Österreich kämpft seit Jahren gegen die Lkw-Lawine auf den Autobahnen. Und scheitert dabei kläglich. Auf der Strecke bleiben sprichwörtlich Umwelt, Autobahn-Anrainer:innen und Berufslenker:innen. Eine neue AK-Studie zeigt exemplarisch bestehende Mängel bei den gesetzlich vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeiten für Lkw auf. Es sind schlicht klare Vorschriften und Kontrollen, die es der Frächter-Lobby und dem Lkw-Transit ziemlich leicht machen.
Worum gehtʼs?
Geschwindigkeit ist ein wichtiger Faktor im Verkehr. Je schneller gefahren wird, desto größer sind die Auswirkungen von Verkehrsunfällen, umso höher sind die CO2-Emissionen und die Lärmbelastung. Nicht umsonst gilt auf Autobahnen für Lkw ab 3,5 Tonnen höchstzulässigem Gesamtgewicht tagsüber Tempo 80 und ab 7,5 Tonnen nachts Tempo 60. Diese Fahrzeuge müssen außerdem mit Geschwindigkeitsbegrenzern technisch so ausgerüstet sein, dass sie nicht schneller als 90 km/h fahren können.
Jährlich werden auf Österreichs Autobahnen vier Milliarden Kilometer von Lkw zurückgelegt. Zwei Drittel davon stammen von ausländischen Unternehmen, die im Transit durch Österreich fahren oder „steuerschonend“ nicht in Österreich gemeldet sind. Die Arbeiterkammer (AK) hat daher das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) beauftragt, im Autobahnnetz mit freundlicher Unterstützung der ASFINAG die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten manuell mit Radarmessgeräten zu erheben. Erhoben wurde die Geschwindigkeit repräsentativ an fünf Messstellen in Dobl (A 2), Hallein (A 10), Mannswörth (A 4), St. Florian (A 1) und Wörgl (A 12). In den Nachtstunden wurde zusätzlich erstmals in Österreich die Geschwindigkeit aller „Lkw-ähnlichen Fahrzeuge über 3,5 Tonnen höchstzulässigem Gesamtgewicht“ mittels spezieller Gerätschaft der ASFINAG erfasst.
Lkw-Höchstgeschwindigkeiten: Überschreitungen sind der Regelfall
Das Ergebnis der Untersuchung spricht Bände: Im Durchschnitt überschreiten 93 Prozent aller Lkw tagsüber die zulässige Höchstgeschwindigkeit und 15 Prozent aller Lkw sind sogar mit über 89 km/h unterwegs. Eigentlich dürfte aber ein Lkw überhaupt nicht schneller als 90 km/h fahren, so regelt es die EU-Gesetzgebung, außer sein Geschwindigkeitsbegrenzer ist manipuliert. Aufgrund der unterschiedlichen Gewichtsbeschränkungen in den Nachtstunden und anderer Fahrzeugkategorien über 3,5 Tonnen, wie Kleintransporter oder Wohnmobile, lassen sich die Überschreitungen nicht so genau auf die Lkw herunterbrechen. Tendenziell ist aber davon auszugehen, dass nachts höhere Geschwindigkeiten gefahren werden als tagsüber.
Unklare Gesetzesvorschriften: Geschwindigkeitsüberschreitungen sind Kavaliersdelikte für die Bundesregierung!
Bis heute ist gesetzlich nicht festgelegt, ab welcher Geschwindigkeit die Behörde eine Geschwindigkeitsüberschreitung ahnden muss. In ihren Dienstanweisungen haben sich neben technisch bedingten Toleranzen bei Messgeräten auch andere, völlig intransparente „Toleranzen“ ohne gesicherte Rechtsgrundlage eingeschlichen. Entsprechend „kulant“ fällt die Strafe aus: Erst ab 95 km/h wird geahndet!
Regierung und Behörden vergeben leichtfertig klimafitte Maßnahme
Gleiten statt Rasen gilt in Sachen Klima nicht nur für den Pkw, sondern auch für den Lkw. Der Luftwiderstand treibt auch beim Lkw den Kraftstoffverbrauch in die Höhe. Für die Studie wurden von der Forschungsgesellschaft für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik mbH (FVT) der TU Graz erstmals Emissionsfaktoren entwickelt, die das Ausmaß dieser zusätzlichen Emissionen auf unseren Autobahnen aufzeigen. Hielten sich alle Lkw tagsüber strikt an Tempo 80 und nachts an Tempo 60, könnten rund 200.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Das entspricht in etwa dem Jahresausstoß einer Kleinstadt wie Schwechat oder von rund 10.000 Pkw in Österreich mit einer durchschnittlichen Jahresfahrleistung.
Geschwindigkeitsübertretungen bei Lkw = erhöhte Lärmbelästigung
Überhöhte Geschwindigkeiten sind auch bei Lärm relevant, der die Lebensqualität der Bürger:innen beeinträchtigt. In sozialer Hinsicht ist er besonders problematisch. Denn eine Wohnumgebung, die Ruhe und Erholung ermöglicht, ist schlicht nicht für jeden leistbar.
Die Zahl derer, die laut österreichischer Lärmkartierung entlang von Autobahnen (ohne städtische Ballungsräume) 24 Stunden gesundheitlich beeinträchtigt sind, beträgt knapp 200.000 Menschen. In den Nachtstunden sind sogar rund 260.000 Menschen davon betroffen. Diese Kennziffern beruhen aber auf der rechtlichen Fiktion, dass die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit eingehalten wird.
Die AK-Studie zeigt auf: Bezogen auf den Emissionspegel ergibt das bei der strikten Einhaltung von Tempo 80 eine Minderung von 0,7 Dezibel(A) (= Maßeinheit des Schalldruckpegels, umgangssprachlich auch Geräuschpegel). Lärmakustisch entspricht das für Autobahnanrainer:innen einer Minderung des Fahrzeugaufkommens um 15 Prozent. Bei strikter Einhaltung von Tempo 60 beträgt die Reduktion sogar 2,5 Dezibel(A). Dies entspricht lärmakustisch einer Reduktion des Fahrzeugaufkommens um fast die Hälfte.
Mitverantwortung durch Sozialdumping: Frächter:innen in die Pflicht nehmen
Geschwindigkeitsüberschreitungen von Lkw sind auch eine Folge prekärer Arbeitsbedingungen auf der Straße. Termindruck durch Frächter:innen, skandalös niedrige Löhne und die Bezahlung nach gefahrenen Kilometern treiben die Berufslenker:innen förmlich in die Gesetzesübertretung. Einen wirtschaftlichen Vorteil haben die Berufslenker:innen davon aber nicht. Würde die Frächterlobby die Geschwindigkeitsvorschriften ernst nehmen, hätte sie den Geschwindigkeitsbegrenzer im Lkw freiwillig auf 80 km/h eingestellt. Rechtlich werden aber die Berufslenker:innen und nicht die Unternehmer:innen bei Geschwindigkeitsübertretungen bestraft. Hier muss die soziale Schieflage in der Straßenverkehrsordnung beseitigt werden.
Vier konkrete Vorschläge, damit die Lkw in Zukunft langsamer unterwegs sind:
1) Neuregelung der Straßenverkehrsordnung (StVO)
Zulassungsbesitzer:innen – und nicht Berufslenker:innen – müssen bei Kraftfahrzeugen über 3,5 Tonnen Gesamtgewicht für Geschwindigkeitsübertretungen die Strafe zahlen. Es ist schließlich der Termindruck durch das Unternehmen, der Berufslenker:innen in die Übertretung treibt.
2) Toleranzen abschaffen
Im digitalen Zeitalter kann viel genauer gemessen werden, als es die veralteten Vorschriften in Kraftfahrzeuggesetz (KFG), Straßenverkehrsordnung (StVO) und Dienstanweisungen für Vollzugsbehörden zulassen. Eine maximale Toleranz von 3 km/h ist daher völlig ausreichend. Hier braucht es dringend eine klare Festlegung im Gesetz.
3) Lkw-Kontrollen mit Biss
Vollzugsbehörden brauchen mehr Personal, klare Dienstvorschriften und geeignete Geräte. Derzeit fehlt es vor allem an Kontrollgeräten, die manipulierte Lkw schnell und einfach erkennen können.
4) EU-Harmonisierung bei Geschwindigkeitsbegrenzern in Lkw
Geschwindigkeitsbegrenzer müssen einheitlich auf 80 km/h festgelegt werden. Dann fahren alle Lkw automatisch Tempo 80 und das Problem ist vom Tisch. Denn 21 von 27 Mitgliedsstaaten haben eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h vorgeschrieben.