Edelsprit für alles? Die Rolle von Grünen Gasen für ein klimaneutrales Österreich

21. Juli 2021

Bis zum Jahr 2040 soll Österreich klimaneutral werden. Grüne Gase, wie Wasserstoff und Biomethan, welche keine CO2-Emissionen erzeugen, werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die Herstellung dieser Gase kostenaufwändig ist und beträchtliche Landflächen benötigt werden. Der Einsatz Grüner Gase sollte daher auf jene Sektoren beschränkt werden, in denen es keine Alternative gibt. Insbesondere im Wärme- und im Mobilitätssektor ist der Einsatz Grüner Gase möglichst gering zu halten.

Klimaneutral bis 2040

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, Österreich bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu machen. In Summe sollen also nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, als in Österreich, zum Beispiel durch unsere Wälder, auch wieder gebunden werden. Eine Voraussetzung dafür ist es, dass unser Energieverbrauch in Zukunft keine Treibhausgasemissionen mehr verursacht. Das würde bedeuten, dass der Verbrauch von fossilen Energien ab heute und für die nächsten zwei Jahrzehnte jedes Jahr ähnlich stark zurückgeht wie im vergangenen Lockdown-Jahr.

Dekarbonisierung aller Sektoren notwendig

Die folgende Grafik verdeutlicht die Herausforderung: In allen Sektoren werden noch beträchtliche Mengen an fossilen Energieträgern verwendet. Vor allem der Verkehr, die Industrie, aber auch die Haushalte und die Strom- und Fernwärmeversorgung verbrauchen noch immer große Mengen an Erdgas, Öl und Kohle.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Biomethan aus Biomasse und Wasserstoff aus Ökostrom

Sogenannte „grüne“ Energieträger könnten diese fossilen Energien ersetzen. Bereits heute technologisch ausgereift ist die Erzeugung von Biogas und Biotreibstoffen aus Biomasse – also entweder aus agrarischen Produkten wie Mais oder Weizen, aus Holz oder aus biogenen Reststoffen. Grüne Gase und Treibstoffe können allerdings auch aus Wasserstoff hergestellt werden – und dieser wiederum durch Elektrolyse, also durch elektrische Spaltung von Wasser durch Strom. Allerdings kann man nur dann von Grünen Gasen sprechen, wenn der dafür verwendete Strom tatsächlich erneuerbar ist. Es gibt auch noch etliche andere Optionen, zum Beispiel die Herstellung von Wasserstoff aus Nuklearstrom („gelber“ Wasserstoff) oder aus fossilem Erdgas („blauer“ Wasserstoff). Ein Überblick findet sich in unserer Studie „Edelsprit für alles? Bedarf und Angebot an Grünen Gasen in Österreich“ auf Seite 14.

Können wir Öl und Erdgas durch Grüne Gase ersetzen?

Wenn es solche Grünen Gase und Treibstoffe gibt, warum ersetzen wir fossile Energien nicht einfach damit, um klimaneutral zu werden?

Bereits heute werden Biogas und Biotreibstoffe produziert. Die erzeugte Menge ist aber – verglichen mit dem derzeitigen fossilen Gas- und Treibstoffbedarf – verschwindend gering. Trotzdem benötigt die Erzeugung von Biogas und Biosprit schon heute große Flächen. Die europäische Biotreibstoffpolitik wird immer wieder kritisiert, weil Treibstoffe aus Biomasse mit der Lebens- und Futtermittelproduktion konkurrieren und global zur Entwaldung beitragen. Oft wird sogar bezweifelt, dass biomassebasierte Gase und Treibstoffe überhaupt einen signifikanten Beitrag zur Klimaneutralität liefern können. Nun stellt sich die Frage, ob wir genügend Abfälle oder Reststoffe zur Verfügung haben, um die Energieversorgung sicherzustellen. Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Alle vorliegenden Potenzialstudien für Österreich zeigen, dass selbst unter sehr optimistischen Annahmen höchstens ein Siebtel der zusätzlich benötigten Grünen Gase aus Reststoffen erzeugt werden kann (siehe Grafik unten). Der Hauptgrund dafür ist, dass bereits heute die meisten Reststoffe eine Verwendung finden und zum Beispiel zur Energiegewinnung verbrannt oder stofflich genutzt werden, etwa um Holzfaserplatten herzustellen.

Wasserstoff ist teuer und benötigt flächenintensive Infrastruktur

Technologien zur Erzeugung von grünem Wasserstoff aus (erneuerbarem) elektrischem Strom gibt es heute nur als Pilotversuche. Im Vergleich zu Biomethan braucht die Herstellung von grünem Wasserstoff allerdings viel weniger Land. Denn der für die Erzeugung von Wasserstoff benötigte Strom benötigt weniger Fläche als die Biomasse, welche für dieselbe Energiemenge an Biomethan benötigt wird.  Das heißt: Um die gleiche Menge an Gas oder Treibstoff zu erzeugen, benötigt man zwischen fünf- und 20-mal weniger Land, wenn dafür ein Mix aus Photovoltaik und Windkraft in der Elektrolyse eingesetzt wird anstatt Biomasse als Rohstoff für Biomethan.

Biomethan und Wasserstoff sind teuer

Natürlich könnten diese Grünen Gase und Treibstoffe auch importiert werden, anstatt sie im Inland flächenintensiv zu erzeugen. Allerdings kann heute niemand mit Sicherheit sagen, ob und wie viel Grüne Gase in Zukunft auf dem Weltmarkt gehandelt werden. Auch mögliche Exporteure müssten entsprechende flächenhungrige Infrastrukturen aufbauen. Das führt in einigen Teilen der Welt schon heute zu Konflikten. Inwieweit die Verschärfung solcher Konflikte für den Export in Kauf genommen werden wird, ist fraglich. Dazu kommt, dass der Transport von Gasen, besonders von Wasserstoff, über weite Entfernungen sehr teuer ist. Importe aus dem europäischen Umfeld sind daher besonders attraktiv, aber natürlich auch in unseren Nachbarländern begehrt. Importe könnten also in Zukunft durchaus eine wichtige Rolle spielen. Für die Dekarbonisierung Österreichs vor allem auf die Importe von Grünen Gasen und Treibstoffen zu setzen ist allerdings eine riskante Strategie.

Grüne Gase sind also aufgrund der hohen Herstellungs- und Transportkosten – sowohl im Vergleich zu fossilen Treibstoffen als auch im Vergleich zu anderen CO2-neutralen Optionen – teuer. Schätzungen gehen davon aus, dass nach Deutschland importierter Wasserstoff ungefähr fünfmal so viel kostet, wie heute in Österreich für Erdgas bezahlt wird. In Österreich erzeugtes Biomethan ist vermutlich noch teurer.

Was sind die Alternativen zu den teuren und aufwändigen Grünen Gasen?

Zuallererst sollten wir unseren Energieverbrauch möglichst weit verringern, zum Beispiel durch die Sanierung von Gebäuden. Wird weniger Energie zum Heizen gebraucht, muss natürlich auch weniger Energie eingesetzt werden. Auch die Art und Weise, wie wir unsere gebaute Umwelt gestalten, muss andere, klimafreundliche Nutzungen zulassen. Statt den öffentlichen Raum für jedermanns Auto zu gestalten, müssen nahe gelegene Angebote Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad ermöglichen. Ebenso muss der öffentliche Verkehr ausgebaut werden, um notwendige Änderungen der persönlichen Gewohnheiten zu unterstützen.

„Elektrifizierung zuerst!“

Daneben gibt es aber noch eine weitere, sehr wichtige Alternative zu Grünen Gasen: die Nutzung von elektrischem Strom, wo immer es möglich ist, z. B. in Batterie-elektrischen Fahrzeugen oder in Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen. Verglichen mit der Verbrennung von Grünen Gasen ist die Verwendung von elektrischem Strom deutlich effizienter. Die folgende Grafik zeigt hierzu zwei Szenarien für einen klimaneutralen Energieverbrauch in Österreich: Im ersten Szenario wird so viel wie möglich elektrifiziert, also mit elektrischem Strom betrieben. Im zweiten Szenario werden stattdessen Grüne Gase z. B. zum Heizen verwendet. In beiden Szenarien gibt es aber auch Anwendungen, welche nicht elektrifiziert werden können und in denen daher Grüne Gase und Treibstoffe zum Einsatz kommen müssen (z. B. in der Industrie, im Schwer- oder Flugverkehr). Wird der Weg der stärkeren Elektrifizierung gewählt, so bedeutet dies, dass die Nachfrage nach Strom sowie flüssigen und gasförmigen Energieträgern von 350 PJ auf 200 PJ fällt, also auf knapp 60 Prozent jenes Szenarios, in dem Grüne Gase und Treibstoffe auch im Wärme- und Mobilitätssektor eingesetzt werden.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Um zu verstehen, wie groß dieser Unterschied tatsächlich ist, haben wir berechnet, wie viel Fläche in jedem der beiden Szenarien für die Energiegewinnung nötig wäre. Am wenigsten Land – nämlich rund 1.500 km2 – würde benötigt, wenn der Energieverbrauch so weit wie möglich elektrifiziert wird und auch Grüne Gase und Treibstoffe aus erneuerbarem Strom erzeugt würden.

Ein Verbrauch von – aus erneuerbarem Strom erzeugten – Grünen Gasen und Treibstoffen statt Strom ließe den Flächenbedarf auf über 2.200 km2 ansteigen.

Sollen die Grünen Gase und Treibstoffe auch noch aus Biomasse gewonnen werden, so wäre dafür fast die gesamte Ackerfläche Österreichs, immerhin 13.200 km2, nötig.

Welche Schlussfolgerungen sind daher zu ziehen?

Grüne Gase und Treibstoffe werden eine wichtige Rolle bei der vollständigen Dekarbonisierung Österreichs spielen. Sie werden allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt – jedenfalls nach 2035 – in großem Maßstab benötigt werden, weil bis dahin viele andere Maßnahmen zu treffen sind, um Emissionen zu reduzieren (z. B. Elektrifizierung, Gebäudesanierung, Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung). Gleichzeitig sollten so wenige Grüne Gase wie möglich verwendet werden, weil sie im Vergleich zu Energieeinsparungen und Elektrifizierung viel teurer und flächenhungriger sind. Der weitere Ausbau von Infrastrukturen für die Nutzung von Grünen Gasen und flüssigen Treibstoffen ist in vielen Bereichen – vor allem beim Heizen und Kühlen und auch im Pkw-Verkehr – nicht effizient und keine geeignete Strategie für die Klimaneutralität. Im Gegenteil: Es gilt, jetzt prioritäre Einsatzgebiete für Grüne Gase festzulegen und die Infrastrukturen dementsprechend anzupassen. Nur so kann verhindert werden, dass Fehlinvestitionen getätigt werden, weil revitalisierte oder neu errichtete Infrastrukturen schon nach wenigen Jahren nicht mehr genutzt werden.

Die vollständige Studie von Sebastian Wehrle und Johannes Schmidt: Edelsprit für alles? Bedarf und Angebot an Grünen Gasen in Österreich. (2021)

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