Kein Wandel durch Handel: Der Fall Südkorea zeigt, wie zahnlos Nachhaltigkeitskapitel sind

17. Februar 2020

ArbeitnehmerInnenrechte und Umweltstandards spielenin der Handelspolitik der Europäischen Kommission noch immer eineuntergeordnete Rolle. So lautet das Fazit mit Blick auf die Handelsabkommen derletzten Dekade – und das, obwohl seit dem Vertrag von Lissabon von einer neuen Generationvon Abkommen die Rede ist. Sichtbar wird das vor allem an der mangelhaften Verbindlichkeitder entsprechenden Klauseln in Handelsabkommen. Wo es um ArbeitnehmerInnenrechteund Umweltstandards geht, gilt offenbar nach wie vor eine „Nice-to-have“-Mentalität.

Große textliche Ambitionen im Handelsabkommen EU–Südkorea

Der Fall des Abkommens zwischen derEuropäischen Union und Südkorea zeigt unmissverständlich, wie ineffizient undzögerlich die Europäische Kommission Verstöße gegen ArbeitnehmerInnenrechte inPartnerländern adressiert. Hintergrund ist ihr selbstgewählter Ansatz dersanktionslosen Streitbeilegung, eine Methodik, die progressive Kräfte imeuropäischen Parlament seit Jahren kritisieren.

Die Republik Südkorea ist einer der weltweitwichtigsten Produzenten von Elektronikprodukten. Angesichts des europäischenTechnologiehungers ist es nicht weiter überraschend, dass die Kommissionbereits im Jahr 2011 ein Freihandelsabkommen mit Südkorea abschloss. Passendzum eigenen Narrativ von der Parallelität des Handels mit sozialer undökologischer Nachhaltigkeit, lobte der damalige Handelskommissar Karel De Guchtdas Abkommen als ambitioniertestes, das die EU je abgeschlossen habe, und bezogsich dabei unter anderem auf die beschlossenen Klauseln zu ArbeitnehmerInnenrechtenund Umweltstandards.

Ein Blick auf diese Klauseln zeigt, dass die koreanischeRegierung darin zusichert, die bis dato nicht ratifizierten Kernarbeitsnormender Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zu respektieren, zu fördern undumzusetzen. Zu den Kernnormen gehört bekanntermaßen auch dieVereinigungsfreiheit. Für den Fall, dass eine Partei gegen die gegenseitigenZusicherungen im Bereich der ArbeitnehmerInnenrechte und Umweltstandards verstößt,wurde ein Streitbeilegungsmechanismus vereinbart. Dieser siehtRegierungskonsultationen und ExpertInnendiskussionen vor und endet mit derVeröffentlichung eines Expertenberichts. Am Beispiel Südkoreas zeigt sichjedoch aufs Dramatischste, wie wirkungslos der Mechanismus ist.

Keine Ambitionen in der Umsetzung von Arbeitsstandards

In scharfem Kontrast zu den Zusicherungen derkoreanischen Regierung stand ihr Verhalten. Zu Beginn des Jahres 2016 wurdebekannt, dass infolge eines öffentlichen Protestes gegen die Aufweichung vonArbeitnehmerrechten im Rahmen einer Reform der Regierung Park Geun-hye derGewerkschaftsführer Han Sang-gyun verhaftet worden war. Die Generalsekretärinder Gewerkschaft Lee Young-joo entkam einer Festsetzung nur vorübergehend,indem sie in den Geschäftsräumen der Gewerkschaft KCTU Schutz suchte, bevor sieschließlich im Dezember 2017 ihren selbst auferlegten Hausarrest verließ undebenfalls verhaftet wurde. Die Verfolgung der Gewerkschafter*innen wurde damit begründet,dass sie einen angeblich gewaltsamen Protest organisiert hätten. Tatsächlichhatten die circa 100.000 Demonstrierenden wohl vor allem den Verkehr behindertund sich Anweisungen der Polizei widersetzt. Spätestens mit diesem Schritt tratdie koreanische Regierung die zugesicherten Kernarbeitsnormen, derenRatifizierung bis heute aussteht, mit Füßen.

Dennoch kam man in der EuropäischenKommission nicht selbst darauf, den Vertragspartner auf seinen Verstoß gegendas Abkommen aufmerksam zu machen. Stattdessen forderten die Abgeordneten desEuropäischen Parlaments im Mai 2017 die Kommission über den formellen Weg einesImplementierungsberichts auf, ihrer Aufgabe nachzukommen und den im Abkommenfestgelegten Streitbeilegungsmechanismus zu nutzen. Die Kommission ließ sichbis Ende des Jahres 2018 Zeit, bevor sie ankündigte, an diesem Fall exemplarischzu zeigen, dass der Streitbeilegungsmechanismus – aller Kritik zum Trotz – enormeDurchschlagskraft habe.

Zaghafte Klärungsversuche der Europäischen Kommission

Die im ersten Schritt durchgeführtenRegierungskonsultationen mit der in der Zwischenzeit neu gewählten Regierungunter Präsident Moon Jae-in – wohlgemerkt einem ehemaligen Menschenrechtsanwalt– blieben ergebnislos und dauerten deutlich länger als die im Abkommenfestgelegten drei Monate. Im Juli 2019 gab die Kommission im Handelsausschussdes Europäischen Parlaments bekannt, die zweite Eskalationsstufe desStreitbeilegungsverfahrens bemühen zu wollen. Dieser sieht die Einrichtungeines beidseitigen ExpertInnengremiums vor. Laut Abkommenstext hätten dieVertragsparteien hierfür zwei Monate Zeit gehabt, also bis spätestens September2019. Tatsächlich eingerichtet wurde das Gremium am 30. Dezember 2019.KommissionsvertreterInnen schoben die Verzögerungen auf Schwierigkeiten bei derBenennung von ExpertInnen auf der koreanischen Seite. Das Gremium wird nun überdie Situation von ArbeitnehmerInnenrechten in Südkorea beraten und im letztenSchritt einen gemeinsamen Bericht mit Empfehlungen erstellen. Der Bericht istfür März 2020 angekündigt. Sollten die Empfehlungen nicht umgesetzt werden,sieht der Streitbeilegungsmechanismus keine weiteren Schritte vor.

Die Mängel im Streitbeilegungsmechanismus liegen auf derHand

Die sehr ambitionierte Ankündigung derKommission, am koreanischen Beispiel die Durchschlagskraft desStreitbeilegungsmechanismus zu zeigen, ist spätestens jetzt als heiße Luft erkennbar.Das Verfahren bietet lediglich Gelegenheit zum Austausch; völlig unzureichendist es jedoch, wenn es um schwere Verstöße gegen gemeinsam festgelegte Arbeits-und Umweltstandards geht. Besonders ernüchternd ist im Übrigen die Erfolglosigkeitin diesem spezifischen Fall, da es ja beim Kabinett Moon Jae-in sogar um dieMinisterInnen eines sozialliberalen Präsidenten geht.

Über die Dysfunktionalität des Verfahrenshinaus hat die Europäische Kommission hier eindrucksvoll bewiesen, dass sieherzlich wenig Interesse daran hat, sich auf der Basis von Handelsabkommen fürVerbesserungen der Rechte von ArbeitnehmerInnen einzusetzen. Der späte Beginnder Konsultationen sowie die mehrfachen zeitlichen Verzögerungen sprechen einedeutliche Sprache. Im Falle von Verstößen gegen den vereinbarten Abbau vonZöllen wäre das anders. Schon allein deshalb, weil in diesen Fällen natürlichSanktionen möglich sind. Von der Parallelität des Handels mit sozialer undökologischer Nachhaltigkeit kann also keine Rede sein. Stattdessen wird ganzoffensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

Ein sanktionierbares Nachhaltigkeitskapitel wäre dieLösung

Der Ausweg aus dieser Problematik liegt aufder Hand: Die Europäische Union ist als Handelspartnerin für die meistenVerhandlungspartner wichtig genug, um diese Macht auch zur Verbesserung vonArbeitnehmerInnenrechten und Umweltstandards einzusetzen. Sie könnte durchausvon Verhandlungspartnern erwarten, vor dem Abschluss von Abkommen dieKernarbeitsnormen der IAO zu ratifizieren. Würden die UnterhändlerInnen der EU außerdemdarauf pochen, Verstöße gegen gemeinsame Nachhaltigkeitsvereinbarungen imletzten Schritt auch zu sanktionieren, könnten solche Vereinbarungen einendeutlich anderen Stellenwert bekommen. Dabei dürfte es natürlich nicht darumgehen, ausschließlich die europäischen Standards als Maßstab zu verkaufen,sondern vielmehr ein System der gegenseitigen Kontrolle zu schaffen, das auch denHandelspartnern ermöglicht, die EU beispielsweise bei umweltbezogenen Verstößenzur Verantwortung zu ziehen.

Der Artikel wurde in der IPG erstveröffentlicht. 

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