Ehemals kolonialisierte Gebiete verzeichnen ungleich höhere durch die Klimakrise verursachte Verluste und Schäden als ehemalige Imperial- und Kolonialmächte, die zu großen Teilen für die globale Erderwärmung verantwortlich sind. Dieser Prämisse folgend, wurde ein Fonds eingerichtet, der vor allem Entwicklungsländern und kleinen Inselstaaten bei Verlusten und Schäden unter die Arme greifen soll. Doch wer zahlt, wie viel, an wen und was sind überhaupt klimakrisenbedingte Verluste und Schäden?
Klimakrisenbedingte Verluste und Schäden oder Loss and Damage
2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messgeschichte. Die weltweite Durchschnittstemperatur stieg um 1,45 °C und lag somit nur knapp unter dem im Rahmen der Pariser Klimakonferenz gesetzten Ziel, den Temperaturanstieg unter 1,5 °C zu halten. Dürren, Überschwemmungen, großflächige Waldbrände und der Anstieg des Meeresspiegels führen weltweit zu immer mehr Verlusten und Schäden.
Die Welt der Klimapolitik ist geprägt von zahlreichen Begriffen und Abkürzungen, die für die breite Öffentlichkeit außerhalb klimapolitischer Debatten kaum transparent sein kann. Geht es um die Begriffe „Loss and Damage“, ist eine gewisse Ahnungslosigkeit, unabhängig vom Informationsstand, allerdings vorprogrammiert. Denn es gibt keine offizielle Definition von „Loss and Damage“. In den politischen und wissenschaftlichen Debatten um die internationale Klimapolitik, den internationalen Climate-Governance-Strukturen und in der einschlägigen Fachliteratur können jedoch folgende Aussagen über klimabedingte Verluste und Schäden getroffen werden.
- „Loss“ umschreibt klimakrisenbedingte Verluste, z. B. von Menschenleben, Flora und Fauna, von Land, Wasserquellen, Ökosystemen, Kulturerbe und Sprachen.
- „Damage“ umschreibt klimakrisenbedingte Schäden, z. B. Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit, Böden, Straßen, Schulen, Häuser, Gesundheitszentren und Unternehmen.
Unterschieden wird zudem zwischen wirtschaftlichem und nicht-wirtschaftlichem „Loss and Damage“.
- „Wirtschaftliche“ (economic) Verluste und Schäden sind jene, die sich mit einem Geldwert beziffern lassen. Als Beispiel kann der Skitourismus in Österreich herangezogen werden, der einen wichtigen Wirtschaftszeig darstellt. Trotz künstlicher Beschneiung, die auch hohe Emissionen verursacht, kämpfen immer mehr Skigebiete mit Schneeknappheit. Das hat direkte Auswirkungen auf den Skitourismus und somit auf die Wirtschaft in der Region.
- „Nicht-wirtschaftliche“ (non-economic) Verluste und Schäden sind dagegen jene, die sich mit keinem Geldwert beziffern lassen, so z. B. die kulturelle Identität. Bleiben wir beim selben Beispiel, so kann das Skifahren in Österreich als kulturelle und identitätsstiftende Praxis gewertet werden, deren Verlust auch zu einem Schaden an der kulturellen Identität der lokalen Bevölkerung führt und gerade in der Repräsentation nach außen nicht durch eine andere Sportart, z. B. Fußball, ausgeglichen werden kann. Immer mehr Menschen können sich das Skifahren in Österreich nicht leisten, durch die Klimakrise verschärft sich diese Lage zunehmend.
Geläufig ist zudem, zwischen „unvermeidbaren“, „vermeidbaren“, „nicht vermiedenen“ und „vermiedenen“ Verlusten und Schäden zu unterscheiden. Ob Schäden oder Verluste in eine dieser Kategorien fallen, muss zudem von den betroffenen Staaten nachgewiesen werden. Hier setzt unter anderem das Santiago Network an, um Staaten im Bereich der Technologie und Forschung zu unterstützen. Werden die ersten Gelder aus dem Fonds ausgeschüttet, kann die Bemessungsgrundlage weiter definiert werden.
Internationale Klimafinanzierung – ein Nord-Süd-Verhältnis
Die ersten Forderungen nach finanzieller Absicherung für Staaten, die von steigendem Meeresspiegel, Dürren oder Hochwasser und damit von „Loss and Damage“ betroffen sind, reichen ins Jahr 1991 zurück. Ihre formelle Umsetzung wurde nach über 30 Jahren erst 2022 bei der 27. Weltklimakonferenz (COP27) eingeleitet. Die Frage der Kompensation von Verlusten und Schäden durch Staaten mit historisch hohen Emissionen führt zu Konflikten zwischen ehemals kolonialisierten Staatsgebieten und ehemaligen Kolonialmächten. Die Frage der Gerechtigkeit und der historischen Verantwortung ist zwar relevant und verdeutlicht die Auswirkungen des Kolonialismus auf die gegenwärtige Klimakrise, kann aber dazu verleiten, Forderungen zu stellen, die sich im Rahmen gegenwärtiger Institutionen neoliberaler Klima-Governance nicht bearbeiten lassen.
So sprechen sich Repräsentant:innen der USA, Großbritanniens und Irlands gegen „Reparationszahlungen“ und gegen eine Haftpflicht aus, sprechen aber lieber von Klimagerechtigkeit. Dass Verluste und Schäden auch keine offizielle Definition haben, erlaubt eine gewisse Flexibilität in der Auszahlung der Gelder. Jedenfalls handelt es sich dabei aber nicht um Reparationszahlungen im Sinne einer historischen Wiedergutmachung. Die Rahmenbedingungen spiegeln in erster Linie die Interessen der Geberländer wider, die sich wie ein roter Faden durch die Klimafinanzstruktur ziehen.
Der Fonds selbst ist in die internationale Klimafinanzierung eingebettet. Durch die im Pariser Klimaabkommen festgelegten Bestimmungen sind Forderungen nach Ausgleichszahlungen für geschädigte Länder nicht rechtlich bindend. In den Verhandlungen zum „Loss and Damage Fund“ ist kein Finanzierungsziel festgelegt, und die Länder, die nach dem Verursacherprinzip dazu angehalten sind zu zahlen, sind nicht verpflichtet, diesem Aufruf nachzukommen. Für die kommenden vier Jahre wird der „Loss and Damage Fund“, unter Aufsicht eines Gremiums des Pariser Klimaabkommens, von der Weltbank verwaltet.
Bis zum Erscheinen dieses Artikels wurden insgesamt 700 Millionen Euro in den „Loss and Damage Fund“ einbezahlt. Dies entspricht etwa 0,2 Prozent der benötigten Finanzierungsmittel von 400 Milliarden pro Jahr, wobei auch dies nur eine Schätzung ist und je nach Definition von „Loss and Damage“stark variieren kann. Dieses Finanzierungsziel könnte durch die Besteuerung von Ölfirmen und Industrien mit hohen Treibhausgasemissionen relativ schnell erzielt werden, und dies ohne große negative Auswirkungen auf Profite.
Österreich kündigte an, sich mit 50 Millionen Euro an dem Fonds für Verluste und Schäden zu beteiligen. Im Rahmen der internationalen Klimafinanzierung – noch ohne Gelder für Verluste und Schäden – zahlte Österreich im Jahr 2022 494,87 Millionen Euro, wobei 82 Prozent aus öffentlichen und 18 Prozent aus privaten Mitteln finanziert wurden. Diese Gelder werden nach Richtlinien vergeben, die gewährleisten sollen, dass das Geld in Projekte fließt, die den Kategorien Klimaanpassung und Reduktion von Treibhausgasen entsprechen. Das Geld wird unter anderem durch staatlich angebundene Akteure wie die Austrian Development Agency und durch internationale Organisationen wie den Green Climate Fund verwaltet.
Mitten in der Sintflut – Solidarität statt Mitleid
Klimakrisenbedingte Verluste und Schäden wurden lange aus dem kollektiven Bewusstsein verbannt und drohen nun durch intransparente Prozesse und leere Floskeln zu einem weiteren Krisen- und Katastrophennarrativ zu verkommen. Realistische und umsetzbare Lösungen existieren, benötigen aber statt Mitleid globale und solidarische Lösungen.
Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist die Grundvoraussetzung, um Verluste und Schäden, vor allem im globalen Süden, zu begrenzen. Die global ungleiche Verteilung von Verlusten und Schäden geht einher mit einer ungleichen Verteilung von Reichtum und Macht. Die Tatsache, dass ehemals kolonialisierte Länder in der Klimakrise um ein Vielfaches gefährdeter sind als ehemalige imperiale und koloniale Mächte, weist darauf hin, dass sich die frühere koloniale und imperiale Bereicherung in Form von Enteignung, Ausbeutung und Genozid als klimawandelbedingte Gewalt fortschreibt.
Verluste und Schäden lassen sich für einen selbst leichter verkraften, wenn sie in unbekannter und weiter Ferne liegen, egal ob durch die Klimakrise verursacht oder nicht. Die Erzählung, dass klimabedingte Verluste und Schäden „nur“ im globalen Süden unvermeidbar sind, normalisiert die vermeidbare Vernichtung von Leben „andernorts“. Dieses Narrativ knüpft dort an, wo hungernde Menschen aus „Krisen- und Katastrophengebieten“ lediglich als namenlose Gestalten hiesige Werbeplakate für humanitäre Zwecke zieren. Dass klimabedingte Verluste und Schäden auch den globalen Norden vor große Herausforderungen stellen, ist klar. Sie ließen sich aber zumindest jetzt noch durch adäquate und solidarische Finanzierungsmittel begrenzen, aber auch das darf nicht auf Kosten jener geschehen, die die historischen kolonialen und imperialen Lasten tragen.
Der „Loss and Damage Fund“ muss weiterhin beobachtet werden, gerade wenn es darum geht, ob die Gelder dort ankommen, wo sie benötigt werden. Die knapp 700 Millionen, die bis jetzt eingezahlt wurden, stellen lediglich einen Tropfen auf einen immer heißer werdenden Stein dar. Neben einem gerechten Übergang hin zu einer globalen klimagerechten Wirtschaft und Gesellschaft (Global Just Transition) müssen vor allem Konzerne zur Verantwortung gezogen werden. Nicht nur der strukturelle soziale und ökologische Umbau ist notwendig, um Klimakatastrophen zu verhindern. Es muss auch ein Umdenken jenseits von Almosen für „die Verdammten der Erde“ stattfinden, da ein solches Narrativ zu einer Entfremdung und Entsolidarisierung führt, die leicht in eine Ohnmacht kippt. Denn die Interessen lohnarbeitender Menschen weltweit ähneln sich mehr als die Interessen von Lohnarbeiter:innen und Kapitalist:innen innerhalb eines Staates.