Das neue EU-Budget: ein Haushalt für die Zukunft?

05. Juli 2018

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU bedeutet einen Beitragsausfall von geschätzten 10 bis 14 Mrd. Euro pro Jahr, rund sieben Prozent des EU-Budgets. Somit ist die Diskussion zum Mehrjährigen Finanzrahmen (EU-Budget) bereits in eine Richtung gelenkt: Wie stopfen wir das Loch? Anstatt: Wie reformieren wir das Budget?

Dabei wäre eine Reform des EU-Budgets überfällig. Denn: Viele Herausforderungen können nur europäisch gelöst werden. Klimawandel und Ressourcenknappheit, weiterhin hohe Arbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, Digitalisierung sowie weltpolitische Instabilität erfordern europäisches Handeln. Die Beibehaltung des Status quo wäre daher ein schlechtes Signal für die Handlungsfähigkeit der politischen Union.

Budgetvorschlag der EU-Kommission für 2021–2027

Die Gesamtausgaben für 2021 bis 2027 sind mit 1279 Milliarden Euro veranschlagt. Der Budgetvorschlag der Europäischen Kommission sieht also eine bescheidene Erhöhung von 1,03 auf 1,114 Prozent des BIP der EU vor.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Im Vergleich zum derzeitigen EU-Haushalt lassen sich zusammenfassend folgende Unterschiede festmachen:

  • Abschaffung sämtlicher Rabatte, wovon Deutschland, Österreich, Schweden und die Niederlande betroffen sind.
  • Verstärkung der Verschränkung des Budgets mit privaten InvestorInnen: Der Europäische Fonds für strategische Investitionen soll zu einem voll integrierten Investmentfonds („InvestEU“) werden. Der wesentliche Partner für die Umsetzung bleibt weiterhin die Europäische Investitionsbank. InvestEU wird alle zentral verwalteten Finanzinstrumente innerhalb der EU in einer einzigen, gestrafften Struktur verankern.
  • Reformhilfeprogramm zur Unterstützung von sogenannten Strukturreformen in den Mitgliedstaaten in der Höhe von 25 Milliarden Euro: Dieses Programm soll die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten stärken und Schlüsselreformen des Europäischen Semesters unterstützen.
  • Für die Stabilisierung der Eurozone (EU-Investitionsstabilisierungsfunktion) sind 30 Milliarden Euro vorgesehen. Sie soll die Investitionsniveaus in den Mitgliedstaaten stabilisieren und vor großen asymmetrischen Schocks bewahren.
  • Einführung neuer Eigenmittel, gespeist aus dem Emissionshandelssystem, Einnahmen aus der Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und einer Abgabe auf nicht rezykliertes Plastikverpackungsmaterial.

Brexit – Anlass für eine progressive Haushaltsreform

Die Gestaltungskraft der EU hängt einerseits von der Bereitschaft der Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit ab, andererseits von ihrer finanziellen Ausstattung. Mit dem Vereinigten Königreich ist nun ein Mitgliedsland ausgetreten, das mehr als „Ausgabenkontrollor“ denn als engagierter Promotor einer politischen Union hervortrat. Doch andere Mitgliedstaaten könnten nun die Rolle Großbritanniens übernehmen: Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande lehnen eine Erhöhung ihrer Beiträge ab.

Zur Überwindung der Verstrickung in Nettozahler-Nettoempfänger-Diskussionen bedarf es daher einer grundsätzlichen Neukonzeption der Einnahmenseite des EU-Budgets. Denn nach wie vor steht im politischen Mittelpunkt vieler Mitgliedstaaten, wie sie einen substanziellen Rückfluss aus dem EU-Topf erreichen, anstelle der Entwicklung neuer Strategien.

Die EU-Kommission setzt mit ihrem Vorschlag für neue EU-Eigenmittel einen Schritt in die richtige Richtung. Insgesamt rechnet die EU-Kommission mit Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem, der Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und der Abgabe auf nicht rezykliertes Plastikverpackungsmaterial in der Höhe von 22 Milliarden Euro pro Jahr oder rund zwölf Prozent der EU-Budgeteinnahmen. Diese neuen Einnahmen hängen aber vom politischen Willen aller Mitgliedstaaten ab, der Europäischen Union mehr Souveränität einzuräumen.

Soziale Dimension Europas muss Vorrang haben

Im Hinblick auf die eingangs skizzierten Herausforderungen der nächsten Jahre muss die Stärkung der sozialen Dimension Europas an erster Stelle stehen. Auch der EU-Haushalt muss darauf abzielen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen spürbar zu verbessern und die zunehmende wirtschaftliche und soziale Ungleichheit sowie die nach wie vor inakzeptable Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent zu bekämpfen.

Die wichtigsten Instrumente der Europäischen Konvergenzpolitik, EFRE und Kohäsionsfonds, sollen sich auf 273 Milliarden Euro, der ESF+ auf 101 Milliarden Euro belaufen. Beide sollen verstärkt mit dem Europäischen Semester verknüpft werden. Der Europäische Sozialfonds (ESF) wird zwar etwas ausgeweitet, sein Anteil an allen Strukturfonds bleibt aber weiterhin zu gering, um Arbeitslosigkeit und Armut wirksam bekämpfen zu können.

Die dabei angedachten neuen Konditionalitäten sind grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. Kriterien wie Rechtsstaatlichkeit, Strukturreformen, Steuerdumping oder Sonstiges von oben dekretiertes Wohlverhalten bleiben nicht ohne Grund von Art. 174 AEUV unerwähnt. Kohäsion soll ein Anreiz- und kein Zwangsmechanismus sein, der mit Mittelentzug droht. Die Programme und Ziele sollen auf regionaler Ebene durch die betroffenen BürgerInnen definiert werden. Auf diese Weise wird Europa konkret erlebbar gemacht.

Auch die engere Verknüpfung zwischen dem EU-Haushalt und dem Europäischen Semester widerspricht Art. 174 AEUV. Hinzu kommt, dass die Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters in vielen Fällen den Interessen der ArbeitnehmerInnen entgegenlaufen und die zentrifugalen Kräfte innerhalb der Europäischen Union geradezu befeuern. Das hat sich nicht zuletzt auch in Angriffen auf etablierte Kollektivvertragsstrukturen in Europa im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt.

Staatliche Gestaltung statt Politikentscheidung durch private InvestorInnen

Der in Ansätzen vorgeschlagenen Finanzialisierung der Strukturfonds, also eine Umleitung der Abwicklung auf die Europäische Investitionsbank und den Investitionsfonds InvestEU, sollte schon jetzt energisch entgegengetreten werden. Auf lange Sicht handelt es sich um eine Umstellung von Zuschüssen auf Darlehen. Aber noch schlimmer: Es bedeutet die Aufgabe der politischen Gestaltungskraft durch Überlassung der Förderentscheidungen an BankerInnen und Privatkonzerne. Öffentlich-private Partnerschaften sollen mit Ausfallhaftung durch die SteuerzahlerInnen gefördert werden. Statt InvestEU und EFSI wäre die Errichtung eines Marshallplans für Europa dringend angezeigt. Dieser könnte ähnlich den Staatsfonds aus China, Norwegen, Saudi-Arabien etc. mehr strategisches Eigentum an europäischen Schlüsseltechnologien entwickeln und Infrastrukturinvestitionen im Rahmen Europäischer Projekte vornehmen.

Die Agrarsubventionen bleiben mit 365 Milliarden Euro nach wie vor der größte Brocken des EU-Budgets. Noch immer fließen 30 % der 365 Milliarden Euro in Form von Direktzahlungen an Landwirte, 80 % dieser Summe an 20 % der Bauern. Trotz hoher Umweltbelastungen durch den Agrarsektor sind große Budgetmittel für Flächenzahlungen vorgesehen statt für das Vorantreiben der Ökologisierung des Systems. Eine Umschichtung des Budgets von den Direktzahlungen zur ländlichen Entwicklung (ELER) ist ein Gebot der Stunde, um der Abwanderung entgegenzuwirken.

Ausblick

Die EU-Kommission hat das ehrgeizige Ziel, eine Einigung vor den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 zu erreichen. Dieser Fahrplan erscheint angesichts der schwierigen Verhandlungsbedingungen äußerst ambitioniert. Es ist zu hoffen, dass das neue Europäische Parlament dann auch mit ausreichend progressiven Kräften ausgestattet ist, um notwendige EU-Politik mit entsprechender Finanzausstattung zuzulassen.

Der Mehrjährige Finanzrahmen ist zwar nur ein kleiner Budgetposten der nationalen Ausgaben, aber ein wichtiger Barometer, wieviel und welches Europa die EU-BürgerInnen und nationalen Regierungen in Zukunft wollen.

Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Version eines im Juni 2018 erschienenen Artikels im EU-Infobrief 2/2018.