Mit Klimaklagen den Umbau erkämpfen?

10. Oktober 2024

Bis vor wenigen Jahren waren Klimaklagen ein weitgehend unbeachtetes Phänomen. Heute sind sie hingegen fixer Bestandteil des Repertoires zivilgesellschaftlicher Bemühungen im Kampf gegen die Klimakrise. Spektakuläre Fälle wie die Schweizer KlimaSeniorinnen oder die Klage gegen den Ölkonzern Shell sorgten weltweit für Schlagzeilen. Könnten Klimaklagen auch ein Instrument für die Arbeitnehmer:innenvertretung im Kampf für den sozialen und ökologischen Umbau sein?

Strategische Prozessführung: ein altbewährtes und erfolgreiches Konzept

Wie andere Formen der strategischen Prozessführung verfolgen Klimaklagen eine simple Idee: Durch einen juristischen Sieg im Einzelfall sollen gesamtgesellschaftliche Änderungen – in diesem Fall mehr Klimaschutz – angestoßen werden. Zu unterscheiden sind Klimaklagen, die sich gegen Staaten richten, um stärkere Klimaschutzmaßnahmen einzufordern, und zivilrechtliche Klimaklagen, mit denen Unternehmen für ihr klimaschädliches Handeln haftbar gemacht werden sollen.

Obwohl Klimaklagen aus unterschiedlichen Gründen teils sehr kritisch gesehen werden, zeigt sich, dass sie durchaus erfolgreich sind. So mussten etwa die Niederlande aufgrund einer Klage der NGO Urgenda ihr Emissionsreduktionsziel bis 2020 von 17 auf 25 Prozent erhöhen. In Deutschland wurden durch eine Klage mehrerer Jugendlicher und junger Erwachsener Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes aufgehoben, da sie laut Bundesverfassungsgericht grundgesetzwidrig waren. Folge davon war auch hier eine deutliche Anhebung der Treibhausgasemissionsreduktionsziele.

Der Erfolg von Klimaklagen misst sich aber nicht allein an deren juristischen Siegen. Auch jene Fälle, die vor Gericht scheiterten, führten zu teils sehr breiter medialer Berichterstattung und brachten somit das Thema Klimaschutz immer wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, was auch den damit zusammenhängenden Druck auf politische Verantwortungsträger:innen verstärkte.

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Ein Menschenrecht auf Klimaschutz

Einen Meilenstein für Klimaklagen stellt der erst Anfang dieses Jahres vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschiedene Fall des Vereins Schweizer KlimaSeniorinnen gegen die Schweiz dar. Denn das Höchstgericht erkannte erstmals eine menschenrechtliche Verpflichtung der Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zum Schutz von Betroffenen vor den Folgen der Klimakrise an. Kurz gesagt ist Klimaschutz nach dem EGMR daher ein Menschenrecht.

Hintergrund dieses Verfahrens war die Beschwerde einer Gruppe älterer Frauen sowie des Vereins „KlimaSeniorinnen Schweiz“, der die Interessen von über 2.500 Frauen im Pensionsalter vertritt. Die Klägerinnen argumentierten, dass sie als ältere Frauen besonders stark von den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise betroffen seien, weshalb die Schweiz stärkere KIimaschutzmaßnahmen in Einklang mit den Zielen des Pariser Übereinkommens ergreifen solle. Sie hatten zunächst versucht, ihr Anliegen innerstaatlich geltend zu machen. Nachdem dieser Weg aber in allen Instanzen erfolglos blieb, wandten sich die Seniorinnen schließlich an den EGMR. Der Gerichtshof nutzte den Fall, um erstmals ausführlich die menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erläutern, die sich aus der EMRK im Zusammenhang mit der Klimakrise ergeben. So folge aus Art 8 EMRK, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, ein Anspruch auf wirksamen Schutz durch staatliche Behörden vor den schwerwiegenden negativen Auswirkungen der Klimakrise auf das Leben, die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität. Die Vertragsstaaten seien verpflichtet, einen Regelungsrahmen zu schaffen, der die Klimakrise und ihre Folgen eindämmt. Gleichzeitig betonte der EGMR jedoch, dass den Mitgliedstaaten bei der Wahl der konkreten Maßnahmen ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe. Die Schweiz habe diesen Spielraum jedoch durch unzureichende Klimaschutzmaßnahmen überschritten.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass der EGMR lediglich die Beschwerde des Vereins als zulässig anerkannte, jene der einzelnen Frauen hingegen nicht. Diese Einschränkung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die EMRK keine Popularklagemöglichkeit, also die uneingeschränkte Klagemöglichkeit eines jeden bzw. einer jeden vorsieht. Vereine, die sich im Bereich des Klimaschutzes und der Menschenrechte engagieren, dürfen die Interessen ihrer Mitglieder und anderer Betroffener aber vertreten und entsprechend gerichtlich einfordern. Dieses Beschwerderecht von Vereinen ist ein Novum in der Rechtsprechung des EGMR und ebnet den Weg für weitere Klimaklagen.

Darüber hinaus stellte der Gerichtshof eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK fest, da den KlimaSeniorinnen in der Schweiz keine ausreichenden Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung standen. Nachdem der Rechtsschutz gegen mangelnde Klimaschutzmaßnahmen in zahlreichen Staaten sehr eingeschränkt ist, ist auch diese Feststellung des Gerichtshofs wegweisend und führt zu weiterem politischem Druck auf die Vertragsstaaten.

Ein Instrument für die Arbeitnehmer:innenvertretung?

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, inwieweit auch AK, Gewerkschaften und ÖGB Klimaklagen für ihre Mitglieder nutzen könnten, die, wie etwa Bauarbeiter:innen und Pfleger:innen, besonders von der Klimaerhitzung betroffen sind.

Denn die Klimakrise ist zuvorderst auch eine Gerechtigkeitskrise. Jene, die am meisten dazu beitragen, sind am wenigsten betroffen und können sich am besten schützen. Dies hat unter anderem der Ökonom Lucas Chancel sehr eindrücklich nachgewiesen. Soll der soziale und ökologische Umbau gelingen und die Klimakatastrophe verhindert werden, bedarf es schnellstmöglicher Maßnahmen zur tiefgreifenden Umgestaltung unserer Lebens- und Produktionsweise. Hier könnten Klimaklagen einen Anstoß geben und weiter Druck auf politisch Verantwortliche ausüben.

Eine genaue Betrachtung der Entscheidung des EGMR zeigt, dass der Gerichtshof Interessenvertretungen wie die Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaften nicht vor Augen hatte, als er seine Entscheidung getroffen hat. Ein Verband muss nach seiner Auslegung nämlich das satzungsmäßige Ziel haben, Menschenrechte gegen klimakrisenbedingte Bedrohungen zu verteidigen. Dieses Erfordernis können weder AK noch Gewerkschaften unmittelbar erfüllen. Darüber hinaus ist die Entscheidung des Gerichtshofs vor dem Hintergrund der Entwicklungen zur sogenannten Aarhus-Konvention zu sehen, die die Beteiligung der Öffentlichkeit an Umweltverfahren zum Ziel hat. Aufgrund dieses völkerrechtlichen Vertrags haben Umweltschutzorganisationen in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle in Umweltverfahren erlangt. Dabei handelt es sich aber grundsätzlich um NGOs, die sich primär dem Umweltschutz verschrieben haben. Aufgrund der bisherigen Judikatur erscheint es daher unwahrscheinlich, dass der EGMR in ähnlich gelagerten Fällen wie dem der KlimaSeniorinnen die AK oder eine Gewerkschaft als beschwerdelegitimiert anerkennen würde. Die Judikatur des EGMR kann allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Eine weitergehende Entscheidung ist daher nicht ausgeschlossen.

Auch innerstaatlich ist eine Klimaklage, mit der die gesamtstaatliche Klimapolitik gerichtlich überprüft werden soll, eher schwierig. Dies gilt nicht nur für AK und Gewerkschaften. Der Zugang zum Verfassungsgerichtshof ist grundsätzlich sehr eingeschränkt, weshalb auch die bisherigen Klimaklagen in Österreich gescheitert sind. Für eine Überprüfung der gesamten Klimapolitik, wie sie der EGMR vorgenommen hat, hätte der Verfassungsgerichtshof außerdem keine Kompetenz. Hier wird sich der Gesetzgeber angesichts der Entscheidung des EGMR aber wohl etwas überlegen müssen, wurde die Schweiz doch gerade wegen solch mangelnder Überprüfungsmöglichkeiten verurteilt.

Unabhängig davon gibt es aber durchaus Bereiche, in denen sowohl die AK als auch die Gewerkschaften eine aktive Rolle in der klimabezogenen strategischen Prozessführung einnehmen könnten. Zu denken ist hier insbesondere an Verfahren im Zusammenhang mit Anpassungsmaßnahmen an die Klimakrise. So macht etwa die durch die Klimakrise immer häufiger und stärker werdende Hitze für sehr viele Arbeitnehmer:innen das Arbeiten zunehmend zur extremen Belastung: Körperliche Schwerstarbeit bei 32 °C und mehr sind keine Seltenheit. Auch hitzebedingte Todesfälle sind in regelmäßigen Abständen zu beklagen. Nichtsdestotrotz fehlt ein entsprechender Regelungsrahmen, der Arbeitnehmer:innen vor diesen Gefahren schützt. Bislang geltende Regelungen sind völlig unzureichend, da sie etwa keine zwingende Freistellung bei extremen Temperaturen vorsehen. Trotz entsprechender Forderungen seitens der Arbeitnehmer:innenvertretungen scheint der politische Wille für Abhilfemaßnahmen zu fehlen. Hier ergibt sich jedenfalls ein Ansatzpunkt für Klimaklagen, die auf Anpassungen an die Klimakrise abzielen. Denn es scheint äußerst zweifelhaft, dass dieser fehlende Regelungsrahmen zum Schutz vor Hitze am Arbeitsplatz mit dem Recht auf Leben nach Art 2 EMRK sowie mit dem bereits erwähnten Art 8 EMRK, der auch einen gewissen Gesundheitsschutz gewährleistet, vereinbar ist. Natürlich wäre auch hier die konkrete Beschwerdelegitimation im Einzelfall zu prüfen. AK und Gewerkschaften könnten ihren Mitgliedern in entsprechenden Verfahren aber jedenfalls eine hilfreiche und starke Stütze sein.

Fazit

Wenngleich die Möglichkeiten eingeschränkt scheinen, sollten Klimaklagen als Instrument der Arbeitnehmer:innenvertretung im Kampf um einen sozialen und ökologischen Umbau nicht außer Acht gelassen werden. Mitunter ergeben sich Chancen für Erfolge, die zuvor aussichtslos erschienen. Auch die Entscheidung des EGMR im Fall der Schweizer KlimaSeniorinnen hat für eine große Überraschung gesorgt, die von vielen Expert:innen so nicht erwartet wurde.

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