verantwortlichkeit von Befehlshabern staatlicher Sicherheitskräfte ersatzlos gestrichen.

Zwar ließ der Friedensvertrag die sozioökonomische Struktur der kolumbianischen Gesellschaft, die von enormer sozialer Ungleichheit, struktureller Gewalt und einer extrem ungleichen Landverteilung geprägt ist, im Wesentlichen unangetastet. Dennoch liefen zentrale Akteure der kolumbianischen Elite Sturm gegen den Friedensvertrag. Im Rahmen eines Gipfeltreffens internationaler und kolumbianischer Unternehmen versuchte der damalige Präsident Juan Manuel Santos zugleich auch die Sorgen über einen damit verbundenen wirtschaftspolitischen Kurswechsel zu beruhigen: „Es ist wichtig, dass Sie Ruhe bewahren, denn unser Wirtschaftsmodell steht bei den Verhandlungen nicht zur Diskussion. Wir verhandeln lediglich fünf spezifische Punkte, die, sollten sie vereinbart werden, es uns in Kolumbien in Zukunft ermöglichen, zusätzlich für immer 2 Prozent mehr Wachstum zu erzielen.“

Weitere Konflikte zeichnen sich zudem im Falle eines konsequenten Vorgehens gegen die Verstrickungen zwischen Teilen des politischen Establishments und paramilitärischen Kräften ab: Anfang 2018 gab der Oberste Gerichtshof bekannt, dass ein Verfahren gegen den ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe eingeleitet wurde. Die Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit Untersuchungen über die Verstrickungen der Familie Uribe in den aktiven Aufbau paramilitärischer Strukturen. Santiago Uribe, Bruder des ehemaligen Präsidenten, ist seit 2016 wegen Mordes und Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Die Anklage ist Teil umfassender Ermittlungen gegen eine paramilitärische Einheit, die von einem Anwesen der Familie Uribe Vélez aus operiert haben soll. Mittlerweile wurden die meisten Belastungszeugen ermordet.

Zunahme sozialer und ökologischer Konflikte

Dazu kommen die stark polarisierten wirtschaftlichen Verhältnisse, die auch im Zuge des Friedensprozesses nicht neu geordnet wurden. So haben als Folge der Einbettung des kolumbianischen Entwicklungsmodells in die strukturellen Ungleichheiten des Weltmarkts auch sozial-ökologische Konflikte dramatisch zugenommen. Kolumbien zählt mittlerweile weltweit zu den Staaten mit der höchsten Anzahl an sogenannten „Umweltkonflikten“. Betroffen von der Gewalt von Großprojekten zur Rohstoffförderung sind in erster Linie kleinbäuerliche indigene und afro-kolumbianische Gemeinden (siehe „Kolumbien: Unter den weltweit „schlimmsten Ländern für erwerbstätige Menschen“). Heute sind es diese Auseinandersetzungen, die den Zusammenhang zwischen der Gewalt in Kolumbien und der strukturellen Gewaltförmigkeit des kapitalistischen Weltmarktes verdeutlichen.

Zugleich wurde in den vergangenen Jahren, auch begünstigt durch das EU-Freihandelsabkommen, die Stellung Kolumbiens am Weltmarkt als billiger Lieferant von Rohstoffen und Agrarprodukten weiter einzementiert. Hatte die EU im Jahr 2012 noch ein Handelsbilanzdefizit mit Kolumbien von € 3,1 Mrd., so verfügte sie im Jahr 2017 bereits über einen Handelsbilanzüberschuss von € 380 Mio. Dieser ökonomischen Schieflage stehen zugleich die gravierenden Leerstellen des Freihandelsabkommens mit der EU gegenüber, wenn es um die Förderung nachhaltiger Handelsbeziehungen und die tatsächliche Sanktionierbarkeit der Verletzung von Sozial- und Umweltstandards geht. In diesem Zusammenhang warnt auch der Forschungsdirektor des kolumbianischen Gewerkschaftsinstituts ENS vor der bevorstehenden endgültigen Ratifikation des Abkommens durch Österreich.