Soziale Arbeit und der österreichische Sozialstaat haben das gemeinsame Ziel, sozialen Ausgleich zu schaffen sowie Teilhabe und Inklusion zu fördern. Voraussetzungen für qualitätsvolle Soziale Arbeit sind einerseits qualifizierte Fachkräfte und andererseits gesetzliche Rahmenbedingungen. Zweitere fehlen in Österreich. Es fehlt an einem bundeseinheitlichen Berufsgesetz für Soziale Arbeit. Bislang hat es an politischem Willen gefehlt, bundeseinheitliche bzw. europäische Standards in den Bereichen Qualitätssicherung und Qualifikationsvoraussetzungen umzusetzen. Das hat fatale Folgen für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten – und für die Leistungsfähigkeit des Sozialstaats selbst.
Soziale Arbeit als Profession im Sozialstaat
Fachkräfte der Sozialen Arbeit übernehmen – meist als Frontline-Worker – staatliche Aufgaben im behördlichen Auftrag, sie arbeiten in Sozialeinrichtungen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert sind, oder sind bei zivilgesellschaftlichen Organisationen beschäftigt. Die einzelnen Tätigkeitsfelder der Sozialen Arbeit sind in der Praxis nicht voneinander abzugrenzen. Adressat*innen Sozialer Arbeit sind Kinder und Jugendliche ebenso wie Erwachsene jeglichen Alters. Wesentliche Grundlage jeder gelingenden Sozialen Arbeit ist die Etablierung von professionellen Arbeitsbeziehungen zwischen Fachkraft und Adressat*in(nen). Methoden und Instrumentarien werden dem jeweiligen Setting –nämlich der Arbeit mit Einzelpersonen, mit Gruppen oder für das Gemeinwesen – angepasst. Soziale Arbeit ist eine eigenständige Profession und Disziplin, die Sozialarbeit und Sozialpädagogik umfasst. Für Theorien- und Methodenbildungen greift die Soziale Arbeit zusätzlich auf Wissen aus Sozial- und Rechtswissenschaften, Psychologie und Medizin zurück. Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen sind in ihren vielfältigen Tätigkeitsbereichen eine wichtige und professionelle Stütze des Sozialstaats.
Aufträge der Sozialen Arbeit im Sozialstaat
Zu den Grundsätzen Sozialer Arbeit zählen das Eintreten für gesellschaftlichen Wandel, die Förderung von Menschenrechten und die Achtung von Vielfalt. Diese handlungsleitenden Prinzipien sind integraler Bestandteil der Ausbildungen in Sozialarbeit und Sozialpädagogik und richtungsweisend für das Handeln der Fachkräfte. Diese Selbstmandatierung der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession ist in der internationalen Definition der Sozialen Arbeit verankert.
Innerhalb des Sozialstaats hat Soziale Arbeit den Anspruch, für Solidarität, Inklusion und soziale Gerechtigkeit einzutreten. Der Auftrag der Profession an sich selbst kann im Widerspruch zu den Erwartungen der Gesellschaft an Sozialpädagogik und Sozialarbeit stehen – aber auch zu den individuellen Zielen und Wünschen der Adressat*innen. Diese widersprüchlichen Mehrfachmandatierungen werden innerhalb der Profession und der Disziplin diskursiv erörtert. Für die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit im Sozialstaat sind aber Politik und Verwaltung verantwortlich. An ihnen ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die qualitätsvolle Soziale Arbeit sicherstellen. Es herrscht dringender Handlungsbedarf.
Von Ausbildung bis Branchenflucht: 5 Gründe für den Handlungsbedarf
- Unterschiede zwischen den beiden Strängen Sozialpädagogik und Sozialarbeit in Hinblick auf Ausbildung und Qualifikationsniveaus
Im Bereich der Sozialpädagogik reicht die Bandbreite der Qualifikationen der Beschäftigten von schulischer Ausbildung bis hin zu Universitätsstudien. Die Ausbildung in Sozialarbeit ist auf Fachhochschulniveau angesiedelt und bietet als „Studium der Sozialen Arbeit“ Möglichkeiten zur individuellen Schwerpunktsetzung. Die Aufteilung von Sozialer Arbeit in zwei Ausbildungsstränge ist historisch zu erklären. Gegenwärtig ist die Unterscheidung fachlich kaum mehr zu rechtfertigen. Ausbildungen auf tertiärem Niveau sind – auch gemäß internationalen Standards – notwendig, um Studierende auf die komplexen Anforderungen in der Praxis vorzubereiten. Ebenso wenig nachvollziehbar sind inhaltliche Differenzierungen der Bachelor-Ausbildungen, die durch den im FH-Betrieb erforderlichen Wettbewerb zwischen Ausbildungsstandorten bedingt sind.
- Fehlender Berufsschutz und fehlende Qualifikationsstandards
Absolvent*innen von Fachhochschulen und Universitäten erhalten zwar einen akademischen Titel, der Beruf ist aber nicht gesetzlich geschützt. Da in Österreich kein Berufsgesetz existiert und Soziale Arbeit kein Gewerbe ist, bestehen keine formalen Zugangshürden zum Feld. Personen ohne einschlägige Ausbildung dürfen sich als „Sozialarbeiter*in“ bezeichnen. Weder auf europäischer Ebene noch auf nationaler Ebene bestehen verbindliche Qualifikations- oder Kompetenzrahmen. Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten sind in Österreich keine Registrierungs- bzw. Zertifizierungsmöglichkeiten vorhanden. Auf EU-Ebene besteht keine Verordnung zur gegenseitigen Berufsanerkennung für Fachkräfte der Sozialen Arbeit. Auch die Frage nach den Voraussetzungen für selbstständige Tätigkeit ist rechtlich nicht abschließend geklärt. Der Österreichische Berufsverband der Sozialen Arbeit weist seit den 1980er Jahren auf diesen Missstand hin.
- Fehlen von Qualitätsstandards für Soziale Arbeit
Soziale Arbeit als Profession verfügt über ethische Standards. Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich sind diese weder für Adressat*innen noch für die Fachkräfte Sozialer Arbeit rechtlich verbindlich. Auf EU-Ebene entwickelte Vorschläge zu Qualitätsstandards Sozialer Dienstleistungen wurden bislang nicht in österreichisches Recht übernommen. Das Einhalten und häufig auch die Kontrolle der Qualität obliegt daher ausschließlich der mit der Umsetzung beauftragten Behörde bzw. Organisation. Ob die erbrachte Qualität den Bedürfnissen der Adressat*innen von Sozialer Arbeit und jenen der Profession entspricht, bleibt oft unhinterfragt.
- Für Arbeitnehmer*innen nachteilige Beschäftigungsbedingungen
In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Vielfalt an kollektivvertraglichen und besoldungsrechtlichen Einstufungen für Fachkräfte herausgebildet. Aufgrund der Fragmentierung des Felds werden die Fachkräfte unterschiedlichsten Besoldungs- und Kollektivverträgen zugeordnet. Um von Fördergeber*innen gesetzte Rahmenbudgets einzuhalten, werden Beschäftigte willkürlich eingestuft und ihr Beschäftigungsausmaß den aktuellen Fördersummen angepasst. Lohnkostendruck wird weitergegeben und dient als Rechtfertigung, um in bestehende Verträge einzugreifen. Befristete Verträge und Teilzeitbeschäftigungen sind – auch aufgrund der kurzen Förderzeiträume – üblich. Die im Rahmen der Ausbildungen verpflichtenden Praktika in sozialen Einrichtungen werden nicht abgegolten.
- Schlechte Arbeitsbedingungen und hohe Arbeitsbelastung der Fachkräfte
Die oben genannten Beschäftigungsbedingungen begünstigen gesundheitliche Belastungen und Burnout. Steigende Arbeitsbelastungen – oft aufgrund unzureichender Personalausstattung – und hoher Erwartungsdruck bestimmen den Alltag der Fachkräfte. Qualitätsvolle Arbeit kann unter diesen Voraussetzungen nur durch Mehrleistungen oder Verzicht auf Arbeitnehmer*innenrechte geleistet werden. Eine „Branchenflucht“ ist zu verzeichnen. Bereits kurz nach Ausbildungsabschluss verlassen viele Fachkräfte den Sozialbereich. Offene Stellen werden nicht bzw. mit nicht entsprechend qualifizierten Mitarbeiter*innen nachbesetzt. Da Statistiken zu Beschäftigten im Sozialbereich fehlen und offene Stellen häufig nicht beim AMS gemeldet werden, sind dazu keine belastbaren Daten vorhanden.