Direktvergabe als Erfolgsmodell für österreichische Bahnen erhalten!

12. Oktober 2017

Trotz der positiven Bilanz der direkten Vergabe von Schienenverkehrsleistungen durch die öffentliche Hand an österreichische Eisenbahnunternehmen und ohne europarechtliche Notwendigkeit plant die ÖVP derzeit ein Verbot des Systems der Direktvergabe. Um das Erfolgskonzept Direktvergabe zu erhalten, wurde von den Sozialpartnern die Kampagne „Sag JA zur Bahn in Rot Weiß Rot“ ins Leben gerufen.

Bei objektiver Betrachtung ist die Entwicklung des österreichischen Bahnsystems, allen voran die Geschichte der ÖBB, eine Erfolgsstory: In der EU ist Österreich das Bahnfahrerland Nummer eins! Die Fahrgastzahlen steigen seit Jahren kontinuierlich an – so wurden im Jahr 2016 insgesamt 288,8 Mio. Fahrgäste befördert, davon alleine 244,13 Mio. von der ÖBB-Personenverkehr AG, was einen Anstieg von 2,6 Prozent bedeutet (Quelle: Schienen-Control, 2016). Insgesamt fuhren im Personenverkehr im ÖBB-Netz 19 Bahnen. Die Ticketpreise sind im europäischen Vergleich im unteren Drittel. Mit einem engmaschigen Verbindungsnetz werden im Personenverkehr attraktive Umsteigemöglichkeiten geboten und im Güterverkehr zwischen Nordsee, Mittelmeer und Schwarzem Meer Güter sicher und umweltfreundlich befördert.

So ist das System Bahn ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, der durch das Zusammenwirken von öffentlicher Hand, Bahnunternehmen und Bahnindustrie einen immensen Mehrwert für Wachstum und Beschäftigung schafft. Aus der Bruttowertschöpfung leiten sich weiters maßgebliche direkte und multiplikative inländische Beschäftigungseffekte ab. Im Zeitraum von 2013 bis 2020 bedeutet dies 192.000 Jahresbeschäftigungsplätze (Personenjahre), was etwa 24.000 annualisierten Vollzeitäquivalenten in der Bauphase entspricht. Langfristige Beschäftigungseffekte werden in der Betriebsphase geschaffen. Das System Bahn erwirtschaftet jeden 73. Wertschöpfungs-Euro in Österreich. Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur setzen kurz- und langfristige Nachfrageimpulse (siehe Studie des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung: „Der ökonomische Fußabdruck des Systems Bahn“, 2013).

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog
Quelle: Studie “Der ökonomische Fußabdruck des Systems Bahn, Industriellenvereinigung, 2013, Seite 11, Abbildung 1: „Darstellung des Systems Bahn“
Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog
Quelle: Studie “Der ökonomische Fußabdruck des Systems Bahn, Industriellenvereinigung, 2013, Seite 14, Abbildung 3: „Direkte und multiplikative Beschäftigungseffekte in Jahresbeschäftigungsplätzen in Österreich“

Während der Bankenkrise war die Bahnindustrie ebenfalls ein wichtiger stabilisierender Wirtschaftsfaktor, da durch Investitionen in die Infrastruktur und die Beauftragung von Verkehrsleistungen die Konjunktur angekurbelt wurde und Arbeitsplätze gesichert wurden. Das sichtbare Resultat waren neue moderne Bahnhöfe, gesicherte Mobilität für die Bevölkerung, Beschäftigung in den Regionen und insgesamt positive Effekte auf die Realwirtschaft.

Jahrzehntelang mussten sich die ÖBB aber auch den Vorwurf gefallen lassen, als Monopolist im Bahnsektor verkrustete Strukturen zu haben und so ganz nebenbei Löcher in den Staatshaushalt zu reißen. Die positiven Entwicklungen in den letzten Jahren zeigen indes ganz klar, dass der Staat auch weiterhin auf seine heimischen Bahnunternehmen setzen sollte.

Liberalisierung auf Kosten von Beschäftigten, KundInnen und Sicherheit

Im Zuge der Liberalisierung folgten in der europäischen Schienenverkehrspolitik seit 2001 insgesamt vier Eisenbahnpakete der Europäischen Kommission, die auf eine Öffnung des Sektors für den Wettbewerb abzielten und den Staatsbahnen den Kampf ansagten. Es begann ein Liberalisierungswahn sondergleichen – unter dem Stichwort Dienstleistungsfreiheit wurde ohne Rücksicht auf Verluste „harmonisiert“. Sozialkriterien, die Interessen der Beschäftigten und die Berücksichtigung funktionierender Systeme in den Mitgliedstaaten blieben dabei auf der Strecke.

Traurige Spitzenreiter waren allen voran England und Schweden. Hier wurden Gewinne privatisiert und Verluste weiterhin vom Staat getragen. Man sparte an allen Ecken und Enden – bei der Wartung von Bahninfrastruktur, bei der Modernisierung von Anlagen und der Technik, bei der Anschaffung von rollendem Wagenmaterial oder neuen Lokomotiven. Leidtragende waren neben den ArbeitnehmerInnen vor allem die Fahrgäste. Ein Bahnsystem soll den Menschen aber vor allem eines garantieren: grenzenlose, leistbare Mobilität auf höchstem Sicherheitsniveau.

Dabei hätte man es besser wissen müssen: Bereits der Eisenbahnunfall von Hatfield im Jahr 2000 war mit vier Toten und über 70 Verletzten trauriger Höhepunkt der realen Auswüchse des Liberalisierungswahns (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Hatfield_rail_crash). Erst der Verlust von Menschenleben erzeugte ein Umdenken, und Teile der Bahnreform in Großbritannien wurden zurückgenommen. Die marode Bahninfrastruktur wurde damals um etwa 500 Millionen Pfund vom englischen Staat in die British Rail zurückgeholt.

Neuer Angriff auf die österreichischen Bahnen: Ausschreibungszwang statt Direktvergabe

Bisher waren im Vergaberecht die gemeinwirtschaftlichen Leistungen – PSO (Public Service Obligation) – ausgenommen. Der Bund sowie die Länder hatten die freie Wahl, öffentliche Transportleistungen an einen gewünschten Partner zu vergeben – auch Direktvergabe genannt. Die andere Option war die Vergabe durch eine Ausschreibung. Wie passt die Direktvergabe nun in das Konzept der Europäischen Kommission? Gar nicht – daher wurde auch immer wieder versucht, die Direktvergabe in Hinblick auf die freie Marktwirtschaft zu unterbinden. Erst durch Interventionen und eine akkordierte, starke Interessenvertretung wurde die Möglichkeit der Direktvergabe weit über 2023 hinaus ermöglicht.

Nachdem auf europäischer Ebene ein Verbot abgewendet worden war, tauchte die Forderung nach einer Streichung auf nationaler Ebene aber wieder auf. Die ÖVP hat es sich zum Ziel gesetzt, die Direktvergabe per Gesetz zu verbieten. Durch die Blockade des Vergabegesetzes werden sogar Strafen in Höhe von ca. 30 Mio. Euro im Zuge eines Vertragsverletzungsverfahrens in Kauf genommen. Stattdessen soll es – unter dem Motto „Wettbewerb schadet nicht“ – Zwangsausschreibungen geben. Was wäre die Folge? Ausländische Bahnen würden zum Zug kommen und Tausende österreichische Arbeitsplätze bei den ÖBB und bei Zulieferbetrieben vernichtet werden. Trauriges Beispiel für diese Zwangsausschreibungen ist der österreichische Bussektor, der bereits dem Ausschreibungszwang unterliegt. Hier wird schon seit Jahren Wettbewerb auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen ausgetragen, da in der Praxis Ausschreibungen über Personalkosten gewonnen oder verloren werden.

Wettbewerb – wahrer Gegner Transportkonzerne

Doch nicht nur Unternehmen aus dem Ausland haben starkes Interesse an einer Ausschreibungspflicht. Auch die seit 2011 auf der Weststrecke operierende WESTbahn hat mehrmals versucht, gerichtlich gegen die Direktvergabe von öffentlichen Personennahverkehren vorzugehen. Bisher ist die WESTbahn mit ihren Klagen gegen die Anwendung der Direktvergabe jedes Mal gescheitert. Kleines Detail am Rande: Die französische Staatsbahn (SNCF) hält 17 Prozent der Anteile an der Rail Holding der WESTbahn und ist auch Mehrheitseigentümer der Keolis-Gruppe, die weltweit im öffentlichen Verkehr tätig ist – allein in Europa ist Keolis in über 12 Staaten aktiv. 2016 erwirtschaftete man über 6,1 Milliarden Euro.

Im Vergleich zu Konzernen wie Keolis, transdev, Arriva oder auch abellio wirken unsere heimischen Bahnen wie Zwerge. Die genannten Firmen sind spezialisiert auf Ausschreibungen. Der Ablauf ist in den meisten Fällen ähnlich: Kommunen, Länder und Bünde schreiben die Leistung aus, das Wagenmaterial wird von ihnen zur Verfügung gestellt. Der Billigstbieter bekommt den Zuschlag, und dann gibt es, sofern sich der Anbieter ändert, im Zuge des Betreiberwechsels Änderungskündigungen, und das Personal wird übernommen. Auf der Strecke bleiben also wieder einmal die ArbeitnehmerInnen. Denn wer nicht zu den neuen, schlechteren Konditionen einsteigt, wird keine Stelle erhalten. Diese Betreiberwechsel sind daher vor allem in Hinblick auf ArbeitnehmerInnenrechte äußert problematisch. Betriebsvereinbarungen, Anrechnung von Vordienstzeiten, Wechsel der betriebsrätlichen Zuständigkeiten und vieles mehr setzen die Arbeitnehmervertretung unter Druck.

Vorteile der Direktvergabe

Bei genauer Betrachtung wird auch schnell klar, wo die Vorteile der Direktvergabe für den Fahrgast liegen:

  • höchste Sicherheitsstandards aufgrund gut ausgebildeten Personals;
  • integrierter Taktfahrplan: aufeinander abgestimmte Verbindungen der unterschiedlichen Verkehrsträger;
  • Qualität: Das Hauptaugenmerk liegt auf den KundInnen und nicht primär auf Gewinn und Einsparungspotenzial;
  • Pünktlichkeit aufgrund gut gewarteter Schieneninfrastruktur, ständiger Investitionen ins Schienennetz und einer schnellen Entstörung bei Störungen;
  • Wertschöpfung und damit auch Arbeitsplätze bleiben im jeweiligen Land;
  • keine Produktivitätsverluste durch kostentreibende Parallelsysteme;
  • optimale Zugumlaufplanung;
  • Ticketpreise: Durch das Bekenntnis des Staates zum öffentlichen Verkehr können die Ticketpreise niedrig gehalten werden. In Schweden beispielsweise sind die Ticketpreise an Angebot und Nachfrage gebunden, was einen großen Nachteil vor allem für PendlerInnen darstellt;
  • einheitliche Betriebssysteme (Tickets, Schalter, Ticketautomaten).

Generell sollte der Staat größtes Interesse daran haben, dass das Steuergeld seiner BürgerInnen in der heimischen Wertschöpfungskette zur Anwendung kommt und nicht ins Ausland abwandert. Da es allerdings eine Ungleichverteilung der Liberalisierung gibt, würde daher mittelbar Steuergeld abwandern. Denn wie internationale Beispiele belegen, sind die Mitbewerber im Regelfall Töchter ausländischer Staatsbahnen. In der Regel operieren diese Unternehmen mit eigenen Tochterunternehmen auf regionalen Märkten, um den Ausschreibungserfolg und die Abwanderung von Steuergeld zu „verschleiern“.

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: ÖBB Konzernvertretung © A&W Blog
Quelle: ÖBB Konzernvertretung

Das österreichische Budget würde damit zugunsten anderer Nationalstaaten belastet. Betriebsgewinne der ausländischen Unternehmen werden allerdings nicht in Österreich investiert, sondern fließen zu den jeweiligen Konzernzentralen ab. Die erzielten Margen werden wiederum nicht in Österreich investiert, sondern dienen dazu, ausländische Unternehmen zu stärken.

Das Ende der Direktvergabe in Österreich würde auch nicht zu den immer wieder propagierten angeblichen Kosteneinsparungen führen. Österreich wird von den Treibern der Liberalisierung in diesem Punkt gerne mit Deutschland verglichen. Dieser Vergleich ist allerdings nicht zulässig, da in Deutschland in der Vergangenheit signifikante Überrenditen in den Bestellerverträgen erwirtschaftet werden konnten. Im Ausschreibungswettbewerb konnten diese Überrenditen wesentlich gesenkt werden – die Wirtschaftlichkeit für die Deutsche Bahn bleibt jedoch erhalten. Dazu kommt: Direktvergaben, wie sie in Österreich durchgeführt werden, sind europaweit im Hinblick auf Transparenz und Kontrolle vorbildlich.

Kampagne „Sag JA zur Bahn in Rot Weiß Rot“

Die Bedrohung durch eine zwangsweise Einführung des beschriebenen schädlichen Systems ist auch der Wirtschaftskammer als Vertretung der heimischen Bahnfirmen bewusst. Im Rahmen der Kampagne „Sag JA zur Bahn in Rot Weiß Rot“ haben sich die Sozialpartner daher dazu entschlossen, ein starkes Zeichen für das österreichische Bahnsystem zu setzen und für eine Beibehaltung der Direktvergabe laut den europarechtlichen Vorgaben einzutreten.

Bis dato wurden bereits über 20.000 Unterschriften gesammelt. Damit in Österreich auch in Zukunft an dem Erfolgsmodell Bahn weitergearbeitet werden kann, benötigen wir auch Ihre/eure Unterstützung.

Mehr Informationen zur Kampagne gibt es auf: https://bahninrotweissrot.at/