Crowdwork – Alte Spielregeln für die neue Arbeitswelt?

23. Februar 2017

Crowdwork ist in aller Munde. Aber UberfahrerInnen als ArbeitnehmerInnen, Clickworker als HeimarbeiterInnen?! Viele Menschen übernehmen ungeprüft die Selbstbeschreibungen der PlattformenbetreiberInnen, die sich selbst als VermittlerInnen und die Arbeitenden als Selbstständige bezeichnen. Langsam lichtet sich jedoch der rechtliche Nebel um die neuen Arbeitsformen in der internet- und plattformbasierten Arbeitswelt und es zeigt sich: Auch die neue Arbeitswelt muss sich an „alte“ Spielregeln halten.

 

In den letzten Jahren schossen Internetplattformen wie „Schwammerl“ aus dem Boden, von AirBnB, über HRS zu Checkfelix, um nur einige namentlich zu nennen. Es gibt mittlerweile bereits „Überplattformen“ wie Trivago, die versuchen einen Überblick über die (zu) zahlreich gewordenen Plattformen einer Sparte zu geben. So soll von den KundInnenen das beste Angebot zum besten Preis gefunden werden.

Der Trend zu Online-Plattformen macht vor dem Arbeitsleben nicht halt. Auch die Wertschöpfung durch Arbeit wird zunehmend über digitale Plattformen wie Uber, clickworker, Book-a-Tiger, foodora & Co (auch in Österreich) organisiert. Diese plattformbasierte Arbeit wird auch als Crowdwork bezeichnet.

Während PlattformbetreiberInnen lange mehr oder weniger unbeschränkt ausprobierten, was technisch und wirtschaftlich möglich wäre, lichten sich nun langsam die Nebelschwaden um die Zulässigkeit und die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser neuen Form der Arbeitsorganisation.

Neue Form der Arbeitsorganisation

Beim Outsourcing werden Unternehmensaufgaben und -strukturen an externe Dienstleister ausgelagert. Crowdsourcing geht einen Schritt weiter. Hier werden Unternehmenstätigkeiten, die ursprünglich durch einzelne Vertragspartner (in der Regel ArbeitnehmerInnen) erfüllt wurden, an eine große Anzahl von Personen (der Crowd) verlagert. Vermittelt werden diese Prozesse durch verschiedene Internetplattformen.

Diese neue Form der Arbeitsorganisation bricht bestehende Betriebsstrukturen auf und ist dezentral (ohne zentrale Betriebsstätte) organisiert. Wie bereits bei früheren dezentralen Organisationssystemen, wie z. B. dem Verlagssystem, ist der große Vorteil dieser Organisationsweise die Flexibilität.

Seit der industriellen Revolution erfolgte die Wertschöpfung hauptsächlich an einer zentralen Betriebsstätte (typischerweise eine Fabrik). Einer der wesentlichen Vorteile dieses Fabriksystems war neben den niedrigeren Transaktionskosten durch die hierarchische Organisation und der größeren Stückzahl durch größere Maschinen, dass die ArbeitgeberInnen ein hohes Maß an Kontrolle über die arbeitenden Personen ausüben konnten.

Durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind nunmehr aber auch bei dezentralen Produktionsweisen die Transaktionskosten sehr gering. Paradoxerweise besteht nunmehr zudem auch die Möglichkeit, effektive und effiziente Kontrolle trotz der Entfernung der arbeitenden Personen auszuüben.

Kontrolle bei Crowdwork

Kontrollen werden bei Crowdwork über verschiedene Ebenen sichergestellt:

  • Zugangsebene

Plattformen bestimmen auf der Zugangsebene die Teilnahmebedingungen der arbeitenden Personen. Hierzu müssen oft Leistungsnachweise oder polizeiliche Führungszeugnisse vorgelegt werden, um auf den Plattformen freigeschaltet zu werden und Arbeitsangebote anzunehmen.

  • Angebots- und Auswahlverfahren

Oft stellen die Plattformen selbst die Arbeitspakete zusammen und parzellieren die Anfragen der AuftraggeberInnen in Teilleistungen. Zudem grenzen sie den TeilnehmerInnenkreis nach ihrem Ermessen oder auf Kundenwunsch ein.

  • Kontrolle der Tätigkeit und Ergebnisse

Plattformen selbst kontrollieren und bewerten oft die Qualität der Arbeitsergebnisse, etwa durch spezielles Qualitätsmanagement, Peer-Reviews oder durch spezielle Techniken wie der Kontrolle der Maus-Aktivitäten.

Zusätzlich ist der Arbeitsprozess sehr stark vorgegeben. Die inhaltliche Arbeit ist im Vorhinein (in der Regel durch die AGB oder seitenlange Anleitungen) stark determiniert. Darüber hinaus handelt es sich bei Crowdwork in aller Regel um sehr kurzfristige Vertragsverhältnisse, z. B. einzelne Fahrten bei Uber. Durch das enge Korsett an sachlichen und zeitlichen Vorgaben ist die Selbstbestimmtheit der CrowdworkerInnen in vielen Fällen sehr gering.

Bei virtuellem Crowdwork machen Plattformen vereinzelt sogar Screenshots von den Bildschirmen der CrowdworkerInnen, um deren Arbeitsleistung zu kontrollieren.

  • Bewertungs- und Reputationsmechanismen

Die Arbeitsergebnisse werden von den KundInnen bewertet. Dadurch soll zum einen die Qualität der Arbeit sichergestellt werden, da bei schlechten Bewertungen oft kein Entgelt ausbezahlt wird. Darüber hinaus erhalten nur CrowdworkerInnen mit guten Bewertungen weitere Arbeitsaufgaben (negative Disziplinierung).

Ebenso sind die CrowdworkerInnen durch diese Bewertungs- und Reputationsmechanismen gezwungen, ein gutes Rating meist durch gute und aktive Arbeit zu erhalten (positive Disziplinierung).

Nicht zuletzt wird durch diese Reputationsmechanismen eine Abhängigkeit zur Plattform geschaffen, da sich diese Bewertungen nicht auf andere Plattformen übertragen lassen.

  • Digitale „Nacktheit“

CrowdworkerInnen sind für die Plattformen „digital nackt“. Die Plattformen erheben automatisch und laufend Informationen über die Arbeitsleistung der CrowdworkerInnen. Sie haben vollen Einblick, welche CrowdworkerInnen, welche Arbeiten zu welchem Zeitpunkt mit welcher Qualität durchgeführt haben.

  • Preisbestimmung durch die Plattform

Viele Plattformen bestimmen selbst den Preis der Arbeitsleistung. So werden z. B. bei Uber durch einen Preisalgorithmus die Preise jeder Fahrt den vermeintlich selbstständigen Fahrern vorgegeben. Ebenso werden beispielsweise bei Book-a-Tiger die Stundensätze der „selbstständigen“ Reinigungskräfte von der Plattform bestimmt.

CrowdworkerInnen als ArbeitnehmerInnen?

An Kontroll- und Bestimmungsrechten des/der ArbeitgeberIn knüpft auch das Arbeitsrecht an. Der österreichische Arbeitnehmerbegriff verlangt zum einen eine Pflicht zur persönlichen Arbeit (Fremdbestimmtheit über die eigene Arbeitskraft) und einer persönlichen Abhängigkeit (Fremdbestimmtheit bei der Erbringung der Arbeitsleistung), wobei beide Elemente vorliegen müssen, damit der ArbeitnehmerInnenbegriff erfüllt ist.

Persönliche Arbeitspflicht

In der Regel sind CrowdworkerInnen zur persönlichen Arbeit verpflichtet. Es ist ihnen verboten, sich vertreten zu lassen, Personen einzustellen oder Computerprogramme zu verwenden.

Darüber stellt sich die Frage, ob CrowdworkerInnen nicht auch in vielen Fällen zur Arbeitsleistung verpflichtet sind. Sie müssen zwar ihre Arbeitskraft nicht während bestimmter Zeiten oder eine bestimmte Dauer anbieten, allerdings ist es häufig so, dass wer regelmäßig Aufträge ablehnt, von der Plattform nicht mehr berücksichtigt wird.

Zudem werden in vielen Bewertungsmechanismen kürzlich erfolgte Bewertungen höher gewichtet als länger zurückliegende. Auf anderen Plattformen gibt es Inaktivitätsstrafen oder das Vertragsverhältnis wird nach einer bestimmen Zeit, in der keine Arbeiten angenommen wurden, automatisch beendet.

Diese Mechanismen dienen dazu, dass die Crowdworker möglichst aktiv sind, was einer Pflicht zur Annahme von Arbeiten sehr nahe kommt.

Organisatorische Unterordnung

Die AGB der Plattformbetreiber beginnen oft mit der Klarstellung, dass es sich bei den arbeitenden Personen um Selbstständige handelt. Behauptet wird, dass die Plattform keinerlei Disziplingewalt oder -kontrolle über die arbeitenden Personen ausübt, und sie weder beaufsichtigt oder anweist.

Tatsächlich werden aber wie oben ausgeführt viele Kontrollfaktoren ausgeübt. Durch diese Kombination aus den

  • engmaschigen zeitlichen und sachlichen Vorgaben,
  • Disziplinierungen durch Bewertungssysteme,
  • Aufzeichnungen sämtlicher erbrachter Leistungen und
  • einer fortwährenden Kontrolle bei plattformbasierten Arbeiten

kann eine derart hohe Fremdbestimmtheit vorliegen, dass von einer persönlichen Abhängigkeit gesprochen werden darf.

UberfahrerInnen als ArbeitnehmerInnen

Tatsächlich gibt es zur Plattform Uber bereits zwei erstinstanzliche Entscheidungen. Ein britisches Gericht hat festgestellt, dass UberfahrerInnen als „worker“ zu qualifizieren sind, weshalb FahrerInnen Anspruch auf Mindestlohn und Urlaub haben.

Ähnlich hat die Schweizer SUVA – eine Behörde, die für Sozialversicherungen entscheidet, ob Selbstständigkeit vorliegt – (gestützt auf ein Rechtsgutachten eines Schweizer Arbeitsrechtsprofessors) entschieden, dass UberfahrerInnen als ArbeitnehmerInnen zu qualifizieren sind.

Zwar sind diese Entscheidungen nicht eins zu eins auf Österreich übertragbar, weil Uber hierzulande ein anderes System verwendet. Sie zeigen allerdings deutlich auf, dass auch bei Crowdwork unter gewissen Voraussetzungen die Spielregeln des Arbeitsrechts einzuhalten sind: Ob es sich bei CrowdworkerInnen um ArbeitnehmerInnen, freie MitarbeiterInnen oder Selbstständige handelt, hängt nicht davon ab, dass die PlattformbetreiberInnen in ihren AGB festhalten, die arbeitenden Personen seien Selbstständige, sondern davon wie viel Kontrolle sie tatsächlich auf die arbeitenden Personen ausüben.

Heimarbeit

Wird eine ArbeitnehmerInneneigenschaft verneint und werden die Tätigkeiten zu Hause oder in selbst gewählter Arbeitsstätte ausgeführt, besteht auch die Möglichkeit der Anwendung des Heimarbeitsgesetzes, sofern ein bedrohliches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. Das Heimarbeitsgesetz würde ebenfalls arbeitsrechtliche Regelungen wie Mindestlöhne und Arbeitszeitbeschränkungen vorsehen.

Wer ist Arbeitgeber?

Kommt man nun zum Ergebnis, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt, so stellt sich oft die schwierige Frage, wer denn nun eigentlich der/die ArbeitgeberIn ist. Auch hier darf die Beschreibung der Plattformen nicht ungeprüft übernommen werden. Klar ist: Wer z. B. als Transportunternehmen auftritt, haftet auch als Transportunternehmen, auch wenn in den AGB steht der Unternehmer sei nur Vermittler.

Problematisch ist dies aber vor allem bei Plattformen, die klar und deutlich offenlegen, dass sie lediglich VermittlerInnen sind und stellvertretend für die AuftraggeberInnen Verträge abschließen. Aus vertragsrechtlicher Sicht wären sie in diesen Konstellationen tatsächlich nur VermittlerInnen. Dennoch üben die Plattformen auch in diesen Gestaltungen viele Kontrollrechte aus und bestimmen den Arbeitsprozess in großen Teilen.

Arbeitskräfteüberlassung

Auch bei der Arbeitskräfteüberlassung wurde lang über deren Zulässigkeit diskutiert, bis schließlich der Gesetzgeber das AÜG erließ. Darin sah der Gesetzgeber vor, dass eine Arbeitskräfteüberlassung zwar zulässig ist, aber die Verantwortlichkeiten wurden sowohl auf den Überlasser als auch auf den Beschäftiger ausgedehnt und verteilt.

Da das AÜG jedoch auf Crowdwork-Sachverhalte nicht anwendbar ist, sofern ein direktes Vertragsverhältnis vorliegt und die Plattform tatsächlich nur Vermittler ist, verbleibt in diesen Fällen nach wie vor Rechtsunsicherheit.

Eigenes Crowdworkgesetz?

Im kürzlich vorgestellten Plan A des Bundeskanzlers Kern finden sich unter anderem auch Überlegungen zu Thema Crowdwork.

Crowdwork und die daraus resultierenden neuen Arbeits- und Einkunftsmöglichkeiten sollen weiterhin zugelassen werden, allerdings müssen eine faire Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen gesichert werden. Zusätzlich soll ein eigenes Crowdwork-Gesetz, (ähnlichen dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz) die Verteilung der Rechte und Pflichten bei plattformbasierten Arbeiten klären.

Bis dahin müssen die Gerichte bestehende Gesetze auf diese neuen Formen der Arbeitsorganisation anwenden, was Rechtsunsicherheit sowohl für die arbeitenden Personen wie auch für die Plattformen bedeutet.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann also festgehalten werden:

  • Die Selbstbeschreibungen der Plattformen dürfen nicht ungeprüft übernommen werden.
  • Ob es sich bei CrowdworkerInnen um ArbeitnehmerInnen, freie MitarbeiterInnen oder Selbstständige handelt, hängt von der tatsächlich ausgeübten Kontrolle über die arbeitenden Personen ab.
  • Die Frage, wer als ArbeitgeberIn der CrowdworkerInnen anzusehen ist, wird bis zu einer etwaigen Klärung durch den Gesetzgeber von den Gerichten mit den ihnen zur Verfügung stehenden juristischen Methoden zu entscheiden sein.